Cyberpunk 2077 im Test: Ein Rollenspiel, das ihr nicht vergessen werdet

Cyberpunk 2077 ist endlich da. Aber liefert das meisterwartete Spiel 2020 im Test wirklich den von Fans erträumten Rollenspiel- und Open-World-Messias? Die Antwort ist erfreulich, wenn auch kompliziert.

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Nachträgliche Abwertung: Weil die Release-Version von Cyberpunk 2077 nach dem Day One Patch wider aller Erwartungen schlechter läuft als unsere Testversion, müssen wir dem Spiel den Platin-Award nachträglich aberkennen. An den spielerischen Stärken, der meisterhaften Story ändert sich dadurch nichts. Aber viele Fans müssen derzeit zu viele Kompromisse eingehen, um das Spiel reibungslos auf PC spielen zu können. Mehr dazu in unserer ausführlichen Begründung zur Abwertung.

Macht euch gar nicht erst was vor. Ich weiß genau, was ihr vorhabt. Ja, auch ihr da hinten. Die meisten von euch haben nämlich jetzt gar keinen Bock, sich hier jetzt durch fast 40.000 Zeichen Erklärungstext zu ackern, wenn euch eh bloß eine einzige Frage unter den Nägeln brennt. Eine einzige nervenaufreibende Frage. Euer Maus-Cursor kreist doch schon über dem Link zum Weiterklicken. Weil ihr es unbedingt wissen müsst:

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Okay, ich hör schon auf. Keine blöden Witze, das hier ist ernst. Es geht schließlich um Cyberpunk 2077. Kein anderes Spiel hat in den letzten fünf Jahren für so viel Wirbel, Hype, aber auch Druck gesorgt. Druck für CD Projekt, die seit 2013 an ihrem bisher größenwahnsinnigsten Open-World-Projekt schrauben. Wirbel bei der Konkurrenz, die ihre eigenen großen Spieleveröffentlichungen schön weit von Cyberpunk wegschieben. Und Hype bei unzähligen Rollenspiel-Fans da draußen, die gerade angespannt ihre Fingernägel in ihre Stuhllehne bohren, weil ihnen seit Monaten eine Frage das Hirn zermartert: Ist. Cyberpunk. Denn. Nun. Fantastisch?

Alle Guides, Tipps und die Komplettlösung zu Cyberpunk 2077

Wir erstellen täglich neue Guides und Hilfen zu Cyberpunk 2077. Wenn ihr Hilfe bei technischen Problemen oder Tipps für das eigentliche Spiel braucht, dann klickt oben auf das Bild oben, um zu unserer Guide-Sammelstelle für Cyberpunk 2077 zu kommen. Dort gibt es unter anderem:

Keine Sorge, ihr müsst gar nicht zum Fazit springen, ich gebe euch die Antwort gleich hier: Ja, ist es. Cyberpunk 2077 ist ein Meisterwerk. Eines der besten Spiele, die ich je gespielt habe. Night City hat mir in den knapp sechs Testtagen viele Momente beschert, die ich niemals vergessen werde. Ich habe gelacht, gebangt, geflucht, Menschen ins Herz geschlossen, andere gnadenlos verfolgt, mich in dieser faszinierenden Open World aus Dreck, Chrom und Neon-Träumen verloren. Ich wurde so oft überrascht wie in noch keinem Open-World-Spiel seit Skyrim.

Und ich werde in diesem Test keine einzige davon spoilern, damit ihr das verflucht nochmal selbst erlebt. Damit ihr wie ich vor eurer eigenen Endsequenz hockt, euch tapfer die Tränchen wegdrückt, während ihr auf eine Reise zurückblickt, mit der ihr wahrscheinlich jahrelang anderen Leuten auf die Nerven geht, weil »Cyberpunk 2077 eh viel besser ist als XY«. Ihr wisst schon. Wie bei The Witcher 3.

Aber Cyberpunk 2077 ist nicht überall ein Meisterwerk. Und das ist wichtig. Falls ihr nämlich tatsächlich ein neues Witcher 3 erwartet oder einen gefälligen Shooter oder eine 200-Stunden-Open-World wie in Assassin's Creed: Odyssey, dann steht euch eine Überraschung bevor: Cyberpunk 2077 spielt nach ganz eigenen Regeln. Einige davon herausragend, andere gewöhnungsbedürftig. Vor dem Kauf solltet ihr unbedingt verstehen, wodurch Cyberpunk 2077 zum Meisterwerk wird. Und wodurch nicht. Wie ihr das erfahrt? Na, lest gefälligst meine 39.000 Zeichen. Denn das »Wie?« ist bei Cyberpunk 2077 fast genauso spannend wie das Spiel selbst. Gut, und der Test war echt viel Arbeit. Also tut mir den Gefallen.

