Richard Garriott? Ernsthaft? Anfang 2007 sucht unser Preview-Ressortleiter Christian Schmidt einen Reisewilligen, der nach Austin fliegen möchte, um sich Tabula Rasa anzuschauen, das neue Spiel des Ultima-Erfinders. Moment, Tabula was? Völlig egal! Obwohl es gar nicht so übel war, hat Garriotts futuristisches Action-MMO in der Online-Rollenspielgeschichte allenfalls den Fußabdruck einer zierlicheren Ameise hinterlassen. Aber darum geht's ja nicht. Es geht um Richard Garriott, diesen exzentrischen Millionär, der sich »Lord British« nennt und in einer von Geheimgängen durchzogenen Villa voll obskurem Kram lebt!
Garriotts Action-MMO:Tabula Rasa im Test
Ich erinnere mich, wie ich einst in der PC Player den Reisebericht des späteren GameStar-Chefredakteurs Jörg Langer las, der eben jene Villa besucht hatte. Da will ich auch hin, zumal ich Garriotts Studio Origin immer geschätzt habe, für Ultima, für Wing Commander, für Shadow Caster (Endlich in einen Frosch verwandeln, toll!). Also konnte sich Christian gar nicht so schnell ducken, wie ich ihm auf den Schoß sprang (leicht übertrieben): Ja, klar, Garriott! Bin dabei!
Der Autor
@Greu_Lich
Als Mitglied der Chefredaktion kümmert sich Michael Graf bei GameStar um Reports, Kolumnen sowie - natürlich - um GameStar Plus. In seinen 14 Redakteursjahren hat er viel Denkwürdiges erlebt, zum Beispiel jene verhängnisvolle Zollkontrolle am Flughafen von Atlanta ... aber das ist eine andere Geschichte. Sein verrücktestes Erlebnis war in jedem Fall der Besuch bei Richard Garriott.
Also fliege ich nach Austin, treffe Richard Garriott - und werde nicht enttäuscht. Der Mann ist sehr sympathisch und hat fraglos Charisma, kein Wunder konnte er seinen Mitarbeitern jahrzehntelang überambitionierte Projekte wie Ultima 9 aufschwatzen. Vor allem aber - und ich betrachte das als Kompliment - lebt Garriott in seiner eigenen Welt.
Rule Britannia:Die Geschichte der Ultima-Serie
Und damit meine ich nicht nur die Villa, in der er seit Jörgs Besuch noch mehr obskuren Kram angehäuft hat, von Skeletten über Schrumpfköpfe und medizinische Instrumente bis hin zu Spieluhren und Automaten aller Art. Meine Güte, ich kann mir bis heute mit großen Augen das Video anschauen, das ich dort gedreht habe. Irre.
Im Heftarchiv: Michas Besuch bei Richard Garriott im Video
Garriott ist wie ein großes Kind, er vermischt das echte Leben und die Fantasie, es ist ein bisschen wie in »Charlie und die Schokoladenfabrik«, oder besser noch: »Peter Pan«: Wer mit Garriott nicht über seine Spiele, sondern über sein Leben spricht, erlebt einen Menschen, der niemals erwachsen werden möchte.
Einen Menschen, der im Lake Austin die Titanic nachbauen lässt, die Honoratioren seiner Heimatstadt Austin zur Rundfahrt einlädt - und diese Titanic dann überraschend mit einem zweiten, als Eisberg verkleideten Schiff versenkt (unter den wachsamen Augen von Rettungskräften). Einen Menschen, der einem Einbrecher anbietet, von einer Klage abzusehen, wenn sich der Dieb mit ihm duelliert - erst nach Rücksprache mit seinem Anwalt verzichtet Garriott darauf.
Wundervoll auch die abendliche Autofahrt zu Garriotts Lieblingsrestaurant, die ich gemeinsam mit einigen Freunden und Kollegen des Designers zurücklegte, die mir allerlei irre Geschichten erzählen. Etwa, dass Garriott einst illegalerweise ein Steinchen aus der chinesischen Mauer brach und in die USA brachte - woraufhin Freunde zwei Schauspieler engagierten, die bei ihm klingeln und sich als chinesische Polizisten ausgaben: Sie müssten ihn nun verhaften.
Das Restaurant selbst bietet dann neben Steaks & Co. auch ... interessante Gerichte wie Klapperschlangen-Küchlein an. Die muss ich natürlich haben. Und das Besondere daran ist nicht die Mahlzeit selbst (Schlangen schmecken gar nicht so speziell ...), sondern, dass sie bei keinem anderen Gastgeber so normal klänge. Klapperschlangen essen mit Will Wright? Mit Sid Meier? Mit Peter Molyneux? Unvorstellbar. Aber mit Richard Garriott - ja, klar, mit wem sonst?
Außerdem drückt Garriott beim damaligen Besuch jedem Journalisten eine Münze in die Hand - eine Herausforderungsmünze, wie sie auch Seeleute der US Navy bekommen. Wer diese Münze dabei hat und einen anderen Münzbesitzer trifft, kann ihn herausfordern. Hat das Gegenüber die Münze dabei, muss man ihm einen Drink ausgeben. Wenn nicht, bekommt man einen Drink spendiert. Klassischer Garriott, denke ich, der Mann mag seine Spielchen.
Und dazu gehören eben zwei, also bringe ich die Münze zum Tabula-Rasa-Termin einige Monate später auf der E3 mit. Klar, Garriott hat seine Münze dabei - verloren. Und ich kann sogar meine Drink-Schuld einlösen, als er abends zufällig (wirklich!) dasselbe Restaurant besucht wie unser Redaktionsteam. Alleine Garriotts Blick, als ich ihm das Glas Weißwein rüberbringe - wunderbar!
Aber wie war das noch gleich mit der kalt servierten Rache? Neun (!) Jahre nach dem Tabula-Rasa-Termin treffe ich Garriott auf der Gamescom 2016 erneut - und habe selbstverständlich die Münze dabei, die ich ihm vor laufender Kamera unter die Nase halte. Garriott ploppen die Augen aus dem Kopf: Verdammt, das kann nicht sein! Panisch wühlt er in seiner Tasche, zieht einen Plastikbeutel mit Münzen unterschiedlicher Spiele heraus. Aber just die von Tabula Rasa fehlt! Garriott verliert! Und schuldet mit seitdem einen Drink, den er nicht einlösen kann, weil er direkt danach zu einem anderen Termin muss.
Schnitt. Ein Jahr später auf der Gamescom 2017, abermals ein Interview mit Richard Garriott, abermals habe ich die Tabula-Rasa-Münze dabei. Diesmal ist Garriott vorbereitet, zieht seinerseits eine Shroud of the Avatar-Münze aus der Tasche und meint: Ach, weißt du, die beiden Münzen heben sich gegenseitig auf. Ich nicke , seufze - und ziehe eine zweite Münze aus der Tasche! Garriott hatte mir im Vorjahr ebenfalls eine zu Shroud of the Avatar überreicht, das aber offensichtlich vergessen. Zwei schlagen eine, grinse ich. Garriott antwortet geknickt: Gut gespielt. Und spendiert mir endlich meinen Drink an der Gamescom-Standbar.
Aber eben nur einen, seine Gesamtschulden belaufen sich inzwischen auf zwei. Falls ihr also irgendwann mal Richard Garriott trefft: Erinnert ihn daran, dass er mir noch ein Glas Weißwein schuldet.
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