Cyberpunk 2077 1.3: Wie es sich anfühlt, wenn man jetzt erst anfängt

Der bisher größte Cyberpunk-Patch 1.3 wird heiß diskutiert. Aber wie rund und fehlerfrei wirkt der Rollenspiel-Blockbuster, wenn man ihn erst jetzt zum ersten Mal spielt?

Manchmal gönnt man sich auch als Chefredakteur ein bisschen Luxus. Also abgesehen vom täglichen Bad im Geldspeicher, versteht sich. Und mein Luxus war, Cyberpunk 2077 bis dato nicht anzufassen. Der Grund ist simpel: Zum Release fehlte mir schlicht ein ausreichend leistungsstarker Privat-PC (verfluchte Grafikkarten-Knappheit!), um das Rollenspiel von CD Projekt mit maximalen Details spielen zu können. Und die Konsolenversion kam aus bekannten Gründen ohnehin nicht in Frage.

Da ich die Cyberpunk-Berichterstattung zudem bei den Kollegen Dimi und Maurice in besten Händen wusste, konnte und wollte ich es mir in dem Fall erlauben, das wichtigste Spiel des letzten Jahres erst 2021 anzuschauen.

Seitdem ist viel passiert, vorsichtig formuliert: Unser Cyberpunk-Test wurde zum meistdiskutierten Artikel der GameStar-Geschichte, CD Projekt zur Zielscheibe von berechtigter Kritik (auch und vor allem in Bezug auf die völlig verkorkste Konsolenversion), aber auch von kriminellen Hacking-Angriffen, und ich bin seit zwei Wochen stolzer Besitzer eines leistungsstarken Gaming-PCs.

Jetzt also endlich mein erster Durchgang mit Cyberpunk 2077, praktischerweise pünktlich zum bislang größten Update 1.3. Was das alles verbessert, hat Kollege Fabiano für euch im Detail analysiert:

Viele von euch werden sicher jetzt ebenfalls darüber nachdenken, ob sie dem wohl polarisierendsten Spiel der letzten Jahre eine Chance zu geben sollen. Und vielleicht können euch meine (rein subjektiven) Eindrücke eines großen Rollenspiel- und Witcher-Fans bei der Entscheidungsfindung helfen.

Die Diskussion um Cyberpunk 2077

Mir ist bewusst, dass dieser Artikel zwar als Einzelmeinung gekennzeichnet ist, aber auch im Kontext unserer Berichterstattung von Cyberpunk diskutiert werden wird. Dazu habe ich mich schon häufig an unterschiedlichster Stelle geäußert, möchte aber hier nochmal kurz zusammenfassen, was meine Haltung zu dem Thema ist:

  • Ja, es war ein Fehler, auf Basis der Vorabversion eine Wertung zu vergeben. Wir hätten uns nicht darauf verlassen dürfen, dass unser größtenteils problemfreies Durchspielen exemplarisch ist. Und nein, auch uns macht es keinen Spaß, ein Spiel direkt nach dem Test wieder abzuwerten.
  • Ich bin nach wie vor (beziehungsweise jetzt noch mehr) der Überzeugung, dass unser Cyberpunk-Test die Wertung für den Großteil unserer Community nachvollziehbar argumentiert. Sonst hätte sie Cyberpunk 2077 trotz aller Probleme nicht mit weitem Abstand zum besten Spiel des Jahres 2020 gewählt.
  • CD Projekt hat dennoch ohne Frage viele Fehler gemacht und ist in der Bringschuld. Zum einen bei Cyberpunk selbst, zum anderen beim Verbessern der internen Strukturen und Arbeitsbedingungen, damit es bei künftigen Projekten nicht mehr zu Crunch kommt. Dass das Studio nach Cyberpunk 2077 nicht einfach so weitermachen kann, haben Micha und Unternehmensberater Human Nagafi auch in unserem Podcast besprochen:

Link zum Podcast-Inhalt

1. Die Cyberpunk-Diskussion beeinflusst mein Spielerlebnis

Dieser Eindruck hängt maßgeblich davon ab, wie intensiv ihr die Diskussionen rund Cyberpunk 2077 verfolgt habt. Berufsbedingt liege ich hier logischerweise am oberen Ende der Skala, und ich merke bereits bei meinen ersten Schritten durch Night City, wie stark sich das auf meine Wahrnehmung des Rollenspiels auswirkt.

In nahezu jedem Open-World-Spiel wird die Welt von Klonen bevölkert, und Cyberpunk 2077 liefert eigentlich ein echt großes Spektrum an Passanten, trotzdem springt es mir regelmäßig ins Gesicht, wenn mir zwei identische Figuren begegnen.

Ähnliches gilt für die Clipping-Fehler, auch die gehören in 3D-Rollenspielen fast schon zum Genre-Standard. Trotzdem kann ich sie in Cyberpunk deutlich schlechter ausblenden als in anderen Titeln. Und das ärgert mich, weil ich weiß, dass dies eigentlich unfair ist.