Keine Chance den Spoilern!
Wir haben uns bemüht, einen komplett spoilerfreien Test zu Cyberpunk 2077 zu schreiben, was bei einem derart storylastigen Spiel alles andere als einfach ist. Natürlich beschreiben wir, worum es grundsätzlich geht und nennen auch einige unwichtige Beispiele für Nebenmissionen, aber verraten nichts Entscheidendes - ihr könnt also beruhigt weiterlesen. Und wir möchten euch bitten, in den Kommentaren ebenfalls keine Spoiler zu posten. Wer es dennoch tut, muss damit rechnen, dass der entsprechende Post ausgeblendet wird.

Das Gegenteil moderner Open Worlds

Cyberpunk 2077 ist das genaue Gegenteil von Watch Dogs, Assassin's Creed und Co. Wo bei Ubisoft die Open World im Zentrum steht und sich die Story dem unterordnet, handhabt es Cyberpunk 2077 genau umgekehrt. Dieses Spiel lebt durch und durch von seiner Geschichte. Die Jagd nach klimpernden Beutetruhen oder abwechslungsreichen Open-World-Aktivitäten existiert zwar auch in Cyberpunk, aber glaubt mir: Wenn euch die Story einmal packt, wollt ihr so sehr wissen, wie's weitergeht, dass ihr bisweilen die beeindruckende Open-World-Stadt drum herum vergesst.

Neoreklamen, verrückte Gangs und dicke Knarren sind nur eine Facette von Cyberpunk. Wer will, schleicht und hackt sich zum Erfolg oder löst eine Situation auch mal friedlich. Neoreklamen, verrückte Gangs und dicke Knarren sind nur eine Facette von Cyberpunk. Wer will, schleicht und hackt sich zum Erfolg oder löst eine Situation auch mal friedlich.

Dabei beginnt die Geschichte gar nicht so spektakulär - und auch hier handhabt es Cyberpunk 2077 anders als die meisten modernen Spiele. Statt in den ersten fünf Stunden mit Krachbumm alle Register zu ziehen und die gezeigten Inhalte danach stundenlang zu recyceln, hebt CD Projekt den Vorhang am Anfang bloß ein kleines bisschen: Die ersten fünf Stunden schicken euch durch einen linearen Story-Tunnel mit wenigen Entscheidungen, der die vermeintlich klassischste Aufsteiger-Geschichte auf dem Planeten erzählt: Als Söldner oder Söldnerin V bereise ich den kalifornischen Großstadt-Moloch Night City, um Glanz, Glorie und jede Menge Moneten zu verdienen.

Zu Beginn des Spiels lässt mich der Charaktereditor nicht nur über Geschlecht, Aussehen, Frisur und Penislänge (ja) entscheiden, sondern auch eine von drei möglichen Biographien für euren V wählen. Dadurch verändert sich die erste halbe Stunde komplett. So beginnt mein männlicher V als Nomade in der Wüste und muss sich durch den Grenzposten in die Stadt schmuggeln.

Die weibliche V von Co-Tester Maurice ist hingegen Angestellte beim Megakonzern Araska. Und als Straßenratte beginnt man - ihr ahnt es - auf der Straße. Alle drei Pfade münden aber rasch ins gleiche Ergebnis: Mit meinem besten Kumpel Jackie friste ich ein Freelancer-Dasein auf der Jagd nach Ruhm. Doch der Schein trügt gewaltig.

Drei Lebenspfade: Corporate V arbeitet im Prolog für den gigantischen Arasaka-Konzern. Dieser Pfad gibt eurer Figur umfassendes Wissen, wie Konzerner ticken.

Nomade Als Nomade kennt sich V mit dem Leben jenseits von Night City aus, hat selbst in einem Stamm gelebt. Gerade in den Wüstenquests erhaltet ihr dadurch zusätzliche Dialogoptionen.

Street Kid Als Kind der Straße kennt sich V mit Gossensprache und den Gepflogenheiten der Unterwelt aus.

Spoilerfrei: Worum geht's hier eigentlich?

Vs Aufstieg in Night City passiert eigentlich eher nebenbei. Die Geschichte selbst dreht sich um das Gegenteil: das unausweichliche Scheitern, das Zerplatzen von Träumen, den Umgang mit Niederlagen - und das völlige Verwischen jeder Schwarz-Weiß-Zeichnung. Was CD Projekt mit der Bloody-Baron-Quest und den Addons von The Witcher 3 auf den Weg brachte, erreicht in Cyberpunk 2077 Perfektion. Seit dem ersten Deus Ex hat mich kein Spiel mehr so zum Nachdenken gebracht.

In Night City können etwa Erinnerungen zu VR-Filmen digitalisiert werden. Noch während ich über die Vorteile von sowas nachdenke (begehbare Urlaubs-Fotoalben), zeigt mir das Spiel: Natürlich entsteht daraus eine Snuff-Pornoindustrie, die ich aktiv durchleben muss. In Night City können Erinnerungen aber auch gelöscht werden, was Bordelle beispielsweise nutzen, um ihre Prostituierten vor Traumata zu schützen. Uff. Und lässt sich ein Mensch wirklich kopieren, wenn man sein ganzes Gehirn digitalisiert? Oder sind wir am Ende doch mehr als Hirnfunktionen und Biochemie?

