Zweifelhafte User-Wertungen - Fünf-Sterne-Unfug

User-Wertungen sind die Schattenseite der Meinungsfreiheit: Die »authentische« Stimme der Community ist zwar lautstark, aber oft ahnungslos, unfair oder schlichtweg gekauft. Ein professioneller Stoßseufzer von Heinrich Lenhardt.

Schon zu Goethes Zeiten genossen Kritiker einen zweifelhaften Ruf, wie das geflügelte Wort »Schlagt ihn tot, den Hund! Er ist ein Rezensent!« verdeutlicht. Das Internet, diese wunderbare Plattform zum kultivierten Austausch höflich vorgetragener Meinungen, hat nicht unbedingt zum Ansehen unseres Berufsstands beigetragen. Häufig werden Spieletest-Wertungen von skeptischen Kommentatoren entweder als zu hoch (»Alles von Anzeigenkunden beeinflusst!«) oder zu niedrig (»Tester hat keine Ahnung von Spiel/Genre/Allem!«) bemängelt.

Dem hauptberuflichen Spieleberichterstatter wird gerne vorgeworfen, nicht authentisch und ehrlich berichten zu können, weil er verwöhnt und verzärtelt ist, weichgespült durch Vorab-Testmuster und PR-T-Shirts. Deshalb vertraut mancher Spieler lieber akkumulierten User-Wertungen, von Metacritic bis Amazon. Dabei gibt es reichlich Gründe, warum man das ungefilterte Community-Wertungsrauschen nur mit Vorsicht genießen sollte.

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Der Autor

Heinrich Lenhardt (50) ist seit 1984 als Spieleberichterstatter tätig und war schon bei der GameStar-Erstausgabe im Autorenteam. Er konzipierte und leitete eine Reihe von Spiele-Zeitschriften, darunter Power Play (1987), PC Player (1992) und Buffed-Magazin (2007). In seiner Freizeit schreibt er E-Books wie »Lenhardts Spielejahr 1984« und plaudert beim Spieleveteranen-Podcast mit.

Streng riechendes Eigenlob

Wie übel nimmt man es Mitarbeitern von Spielestudios, wenn sie ihre eigenen Produkte bewerten? Das Eigenlob ist vielleicht etwas peinlich, aber nicht übertrieben verwerflich, sofern die Befangenheitssituation erklärt wird. Es soll ja durchaus vorkommen, dass Leute mit den Früchten ihrer Arbeit glücklich und zufrieden sind. Aber was halten wir von einer Angestellten, die vortäuscht, ein »neuer Fan« des Spiels ihres Arbeitgebers zu sein? Ein aufmerksamer Reddit-User identifizierte Morgan Milardo als jene Person, die Rock Band 4 auf Amazon als »perfekte Einführung in Videospiele und Musikspiele für mich« lobte.

Zu dumm, dass die vermeintliche Einsteigerin schon seit 2012 bei Rock-Band-Entwickler Harmonix beschäftigt ist. Da arbeitet sie in der Rechtsabteilung und beschäftigt sich mit Musiklizenzdeals; man darf also vermuten, dass sie im Laufe der Jahre vielleicht mal mit dem Produkt in Berührung gekommen ist. Doch solche Aktionen sind harmlos im Vergleich zur Falschtester-Branche, welche die Macht der User-Besprechungen ins Leben gerufen hat.

Falsche Töne: Die »User-Tests« von Rock-Band-4-Entwicklern werfen kein gutes Licht auf die Glaubwürdigkeit von Community-Wertungen. Falsche Töne: Die »User-Tests« von Rock-Band-4-Entwicklern werfen kein gutes Licht auf die Glaubwürdigkeit von Community-Wertungen.

Das Nachrichtenmagazin The Economist berichtete kürzlich über Amazons Versuche, mit rechtlichen Mitteln gegen gekaufte 5-Sterne-Reviews auf dem Shopping-Portal vorzugehen. Dienstleister wie Fiverr.com und Spezialwebseiten mit subtilen Namen wie BuyAmazonReviews.com bieten käufliche Jubeltests an: »Wir setzen das Talent eines professionellen und vielfältigen Schreiberteams ein«. Zehn Reviews gibt's für 250 Dollar, was im Vergleich zu anderen Marketingausgaben Kleingeld ist.

