Candela Obscura gespielt: Wie gut ist das Pen & Paper der berühmtesten Rollenspiel-Gruppe der Welt?

Critical Role hat vor einigen Monaten sein erstes eigenständiges Regelwerk veröffentlicht. Als Fan musste ich es ausprobieren und verrate, wie es mir gefallen hat.

Mit Candela Obscura bringt der Verlag hinter Critical Role ein eigenes Rollenspiel auf den Markt. Mit Candela Obscura bringt der Verlag hinter Critical Role ein eigenes Rollenspiel auf den Markt.

Im November 2023 feierte der Verlag der erfolgreichsten Pen-&-Paper-Gruppe der Welt eine ganz besondere Premiere: Mit Candela Obscura wurde das erste Rollenspiel-System von Critical Role veröffentlicht, ein narratives Horrorspiel, auf das sich die Millionen Fans der liebenswerten Nerd-Gang natürlich mehr gefreut haben, als auf einen Spielabend voller Würfelglück.

Ich zähle mich zu diesen Fans und habe bereits zuvor äußerst interessiert zugesehen, wie Matt Mercer und Co. in verschiedensten Runden ihr erstes hauseigenes System unter Zuhilfenahme aufwändiger Kostüme vor der Kamera bespielten.

Derart aufwändige Verkleidungen gab es an meinem Spieltisch (noch) keine, aber das 204 Seiten dicke Regelwerk lag neben mir. Ich habe mich also in Vorbereitung auf diese Session intensiv damit auseinandergesetzt und hege jetzt ein paar Gedanken dazu. Denn obwohl ich Fan der Serie bin und beim Spielen durchaus viel Spaß hatte, konnte mich Candela Obscura nicht vollends überzeugen.

Candela Obscura: Das Regelwerk von Critical Role im Trailer Video starten 1:53 Candela Obscura: Das Regelwerk von Critical Role im Trailer

Fabiano Uslenghi
Fabiano Uslenghi

Fabiano ist bei GameStar für die großen und komplexen Rollenspiele zuständig und hat schon hunderte Stunden in Klassikern wie Baldur's Gate oder Pathfinder verbracht. Noch weitaus mehr Zeit hat er aber in sein Hobby als Pen-&-Paper-Meister gesteckt. Seit über zehn Jahren turnt er schon durch Aventurien, hat aber zugleich mehrere Ausflüge in Regelsysteme abseits von DSA unternommen.

Was ist Candela Obscura überhaupt?

In Candela Obscura verschlägt es mich und meine Tischgruppe in eine fiktive Welt, die sich technologisch in etwa auf dem Niveau des Ersten Weltkrieges oder der 1910er Jahre befindet. Nur dass es hier eben Magie gibt, von der ein typischer Mensch abseits von Märchen und Schauergeschichten aber nichts weiß.

Die Gruppe selbst spielt Charaktere innerhalb eines Zirkels einer Geheimorganisation namens Candela Obscura, die die menschliche Welt vor magischen Phänomen und Monstern bewahrt, die quasi von der anderen Seite in die Wirklichkeit bluten - entsprechend wird magische Verunreinigung Bleed genannt.

Alles Übernatürliche wird als magisches Phänomen bezeichnet, also auch Monster und Geister. Alles Übernatürliche wird als magisches Phänomen bezeichnet, also auch Monster und Geister.

Eine für mich persönlich schon einmal hochinteressante Mischung aus historischem Setting, kosmologischen Horror, Stranger Things und Men in Black. Das Setting wird im Grundregelwerk bereits gut aufgedröselt, weiß zu faszinieren ohne zu schwafeln und liefert viele Ansatzpunkte für unheimliche Geschichten - insbesondere innerhalb einer illustren Großstadt namens Newfaire.

Viele interessante Ansätze werden aber auch einfach in den Raum gestellt und dann nicht mehr erklärt. Beispielsweise ist unklar, wie die Bevölkerung größtenteils nichts von magischen Gefahren wissen kann, wenn sie regelmäßig auftreten und die Hauptstadt gar auf den Ruinen einer Zivilisation steht, die Magie im großen Stil einzusetzen wusste. Derartige Wissenslücken gibt es haufenweise.

Was mir an Candela Obscura gut gefällt

Die Einfachheit

Obwohl Candela Obscura ein komplett neues Regelsystem namens Illuminated Worlds zugrunde liegt, sind vielerlei Einflüsse von Anfang an spürbar. Candela Obscura soll in allererster Linie ein Erzählspiel sein, in dem der Fokus anders als bei Spielen wie Dungeons & Dragons, Pathfinder oder DSA deutlich weniger auf ausufernden Zahlenwerten, Zaubern oder Charaktereigenschaften liegt.

