Bitte, Danke, Entschuldigung! - Verkehrte Welt in japanischen Onlinespielen

Wo es im Westen »GG EZ!«, »Git Gud!« oder »Noob!« heißt, hört man auf japanischen Servern »Entschuldigung!« und »Kein Problem«. Es ist eine fremde Welt, von der man sich im Westen einiges abschauen könnte, findet Mathias Dietrich.

Der japanische Durchschnittsspieler (links) verbirgt seine wahren Emotionen. Westliche Spieler (rechts) schimpfen dagegen frei drauf los. Der japanische Durchschnittsspieler (links) verbirgt seine wahren Emotionen. Westliche Spieler (rechts) schimpfen dagegen frei drauf los.

Wer schon einmal fünf Minuten in einem Onlinespiel verbracht hat, weiß, was für ein Umgangston da herrscht: Anschuldigungen, Beleidigungen oder gar Todesdrohungen tauchen in unschöner Regelmäßigkeit im Chat auf.

Entwickler wie Blizzard oder Ubisoft gehen seit Neuestem zwar verstärkt gegen dieses toxische Verhalten vor, trotzdem benehmen sich noch viel zu viele Spieler völlig daneben. Dass es auch anders geht, zeigen uns die Japaner.

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Tut mir Leid, das war meine Schuld!

Für lange Zeit hielt ich die toxische Atmosphäre in Onlinegames ebenso für Normalität wie viele andere Spieler. Das war der Fall, bis ich 2015 während meines Austauschstudiums erste Erfahrungen mit der Onlinekultur auf japanischen Servern machen durfte. Zu dieser Zeit erschien Dragon's Dogma Online in Japan. Als Fan des Originals musste ich mir das natürlich ansehen. Und was sich dort auf den Servern abspielte war für mich als westlichen Spieler vollkommen ungewohnt.

Mein erstes »Schockerlebnis« hatte ich während eines Bossfights. Ein gigantischer Feendrache setzte während einer Phase des Kampfes die gesamte Arena unter Strom und alle Spieler nahmen Schaden. Um dem entgegenzuwirken aktivierte ein Support-Spieler ein Heilfeld und der Tank stellte ein Schutzschild bereit. Als das passierte, ging es im Gruppenchat plötzlich hoch her: Jeder einzelne Spieler schrieb ein »Arigatou!«, also »Danke!«, an die beiden Helfer

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Den Kampf gegen den Feendrachen verlor unsere Gruppe am Ende. Doch zeigten sich die Spieler selbst in der Niederlage von ihrer besten Seite. Den Kampf gegen den Feendrachen verlor unsere Gruppe am Ende. Doch zeigten sich die Spieler selbst in der Niederlage von ihrer besten Seite.

Ein Einzelfall? Keineswegs. Selbiges geschah auch bei späteren Runs mit komplett anderen Spielern. Auf den uns bekannten westlichen Servern würde man das gute Spielen einer Klasse wohl eher als Selbstverständlichkeit ansehen, und wenn diese Erwartung nicht erfüllt wird, wäre ein »Noob!« wohl noch die harmloseste Beleidigung, die man lesen könnte.

Doch es wurde für mich sogar noch unglaublicher. Denn den Kampf verloren wir letzten Endes dennoch. Anschuldigungen? Beleidigungen? Gruppe auflösen? Nichts davon geschah. Im Gegenteil: Viele Spieler entschuldigten sich oder meldeten sich zumindest mit einem »Naja, passiert.«, zu Wort. Und von acht Leuten ging kein einziger. Alle blieben zusammen, starteten die Mission erneut und schafften sie im zweiten Anlauf ohne Probleme.

Klar: Dragon's Dogma Online ist ein Koop-Spiel und deren Communities sind auch bei uns etwas freundlicher. Dass es sich bei meinen Erlebnissen aber um keinen Sonderfall handelte, zeigte ein Gespräch mit einem Kommilitonen. Der erzählte mir ähnlich verblüfft von seinen Erfahrungen in League of Legends - einem Spiel, dessen toxische Community bei uns traurige Berühmtheit erlangt hat. Auf den japanischen Servern des MOBAs ging es dagegen deutlich gesitteter zu: Teammitglieder machten Fehler, entschuldigten sich und trafen auf Verständnis.

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Der Autor
Kawaraban

Mathias Dietrich (28) arbeitet als freier Autor für GameStar. Während des Studiums entwickelte er ein starkes Interesse für die Kulturunterschiede zwischen Japan und dem Westen. Onlinespiele und Onlinekultur bieten sich da geradezu für einen Vergleich an. Seit Kurzem hat er Deutschland dauerhaft hinter sich gelassen und ist nach Japan gezogen, wo er sich unter anderem an der höflichen Onlinekultur erfreut. Die Otaku - also die Nerds Japans - sind zudem schon seit langen eines seiner Lieblingsthemen.

Wut hinter der Maske

Woher kommt dieser krasse Unterschied? Sind Japaner vielleicht durch die Bank sehr ausgeglichene Menschen? Das kann man klar verneinen: Sie sind so menschlich und emotional wie du und ich. Der Unterschied ist, dass ein Großteil von ihnen ihre wahren Gefühle nicht nach außen trägt, sondern stattdessen eine symbolische Maske aufsetzt. Im Fachjargon nennt man dieses gesellschaftliche Phänomen »Tatemae«.

Gerade im realen Leben führt das gerne mal zu Problemen und ich selbst konnte bereits mehr als eine negative Erfahrung mit dieser Umgangsweise machen. Im Großen und Ganzen bin ich also kein Fan der Tatemae.

Doch Onlinespiele werden durch den höflichen und zurückhaltenden Umgangston viel angenehmer. Und die meisten Mitspieler treffe ich ohnehin nie im echten Leben. Da stört es mich wenig, wenn ich ihren echten Charakter nicht kennenlerne, sondern für eine kurze Runde nur ein paar sympathische Mitspieler habe, die mich nicht wegen jedem kleinen Fehler aufs schärfste beleidigen. Immerhin sind wir alle nur da, um Spaß zu haben.

Wer in Overwatch als Hanzo antritt, darf sich auf eine Welle von Beleidigungen gefasst machen. Wer in Overwatch als Hanzo antritt, darf sich auf eine Welle von Beleidigungen gefasst machen.

Sicher wird der ein oder andere nun Gegenbeispiele anbringen, oder von negativen Erfahrungen berichten können. Das ist bei Diskussionen über Kultur ganz normal, denn immerhin kann man da nur von Tendenzen sprechen. In Fernost scheint jedoch zumindest die große Allgemeinheit der Onlinespieler, wenigstens nach außen hin, deutlich höflicher aufzutreten. Und ich finde, davon sollten sich westliche Spieler eine ordentliche Scheibe abschneiden.

Während ich nach einer Runde Rainbow Six: Siege nämlich meist genervt gehe und wieder einmal dem Support einen Spieler wegen toxischem Verhalten melde, kann ich bei Dragon's Dogma Online Fehler machen und fühle mich auch durch die Patzer anderer viel weniger gestört. Statt des Einzelnen steht die Leistung der Gruppe im Vordergrund: Versagt man, ist das nicht die Schuld eines Individuums, sondern die des Teams. Jeder fühlt sich verantwortlich und versucht nicht die Fehler auf andere zu schieben. So, wie es bei teambasierten Spielen sein sollte. Das Resultat ist ein viel entspannteres Spielerlebnis.

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