Jetzt mal Hand aufs Gamepad: Wir Zocker belächeln Brettspiele gerne mal als biederes Familiending, als Relikt aus einer Zeit, als noch nicht jeder Vorschüler ein Smartphone mit Angry Birds in der Hosentasche trug.
Nix da, alles Vorurteile! Brettspiele sind spannender und origineller als ihr Ruf, seit Monopoly (dessen Wurzeln bis ins Jahr 1903 zurückreichen) hat sich einiges getan. Wer hätte gedacht, dass es Brettspiele gibt, in denen man die Zombie-Apokalypse überleben muss? Oder Goblins bekämpft? Oder vor Alien-Mutanten flieht? Moderne Brettspiele sind weit mehr als trockene Würfelwurf- und Kartentausch-Orgien, sie verknüpfen packende Geschichten mit durchdachten Mechanismen -- und werden Videospielen immer ähnlicher.
Und das gilt natürlich nicht nur für bekannte Spiele-Umsetzungen wie Gears of War oder World of Warcraft. Wer Brettspiele verpasst, der verpasst einiger der intensivsten Spielerfahrungen unserer Zeit. Wir beleuchten die Trends der Szene, ihre Herkunft - und ihre videospielhafte Zukunft.
Spieleland Deutschland
Es ist Montagabend in der Kopernikusstraße in Berlin-Friedrichshain und das unscheinbare Café Spielwiese ist voll mit Gästen. Ein volles Café, das ist für Friedrichshain nicht ungewöhnlich. Wenn man nicht genau hinschaut, könnte man verpassen, dass hier über die Zukunft der Spiele entschieden wird. Jeden Montag treffen sich in der Spielwiese Designer und reden über Regeln, Wahrscheinlichkeiten und Genres. Woche für Woche spielen sie die Prototypen ihrer neuen Spiele, machen sie spannender, spaßiger, anspruchsvoller, kurz: perfektionieren sie für die Spieler.
Sie lieben ihren Beruf und haben den größten Respekt vor dem, was Spiele bewirken können. Ihre Werke wird man aber nicht finden können auf Xbox Live, im Playstation Store oder auf Steam. Sie sind Brettspieldesigner und sie stecken mittendrin in einer der spannendsten Entwicklungen für das Medium Spiel. Kaum beachtet von der Öffentlichkeit, entstehen Brettspiele, vollgestopft mit guten Ideen und großartigem Design.
»Weltweit ist Deutschland das Land, das brettspielmäßig am meisten macht«, erklärt Rolf Raupach, Mitarbeiter beim Spieleverlag Lookout Games. »Wir haben mit der SPIEL in Essen die größte Spielemesse. Und das Spiel des Jahres ist auch eine deutsche Sache.«
Stimmt, Brettspiele finden sich schon seit jeher in deutschen Haushalten. Klassiker wie El Grande, Auf Achse oder Mensch Ärgere Dich Nicht gehören ebenso zum Familienalltag wie der alljährliche Kauf des Spiels des Jahres an Weihnachten. Dennoch ist die Popularität von Brettspielen in Deutschland ein zweischneidiges Schwert. Einerseits sorgt sie bei hiesigen Brettspielverlagen für hohe Umsätze mit populären Familienspielen, andererseits überzeugt sie aber auch eine Generation jüngerer Spieler, dass Brettspiele altmodische Familiensache sind und der richtige Spaß in Videospielen liegt. Den Brettspielern mangelt es schlicht an Nachwuchs.
Am Anfang waren die Siedler
»Siedler von Catan war für der Einstieg«, erinnert sich Hartmut Kommerell, Autor abstrakter Spiele wie dem Taktiktitel Orthogo. »Aber die letzten paar Jahre sind die Spielerzahlen eigentlich konstant geblieben«, ergänzt Bernd Eisenstein, ein Postbote und Spielemacher aus Berlin, um dessen Karawanen-Rennspiel-Prototyp Takla Makan, sich die Spielemacher der Spielwiese gerade versammelt haben.
Wenn es einen Einschnitt, einen definierenden Moment in der modernen Brettspielgeschichte gab, dann die Veröffentlichung von Klaus Teubers Die Siedler von Catan. Über vier Jahre hat der Dentaltechniker Teuber laut eigenen Angaben an seinem Spiel gearbeitet, bevor es endlich 1995 im Kosmos-Verlag erschien und seine Spieler eine zufällig zusammengesetzte Insel bebauen ließ.
Es war, verglichen mit vielen anderen zu dieser Zeit populären Spielen, ein komplexes Spiel, das Handel, Aufbau, Taktik und Diplomatie elegant miteinander verzahnte. Trotz seiner Komplexität wurde es zum gewaltigen Erfolg. Bis heute gingen alleine in Deutschland über 10 Millionen Exemplare und Erweiterungen über die Ladentheke. Es war das Spiel, das viele Leute überhaupt erst zum Brettspielen brachte.
Auch Guido Heinecke hat es erwischt: »Als kleiner Stöpsel habe ich mit Papa angefangen, als er einen Schachgegner brauchte. Als Teenager bin ich dann in Rollenspielen versunken, und mit dem ersten 486er im Zimmer gehörte mein Herz dann vorerst den digitalen Spielen. Ich nahm alles mit, was man für eine umfassende Spiele-Sozialisation wohl braucht: Sammelkartenspiele wie Magic, Dungeons & Dragons, BattleTech mit Zinnminiaturen. Erst spät entdeckte ich das Brettspiel mit den Siedlern von Catan wieder, dann ging es aber erdrutschartig los. Gemeinsam mit einem Freund verschlangen wir als Studenten jeden Zipfel an Informationen, geisterten durch Datenbanken und hauten unser mageres Studentenbudget auf den Kopf für die neusten Neuheiten.«
Über 15 Jahre später hat ihn diese anfängliche Begeisterung für Brettspiele dazu gebracht, den deutschsprachigen Ableger des französischen Online-Brettspielemagazins Tric Trac zu betreuen.
Und wer war schuld? Teubers Lebenswerk. »Siedler von Catan war sicherlich das Ausnahmespiel schlechthin. Es packt Liebhaber, Familien und Experten, definierte ein neues Genre und bescherte der Branche frischen Wind«, so Heinecke.
Ein neues Genre definiert haben die Siedler von Catan aber vor allem außerhalb Europas. »German Game« oder »Eurogame« wurde das Spiel dort genannt. Es avancierte zum Sinnbild für komplexe, aber elegante Spiele mit cleveren Spielmechaniken, wenig Würfelglück, viel Taktik und eher behelfsmäßigen Szenarien, die wenig mit dem eigentlichen Spiel zu tun hatten.
Das war eine Neuheit, denn wirklich populär in USA und England waren vor allem Spiele, in denen viel gewürfelt wurde, am besten in einer starken Geschichte mit Monstern, Drachen und Verliesen wie in HeroQuest oder DungeonQuest. Spiele, die man scherzhaft und mit viel Liebe als »Ameritrash«, Ami-Müll bezeichnete, auch wenn sie natürlich zu den Klassikern ihres Genres gehören.
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