Illuminated Worlds wurde vor allem von Blades in the Dark inspiriert und setzt damit voraus, dass sich Spielleitung und Spieler im Grunde darüber einig sind, ihre Geschichten gemeinsam zu erzählen und zu prägen. Gewürfelt wird mit mehreren sechsseitigen Würfeln, wobei ein höherer Talentwert die Anzahl an geworfenen Würfeln vergrößert. Eine einzige gewürfelte Sechs reicht aus, um die Probe zu bestehen. Eine Vier oder Fünf reicht ebenfalls, bringt aber Konsequenzen mit sich. Liegen nur Einsen, Zweier oder Dreier herum, gibt es in der Regel eine Klatsche.

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Alles in allem ist das System sehr solide und hat sich nicht erst seit Candela Obscura bewährt. Selbst Neulinge werden sofort loslegen können und müssen keine seitenlangen Regeln pauken. Die Charaktererstellung geht vergleichsweise flott von der Hand und wer es etwas strategischer mag, darf Drive aus seinem Vorrat verwalten, um sich womöglich noch mehr Würfel bei einer Probe zu verschaffen.

Wie läuft eine Spielszene in Candela Obscura ab?

Falls ihr einen etwas besseren Eindruck davon haben wollt, wie eine Szene mit den Regeln in etwa aussieht, findet ihr hier einen groben Ablauf aus meiner Spielsitzung:

Die vier Candela-Agenten erreichen ein Anwesen, in dem ein mysteriöser Mord stattgefunden hat, allerdings wird der Vordereingang von Journalisten belagert. Während die Doktorin Anja Rothenburg und das Medium Blake die Reporter ablenken, schleichen sich der Soldat James und der Magier Octavius Phantasmagoria in den Garten. Anja muss sich einer besonders aufdringlichen Reporterin erwehren, die unseriöse Fragen stellt. Zeit für eine Ausrede und damit einen Wurf auf Sway.

  • Anja hat Sway auf einem Wert von 2, damit stehen ihr 2W6 für die Probe zur Verfügung.
  • Sie würfelt eine 4 und 2. Das höchste Ergebnis ist also ein gemischter Erfolg.

Die Journalistin setzt Anja weiter unter Druck, diese lässt sich aber nich überrumplen. Damit kann sie die Reporterin abwimmeln, doch diese ist trotzdem misstrauisch und notiert sich Anjas Namen für ihren Bericht.

In der Zwischenzeit versuchen Octavius und James durch den verschlossenen Hintereigang zu gelangen. James schnappt sich schon einen stabilen Spaten aus dem Geräteschuppen, bevor Anja dazustößt und erstmal überprüft, ob die Tür vielleicht offen ist. Ist sie nicht. Also macht sich der Soldat ans Werk. Ein Wurf auf Strike ist hier angemessen.

  • James hat Strike ebenfalls auf 2, packt aber noch einen Drive-Punkt auf seinen Wurf und darf dann 3 statt 2W6 würfeln.
  • James würfelt eine 2, eine 5 und eine 6. Die 6 ist das höchste Ergebnis und damit ein voller Erfolg!

James bricht die Tür mit dem Spaten auf, achtet aber darauf, dass sie dadurch nicht komplett unbrauchbar wird. Sie erhalten Zutritt zum Haus und können die Tür danach zumindest anlehnen, damit sie geschlossen aussieht.

Das Konzept

Candela Obscura eignet sich für mich hervorragend als kleines Zwischendurch-Projekt, das sich spontan lernen lässt und vor allem eine interessante Welt bietet. Die angedachte Spielstruktur unterstützt diesen Gedanken, denn die legt eine Reihe an kurzen Missionen nahe, die nach wenigen Stunden dann auch am Ende sind. Längere Kampagnen sind aufgrund des schlanken Progressions-Konzepts eher weniger ratsam.

Gut gefällt mir wiederum das Konzept hinter dem Narben-System. Wer körperlich, geistig oder magisch zu viel einstecken muss, erleidet irgendwann permanente Veränderungen. Wobei erleidet das falsche Wort ist. Diese Narben sind keine mechanischen Nachteile, zwingen aber den Charakter, Skillpunkte umzuverteilen - was ein cooler Anreiz ist, um an einem Charakter die Erfahrungen vergangener Abenteuer sichtbar zu machen, ohne den Spieler oder die Spielerin zu bestrafen.

Je nach Schadensart tragen Charaktere verschiedene Narben davon. Es gibt auch magische Verwundungen, die dann besonders unheimliche Effekte haben. Je nach Schadensart tragen Charaktere verschiedene Narben davon. Es gibt auch magische Verwundungen, die dann besonders unheimliche Effekte haben.

Wo Candela Obscura Potenziale liegen lässt

Das Layout

Etwas mehr hätte ich mir vom Regelbuch an sich erhofft. Gerade vor dem Hintergrund, dass diese Regeln von dem Verlag kommen, dessen Gründer professionell Pen-&-Paper spielen. Klar, das macht aus ihnen keine Layout-Experten, aber es wundert zumindest, dass ein paar Details nicht schon in verschiedenen Spielrunden zumindest zur Sprache kamen.