Diese Unverfrorenheit sollte niemanden verwundern: Es ist zu leicht, einen bezahlten »Test« zu veröffentlichen, wenn es keine inhaltlichen Checks und Redaktionskonferenzen gibt. Und diese vorsätzlichen Täuschungen sind nur ein Teil des User-Review-Problems - die unschuldige Undifferenziertheit der Allgemeinbevölkerung richtet auch viel Schaden an.

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Die Rache der Frustrierten

Professionelle Meinungsmacher bieten käufliche User-Wertungen für Portale wie Amazon an. Professionelle Meinungsmacher bieten käufliche User-Wertungen für Portale wie Amazon an.

Die Lektüre von User-Bewertungen auf Amazon, Google Play oder Apples App Store führt zu der Erkenntnis, dass ein Fünf-Sterne-System einem Großteil der Bevölkerung zu differenziert ist. Erschreckend viele Rezensenten denken in Extremen, entweder ist alles total geil oder totaler Mist. Noch deprimierender als die demonstrierte Differenzierungsscheu sind die dazugehörigen Erklärungen.

Bei Smartphone-Apps sind Kompatibilitätsprobleme und Abstürze ein beliebter Grund für 1-Stern-Rachefeldzüge: Das Spiel an und für sich findet man gut, aber da es technische Probleme auf einem fünf Jahre alten alten Huawei Auweia II gibt, verpasst man ihm die schlechteste Wertung.

Solche Meisterleistungen werden auf der Logik-Skala nur noch vom Liebensentzug wegen Zustellproblemen übertroffen. Wer kennt sie nicht, diese Klassiker aus dem Fundus der Amazon-Laientester? Der Versand dauerte zu lange oder der Zusteller war nicht ausreichend liebenswürdig, bäm, 1 Stern für das Produkt.

Wer gefrustet ist, zieht online gerne mit dem verbalen Flammenwerfer los und demoliert damit Sinn und Zweck des ganzen Systems: Bei der Durchschnittsermittlung zählt eine aus der Hüfte geschossene Nonsens-Wertung des Wutbürgers genauso viel wie die durchdachte Sternchenvergabe eines besonnenen Autoren.

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Spiel doch erstmal!

Den Plattform-Betreibern ist längst unangenehm aufgefallen, wie anfällig ihre Community-Systeme sind. Deshalb geht Amazon gerichtlich gegen Review-Verkäufer vor und erlaubt es nicht mehr, dass Spiele schon vor ihrer Veröffentlichung besprochen werden. Noch besser ist es, wenn nur solche User ein Spiel bewerten können, die es nachweislich gekauft haben.

Eine Webseite wie Metacritic kann das nicht prüfen und wird entsprechend von wertlosen Schrott-User-Wertungen überflutet. Und selbst wenn der Tester das Spiel besitzen muss, lässt sich die Hürde umgehen: Wer skrupellos genug ist, professionelle Jubelschreiber zu beauftragen, der kann auch Muster verschicken oder Kaufkosten ersetzen.

Steam gibt bei Review an, wie lange der User gespielt hat - ein Urteil nach 200 Spielstunden ist definitiv vertrauenswürdiger als eines nach fünf. Wobei man sich auch fragen kann, warum jemand freiwillig 200 Stunden Freizeit in ein Spiel investiert, das er nicht mag. Steam gibt bei Review an, wie lange der User gespielt hat - ein Urteil nach 200 Spielstunden ist definitiv vertrauenswürdiger als eines nach fünf. Wobei man sich auch fragen kann, warum jemand freiwillig 200 Stunden Freizeit in ein Spiel investiert, das er nicht mag.

Steam macht's da noch am relativ besten und verrät sogar, wie lange ein Rezensent einen Titel gespielt hat. Vielleicht sollten User-Reviews generell erst ab einer gewissen Mindeststunden-Anzahl erlaubt sein, das würde zu weniger Schnellschüssen und mehr Sorgfalt führen (Und was halten wir von dem Masochisten, der nach über 120 aufopferungsvollen Spielstunden Fallout 4 mit »nicht empfohlen« bewertet?).

Es gibt also noch einiges zu tun, um Community-Wertungen seriöser, glaubhafter und fälschungssicherer zu machen. Bis das soweit ist, sollte man vielleicht Goethes Aufforderung ignorieren und den professionellen Rezensenten Liebe statt Hiebe zukommen lassen, denn die werden noch dringend gebraucht.

Die große Umfrage: So bewertet die GameStar-Community Fallout 4

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