Hui!-Moment Die Dialoge von Cyberpunk fühlen sich in vielerlei Hinsicht wie echte Gespräche an, allein schon weil ich mich in der Regel frei umschauen und bewegen kann. Insbesondere bei den Animationen betreibt CD Projekt einen enormen Aufwand

Pfui!-Moment Auf den dicht bevölkerten Straßen von Night City rennen mir regelmäßig Klone über den Weg, was angesichts der außergewöhnlichen Figurendesigns deutlich stärker ins Auge fällt als in anderen Open-World-Spielen.

Denn die meisten grafischen Unschönheiten rühren daher, dass Cyberpunk 2077 rein technisch betrachtet in vielerlei Hinsicht Herausragendes leistet, zumindest auf dem PC. Auf den Straßen ist nun mal deutlich mehr los als in vergleichbaren Titeln, keine andere Open World bietet eine derart frei erkundbare Großstadt. Und in jeder Szene gibt es unzählige physikalische Objekte, die miteinander interagieren, was einerseits für eine enorm glaubwürdige Welt sorgt, andererseits aber eben auch für viele Clipping-Fehler.

Die Spielerlebnis-Beeinflussung wirkt allerdings nicht nur in negativer Hinsicht, auch die großen Stärken von Cyberpunk nehme ich bewusster wahr, als ich es vielleicht unter normalen Umständen tun würde. So kann ich mich einfach nicht an den sensationell inszenierten Dialogen satt sehen. Noch nie haben sich für mich Gespräche in einem Rollenspiel derart echt und natürlich angefühlt.

Und immer wieder ertappe ich mich, wie ich freiwillig die Schnellreise ignoriere, um zu Fuß oder mit dem Motorrad die vielen atmosphärischen Details und das sensationelle Raytracing förmlich in mich aufzusaugen. Seit Red Dead Redemption 2 hatte kein Spiel solch einen Sightseeing-Faktor für mich.

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2. Ich finde keine schwerwiegenden Bugs oder Fehler

Mittlerweile schleiche, hacke, schnetzle und schieße ich mich seit rund 30 Stunden durch Night City. Als passionierter Fragezeichen-Abhaker nehme ich dabei wie schon in The Witcher 3 alles mit, was mir die vollgepackte Map entgegenwirft. Und von den omnipräsenten Clipping-Fehlern einmal abgesehen klappt das bis auf ein paar Kleinigkeiten problemlos:

  • Ab und zu kann ich Gegenstände nicht aufheben, weil sie mit anderen in Konflikt stehen. Ein beherzter Schuss ins Objektgetümmel behebt das Problem, Physik sei Dank.
  • Einmal verweigert meine Pistole das Schießen über Kimme und Korn, hier hilft nur ein Neuladen des Spielstands.
  • In einer Nebenmission bleibt das Fadenkreuz sichtbar, obwohl ich im Auto sitze. Also aussteigen, Waffe wechseln, Waffe wegstecken, wieder einsteigen.

Wie bei Punkt 1 beschrieben, spiele ich Cyberpunk 2077 mit großer Bug-Sensibilität, weshalb ich sogar Fehler wähne, wo keine sind - etwa als ich fünf Minuten lang verzweifelt versuche, den Eingang in einen Laden zu finden und bereits das Spiel verfluche … bis ich feststelle, dass der Laden um 6 Uhr morgens schlicht noch geschlossen hat.

Umso stärker sticht der einzige Quest-Bug hervor, auf den ich stoße: In der Quest »These Boots Are Made For Walking« soll ich als Nomade mein altes Auto auf dem Schrottplatz suchen … nur dass beim Questmarker nichts steht. Ein Fehler, der erst seit Update 1.3 passierte und inzwischen mit dem Update 1.31 auch direkt wieder behoben wurde.

Ey Mann, wo ist mein Auto!? Der einzige Quest-Bug, auf den ich in 30 Spielstunden bislang gestoßen bin. Ey Mann, wo ist mein Auto!? Der einzige Quest-Bug, auf den ich in 30 Spielstunden bislang gestoßen bin.

Gefühlt würde ich Cyberpunk 2077 auf dem Fehlerfreiheits-Niveau eines The Witcher 3 zu Release sehen. Das ist zehn Monate nach Verkaufsstart alles andere als ein Ruhmesblatt für CD Projekt. Aber auch nichts, dass euch vom Spielen abhalten sollte, wenn ihr Cyberpunk eine Chance geben wollt.