Beispielsweise wurden etwa die Klassen-Details seltsamerweise über mehrere Abschnitte verstreut. Gerade so ein abgespecktes System erlaubt in der Regel alle spielrelevanten Details zu einer Klasse auf einen Blick zu präsentieren. In der Erstausgabe von Candela Obscura gibt es aber erst ein paar Seiten, auf denen die Klassen erzählerisch vorgestellt werden und dann nochmal einen eigenständigen Bereich, der sämtliche Talente und Fähigkeiten zusammenfasst. Was dazu führt, dass bei der Erstellung viel hin und her geblättert wird.

Die fünf Rollen von Candela Obscura sind in 10 Spezialisierungen unterteilt, darunter einige magisch begabte Agenten. Die fünf Rollen von Candela Obscura sind in 10 Spezialisierungen unterteilt, darunter einige magisch begabte Agenten.

Die fehlenden Details

Das zweite Ärgernis ist der tatsächliche Inhalt. Denn Candela Obscura vernachlässigt stellenweise in meinen Augen wichtige regelbezogene Details.

Insbesondere bei Fragen meiner Spielgruppe während der Partie wurde sehr deutlich, dass Candela Obscura kuriose Lücken lässt: Beispielsweise steht in der ersten Auflage nicht, wie ein Charakter überhaupt sterben kann beziehungsweise, was passiert, wenn die Obergrenze an Narben erreicht wird. Dazu gibt es zwar eine Errata, auf die stößt man als Neukäufer des Buches aber auch nicht einfach so. Zumal es sich um ein Horror-Setting handelt, wo das denkbare Ableben zumindest meiner Auffassung nach ein steter Begleiter sein sollte.

Ausrüstung wird ebenfalls unzureichend erklärt und noch dazu auf weit auseinanderliegende Bereiche im Buch und den Charakterbogen aufgeteilt. Nichts davon macht das Spiel unspielbar und gerade bei Candela Obscura wird man ohnehin ein wenig dazu erzogen, sich vieles einfach zurechtzulegen, aber in einigen Fällen wäre etwas mehr Handreichung doch wünschenswert.

Das Regelbuch deckt zwar alles ab, was zum Spielen notwendig ist, lässt dafür aber hier und da auch ein paar nervige Lücken. Das Regelbuch deckt zwar alles ab, was zum Spielen notwendig ist, lässt dafür aber hier und da auch ein paar nervige Lücken.

Für wen sich Candela Obscura lohnt und für wen nicht

Es gibt viel, was Candela Oscura noch besser machen könnte, aber letztlich hatte ich damit trotz allem meinen Spaß. Was natürlich im Falle von Pen & Paper oft auch daran liegt, dass man einfach eine entspannte Zeit mit seinen Freunden verbringt und so lang jeder mitzieht, kann jedes Regelsystem irgendwie unterhalten.

Euch muss aber eben bewusst sein, dass Candela Oscura erzählerisches Talent von allen am Tisch erwartet. Das Spiel ist eine Konversation und jeder Mitspieler und jede Mitspielerin kann genau so viel zu einer Szene beitragen wie die Spielleitung. Diese Freiheit hat aber auch ihren Preis.

Ich persönlich bin etwa ein großer Freund von strategischen Gefechten in Rollenspielen und die gibt es in Candela Obscura überhaupt nicht. Gefechte werden hier ebenfalls komplett narrativ gelöst, ohne Lebensbalken für Gegner oder Initiativ-Folge. Das macht Spaß, keine Frage! Es liegt nur nicht jedem, da vor allem die Spielleitung viel Improvisations-Vermögen mitbringen muss, um der Gruppe nicht das Gefühl zu geben, komplett willkürlich zu agieren.

Viel ist hier letztlich auch Geschmackssache. Wer gerne Geschichten erzählt, wenig Geduld für Regelwüsten mitbringt und das Setting mag, der wird mit Candela Obscura trotz aller verfehlter Gelegenheiten hervorragend zurechtkommen. Und sei es nur, um einen Abend lang mal etwas anderes auszuprobieren.

Fazit der Redaktion

Fabiano Uslenghi
@StillAdrony

Ich bin mir ziemlich sicher, dass Candela Obscura weniger Aufmerksamkeit genießen würde, wenn dahinter nicht Critical Role und deren Armada an leidenschaftlichen Fans stehen würde. Ich selbst hätte es mir wahrscheinlich nicht geholt, sondern stattdessen über Weihnachten eine Cthulhu-Runde gestartet.

Ich halte das aber trotzdem für nicht besonders dramatisch und begrüße diesen Schritt sogar. Denn dem Hobby kann es nur guttun, wenn den Massen an CR-Fans bewusst wird, dass es da draußen noch mehr gibt als Dungeons & Dragons. Und Candela Obscura ist tatsächlich ein gutes Sprungbrett hin zu etwas ausgeklügelteren Systemen wie eben Call of Cthulhu. Was nicht heißen soll, dass Candela Obscura selbst nicht spielenswert wäre! Vor allem dann, wenn euch grundsätzlich die Welt zusagt.

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