Cyberpunk 2077 pfeift auf bequemes Storytelling, konfrontiert euch mit Unbehagen, Ambivalenz, mit faszinierenden Grübeleien. Das gilt auch für die fantastischen Nebenfiguren. Ex-Rockstar Johnny Silverhand (verkörpert von Keanu »You are breathtaking« Reeves) ist - und ich zitiere hier den Kollegen Graf - ein Arschloch vor dem Herrn. In Rückblenden lerne ich ihn auf eine derart ekelerregende Art kennen, dass ich mir danach sicher bin: Dieses Scheusal werde ich niemals mögen können.

Johnny Silverhand ist die wichtigste Nebenfigur des gesamten Spiels. Und auch im Deutschen unglaublich gut von Keanu Reeves Synchronsprecher Benjamin Völz vertont. Johnny Silverhand ist die wichtigste Nebenfigur des gesamten Spiels. Und auch im Deutschen unglaublich gut von Keanu Reeves Synchronsprecher Benjamin Völz vertont.

Zehn Spielstunden später hat Cyberpunk 2077 meine felsenfeste Meinung komplett erodiert. Silverhands scheußliche Seite wird nicht verharmlost, aber in Kontext gesetzt: Auch ein Arschloch ist nie nur ein Arschloch - und das Leben verflucht kompliziert.

Ich weiß, ich reite den Punkt ein wenig, aber noch ein Beispiel: Anfangs wirken die großen Konzerne von Night City wie das übliche sinistre Kapitalisten-Konglomerat, doch ein japanischer Gefährte von V erzählt uns, wie er als Kind in den Slums leben musste, bevor ein Konzern ihn für das eigene Leibwachen-Militär rekrutiert hat. Nach dem Gespräch hocke ich da und denke mir: Wäre ich in so einer Welt nicht auch lieber Konzern-Lakai?

Sorry, dass ich hier so vage bleiben muss, aber ihr solltet all diese Überraschungen wirklich selbst erleben. Jede Nebenfigur besteht aus mehr als einer Facette, bringt mich zum Lachen, zum Nachdenken, wächst mir ans Herz, geht mir auch mal auf den Zeiger. Und ist auf Deutsch und Englisch fantastisch vertont, in puncto Mimik überzeugend vorgetragen. Ich lerne diese Menschen wirklich kennen, knüpfe mit manchen sogar eine komplexe romantische Beziehung (und nicht bloß eine schnelle Sex-Nummer), die bis ins Finale relevant bleibt. Und wo wir schon beim Finale sind, reden wir jetzt mal über was wirklich konkretes: die Spielzeit.

Wir haben Cyberpunk 2077 sechs Tage lang mit zwei Haupttestern und zwei Perspektiven gespielt: Maurice (AMD Ryzen 5 3600, Geforce RTX 3080) repräsentiert die klassischen Rollenspiel-Enthusiasten, ich (AMD Ryzen 5 3600, Geforce RTX 2080 Super) komme eher aus der Shooter-, Open-World- und Deus-Ex-Richtung. Wir haben uns täglich abgesprochen, beide das gesamte Spiel durchgespielt und unterschiedliche Quest- und Gameplay-Vorgehensweisen gewählt. Dabei sind wir auf keinerlei Quest-Bugs gestoßen, die sich nicht durch Neuladen beheben ließen. Während des Testzeitraums hat CD Projekt einen 45 GB großen Patch aufgespielt, der so viele Bugs und Glitches entfernt hat, dass wir die PC-Version (PS4 haben wir nicht gespielt) im für bewertbar hielten. Trotz gelegentlicher Glitches (schwebende Waffen). Wir konnten jedoch die Performance der Release-Version noch nicht final einschätzen.

Zum einen hatte die Review-Version einen speziellen Denuvo-Kopierschutz, der die Leistung etwas drosselt (der fliegt zum Release raus!), zum anderen fehlte uns der Day-One-Patch. Was wir euch aber sagen können: Auf unserem Testrechner (AMD Ryzen 5 3600, Geforce RTX 2080 Super) lief Cyberpunk 2077 ohne Raytracing mit stabilen 60 Bildern in höchster Detailstufe. Mit mittlerem Raytracing in allen Bereichen (Schatten, Reflexionen, Beleuchtung) und automatischem DLSS schafften wir ebenfalls die 60 fps, aber nicht konstant. Mit einer RTX 3080 haben wir hingegen selbst mit RTX-Ultra-Settings in 1440p fast durchgängig 60 Bildern pro Sekunde. Pünktlich zum Release haben wir bereits einen ersten Technik-Check zu Cyberpunk 2077 getippt, der auf die Performance der Release-Version auf mehreren Testsystemen eingeht.

Wegen dieser Situation haben wir uns ursprünglich die Option offen gehalten, Cyberpunk 2077 im unwahrscheinlichen Fall abzuwerten, dass der Day One Patch mehr kaputtmacht als er fixt. Und tatsächlich ist genau dieser Fall eingetreten. Mehr dazu in unserer Abwertungs-Begründung.

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