3. Es gibt viele kleine Dinge, die mich trotzdem nerven

Es sind also nicht die Bugs, die mich immer mal wieder aus der zum Schneiden dichten Cyberpunk-Atmosphäre reißen, sondern eher die vielen anderen kleinen Unzulänglichkeiten des Rollenspiels:

  • Passanten hocken sich bei Schusswechseln viel zu häufig albern mit wedelnden Armen auf den Boden, statt zu fliehen.
  • Das Navigationssystem versagt immer mal wieder seinen Dienst und führt mich nur über Umwege zum Ziel.
  • Ich kann die Fahrzeugsteuerung nicht doppelt belegen, weshalb ich je nach Mission (Muss ich auch schießen oder nur schnell fahren?) zwischen WASD und Pfeiltasten umschalte.
  • Nach wie vor kann ich beim Schleichen mein Opfer nur dann in den Schwitzkasten nehmen, wenn sie mir im perfekten Winkel den Rücken zu drehen, was ich selbst nach 30 Spielstunden immer noch nicht richtig einschätzen kann.

Das alles nervt mich in Cyberpunk 2077 mehr, als es das in anderen Open-World-Spielen tut, einfach weil hier die Fallhöhe so viel größer ist. In seinen besten Momenten erschafft CD Projekt mit beispiellosem Aufwand eine Immersion, wie ich sie noch nie zuvor in einem Rollenspiel erlebt habe … nur um sie ein paar Minuten später zu zerdeppern, weil ein paar Fußgänger zu doof sind, vor einer wilden Schießerei zu fliehen.

Wow!-Moment Es ist mir schon lange nicht mehr in einem Rollenspiel passiert, dass ich minutenlang verweile, um einfach nur die Welt in mich aufzusaugen.

Nerv!-Moment Ich würde es ja verstehen, dass ihr auf dem Boden kauert, wenn die verdammte Schießerei nicht schon seit Minuten vorbei wäre!

In einem Tales of Arise (was ich aktuell als Co-Tester parallel spiele), passiert das nicht. Aber da ist die Welt eben auch in kleine ebenerdige Level unterteilt, Dialoge werden mit festen Kamera-Einstellungen abgespult, und Feinde verpuffen nach dem Kampf einfach, statt als physikalische Objekte in der Welt zu verbleiben.

4. Ein großartiges Rollenspiel, aber nach wie vor kein rundes

Ich habe große Zweifel, dass sich Cyberpunk 2077 jemals so rund anfühlen wird, wie es bei The Witcher 3 ab Version 1.3 (alias der Game of the Year Edition) der Fall war. Dazu müssten zu viele Systeme wie die Objektphysik, das Leveldesign oder das NPC-Verhalten zu grundlegend überarbeitet werden.

Auf der anderen Seite gibt es genau deshalb aus meiner Sicht auch keinen Grund mehr, mit eurem ersten Spieldurchlauf zu warten. Cyberpunk 2077 lässt sich inzwischen zu 99 Prozent problemlos genießen, so lange ihr euch bewusst macht, dass ihr es hier mit einem storylastigen Rollenspiel zu tun habt, das wie schon The Witcher 3 seine Open World in erster Linie als zwar schöne, aber letzten Endes doch recht statische Kulisse nutzt.

Wer sich eine glaubwürdig simulierte Welt wie in Red Dead Redemption, Skyrim oder Elex wünscht, wird diese auch in Zukunft vergeblich suchen. Es hat seine Gründe, warum es Cyberpunk nicht in unsere Top 10 der besten Open-World-Spiele geschafft hat:

Die besten Open-World-Spiele - Wir stellen euch unsere Top 10 im Video vor Video starten 4:08 Die besten Open-World-Spiele - Wir stellen euch unsere Top 10 im Video vor

Falls ihr euch von Cyberpunk 2077 hingegen in erster Linie eine außergewöhnliche Rollenspiel-Erfahrung erhofft, dann bin ich sehr zuversichtlich, dass ihr schon jetzt glücklich werdet. Denn so sehr mich die kleinen Fehler und Unzulänglichkeiten hin und wieder nerven, so sehr beeindruckt mich doch das große Ganze. Zum einen technisch: Neben dem Flight Simulator ist Cyberpunk 2077 das einzige aktuelle PC-Spiel, bei dem mein neuer Rechner wirklich zeigen kann, was er drauf hat.

Zum anderen aber auch spielerisch: Egal ob schießend, hackend oder schleichend - es macht einfach eine Riesenlaune, mir mit großer spielerischer Freiheit in Night City einen Namen zu machen. Und einige der Missionen zählen definitiv zum Besten, was ich in meinem 35 Jahren als Rollenspieler erlebt habe. Die Geschichten und Charaktere von Cyberpunk begleiten mich weit über die eigentliche Spielzeit hinaus, und viele von ihnen werden sich für immer in mein Gedächtnis einbrennen.

Ob all das auch schon für die Release-Version von Cyberpunk 2077 und auf meinem sechs Jahre alten PC mit einer GTX970 gegolten hätte? Ich weiß es nicht. Aber ich bin froh, gewartet zu haben.

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