Nomad, Alcatraz, Prophet: Wer an Cryteks Shooter-Serie denkt, denkt sicher nicht an starke Charaktere. Wir verbinden mit den Spielen tolle Grafik, fetzige Action und diesen Superfummel, diesen Nano-Anzug, der sich seit Beginn wie eine zweite Haut über die Protagonisten gestülpt hat und ihnen so zwar beinahe so etwas wie Superkräfte schenkte, im Gegenzug aber Gesicht und Persönlichkeit raubte. Der letzte Serienteil, Crysis 3, hat erstaunlicherweise ein Gesicht. Es ist jedoch nicht das des Protagonisten, auch wenn der im letzten Teil nun endlich seine Stimme findet und mit seiner Umwelt kommuniziert.
Wir meinen das Gesicht eines Mannes, der uns schon aus dem ersten Crysis bekannt ist, uns da allerdings ebenso kalt gelassen hat wie all die anderen Typen auch. In Teil 3 allerdings wird Psycho für uns zum zentralen Charakter. Auch, weil Crytek ihn in eine so verflixt lebensechte Grafik gepackt hat. Aber in erster Linie, weil er eine so wunderbare Mischung aus tragischem Helden und Witzfigur abgibt, dass wir nicht wissen, ob wir ihn in oder auf den Arm nehmen sollen.
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Das heißt nun nicht, dass Crysis 3 auf der Handlungsebene alles richtig macht. Dem ist aber nicht so. Die Story wartet mit ein paar »Ach-du-lieber-Himmel«-Wendungen auf und drückt gegen Ende so derbe auf die emotionale Tube, dass wir uns manchmal leicht peinlich berührt abwenden wollen. Aber Psycho federt das alles bis zu einem gewissen Grad ab und schafft es sogar, das Spiel über weite Strecken auch abseits seiner eigentlichen Stärken (und davon hat Crysis 3 eine Menge) unterhaltsam zu machen.
Er ist der Kumpeltyp, mit dem wir gerne unterwegs sind, über den wir uns freuen, wenn er uns über Funk ins Ohr nuschelt und dem wir am Schluss die Hand mit einem »Gut gemacht!« auf den Lippen reichen wollen. Das alles nicht zuletzt wegen seines zumindest in der englischen Version herrlichen Akzents. Ob Psycho und alle anderen in der deutschen Version ebenso gut vertont sind, können wir leider noch nicht sagen, für den Test stand uns nur die englische Version zur Verfügung.
Pappnasen-Alarm im Liberty Dome
Aber ganz von vorn: Crysis 3 beginnt etliche Jahre nach dem zweiten Teil. Prophet, der ja eigentlich gar nicht Prophet ist und dann wieder doch (siehe »Hä?«-Ende von Crysis 2), strandet nach diversen Irrungen, Wirrungen und Kämpfen gegen die raffzahnige Cell Corporation wieder in New York -- beziehungsweise in dem, was noch von der Stadt übrig ist.
Viel ist das nicht. Cell hat sich die ehemalige Metropole nach der Ceph-Attacke in Teil zwei endgültig unter den Nagel gerissen und sich dort unter dem so genannten Liberty Dome ein lauschiges Terror- und Forschungshauptquartier errichtet. Zwischen Ruinen sprießt die Natur in all ihrer Pracht; Rehe, Eichhörnchen und Schmetterlinge können aber nicht von den riesigen Wachtürmen und den waffenstarrenden Soldaten ablenken, die aufmüpfige Rebellen und Ceph-Aliens in Schach halten sollen.
Doch Rebellen und Ceph-Aliens sind für den finsteren Cell-Konzern nicht das eigentliche Problem. Die einzigen Pappnasen, die wirklich stören, sind die Typen in den Nano-Anzügen. Typen wie Prophet, die aktiv und halbwegs erfolgreich weltweit gegen Cell kämpfen. Deswegen und weil‘s der Forschung dient, sammelt die Corporation die Nano-Helden systematisch ein, um sie aus den Anzügen zu schälen und unschädlich zu machen.
Jetzt soll Prophet an die Reihe kommen. Auf einem Boot im Hafen von New York harrt er in einem Gefängnis, das einem riesigen Safe für Nanofummel-Helden gleicht, seinem Schicksal. Doch Cell hat die Rechnung ohne die Rebellen gemacht. Unter der Führung eines längst aus seinem Nanosuit rausgeschnittenen Psycho wird Prophet befreit. Und ab da geht sie los, die Reise durch den Liberty Dome und durch ein fantastisches Spielerlebnis.
Origin-Zwang
Wer Crysis 3 auf dem PC spielen will, kommt nicht um Electronic Arts Online-Plattform Origin herum. Das Spiel muss über einen Key fest mit einem (kostenlosen) Origin-Account verbunden werden. Ein Wiederverkauf des Titels fällt damit flach. Fürs Spielen muss man aber immerhin nicht mit dem Internet verbunden sein.
Staun-Grafik
Crysis 3 schmettert uns seine größte Stärke gleich zu Beginn mit voller Wucht ins Gesicht. Bei Nacht. In einem echten Sauwetter. Als Psycho uns befreit, schüttet es wie aus Kübeln. Das Boot, die Aufbauten und eigentlich alles um uns herum ertrinkt in der senkrecht in der Luft stehenden Regenwand. Die schwarze Wasseroberfläche des New Yorker Hafens suggeriert eine abgründige Tiefe, die uns erschauern lässt.
Ganz kurz wünschen wir uns einen Schirm aufspannen zu können, aber der würde nur die Sicht auf die Grafikpracht versperren. Denn so abweisend die Umgebung beim Spielstart wirkt, so heimelig wird sie an anderen Stellen. So staunen wir im Handlungsverlauf über mild im Wind wogendes Gras, blumig buntes Buschwerk und vor saftig-grünem Blattwerk geradezu strotzende Baumriesen, die sich in einen azurblauen Himmel schrauben - ehrfurchtgebietend, was diese Engine leistet.
Die üppige Vegetation darf uns übrigens auch mal fesseln, eher ruhige Erkundungspassagen sind durchaus möglich, es wird nicht dauernd geschossen. Allerdings bemerken wir recht schnell, dass schmalere Gewächse (wie in Teil eins) wieder umgeholzt werden können, der Baumfäller in uns jubiliert. Noch später im Spiel durchschleichen wir in der Nacht offene Grasflächen und Ruinen, punktuell und gruselig echt durch offenes Feuer oder Suchscheinwerfer erhellt. Das vorletzte und größte Level (beziehungsweise Kapitel) entzückt uns mit post-apokalyptischer Verwüstung unter einem zerstörten Himmel, in den Ceph-Abwehrgeschütze blaue Blitze stanzen. Unter ohrenbetäubendem Lärm.
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Ja, nicht nur die Optik von Crysis 3 gefällt uns ausnehmend gut, auch die dichte Soundkulisse beeindruckt uns im Kleinen wie im Großen. Nur in ein paar Momenten fallen die Orchester-Brachialklänge etwas zu brachial aus, Stichwort »auf die emotionale Tube drücken«. Der Elektro-Klangteppich, mit dem das Spiel hin und wieder untermalt ist, gefällt uns da deutlich besser. Dass die Buggys, auf die wir später Zugriff haben, sich wie altersschwache Nähmaschinen anhören, ist ein ärgerlicher Schönheitsfehler, aber nicht mehr.
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