Cyberpunk 2077 Hack: Wer hier applaudiert, hat nichts verstanden

Meinung: CD Projekt wird erpresst, und Teile der Community feiern dies als »gerechte Strafe«. Für Heiko zeugt das nicht nur von Charakterschwäche, sondern ist vor allem zu kurz gedacht.

Ich habe echt eine lange Lunte, aber eine Sache bringt mich zuverlässig binnen Sekunden auf die Palme: Schadenfreude. Mir will schlicht nicht in den Kopf, wie man sich darüber lustig machen kann, dass es anderen Menschen schlecht geht.

Eine Extraportion Häme und Schadenfreude wird gerade über CD Projekt ausgekübelt. Die Entwickler von The Witcher und Cyberpunk 2077 sind Opfer eines Hacking-Angriffs geworden. In einem Erpresser-Schreiben drohen die mutmaßlichen Täter, die gestohlenen Daten zu veröffentlichen. Mittlerweile werden die Daten angeblich für Unsummen im Netz versteigert.

Was für ein Fest für den zynischen Teil des Internets! Angefangen bei mehr oder weniger unsensiblen Gags (Ja, Hacking-Minispiel von Cyberpunk - ich hab's verstanden!), über sardonische »Karma«-Sprüche bis hin zu wilden Verschwörungstheorien, dass dies alles nur eine fingierte PR-Kampagne von CD Projekt sei. Nicht nur auf Social Media, sondern auch bei uns in den Kommentaren.

Und womit hat sich CD Projekt diese Häme verdient? Mit dem verkorksten Release eines Spiels. Ja, selbst für Cyberpunk 2077 gilt: Es ist nur ein Spiel!

Der Autor
GameStar-Chefredakteur Heiko Klinge arbeitet seit November 2000 im Spiele-Journalismus und hat entsprechend viel Erfahrung mit meinungsstarken Communitys. Sein Ansicht nach wäre GameStar nie zu dem geworden, was es heute ist, wenn die Redaktion nicht von Anfang an viel Wert auf einen intensiven Meinungsaustausch mit den Leserinnen und Lesern gelegt hätte. Als langjähriger Chefredakteur des Branchen-Fachmagazins Making Games weiß er zudem, wie wichtig oder auch schädlich Communitys in der Spiele-Entwicklung sein können.

Aus Enttäuschung darf nie Hass werden

Wir stehen nach wie vor dazu, dass wir die PC-Version von Cyberpunk 2077 für ein sehr gutes Rollenspiel mit einer herausragenden Story halten. Aber ich kann alle verstehen, die enttäuscht von CD Projekt sind, weil Cyberpunk die persönlichen Erwartungen nicht erfüllt oder gar technische Probleme macht.

Und ich verstehe, wenn daraus Konsequenzen gezogen werden: Mit einem Kauf warten, bis das Spiel fehlerfrei ist. Eine Rückerstattung des Kaufpreises fordern. Vielleicht sogar nie wieder ein Spiel von CD Projekt erwerben. Alles legitim. Genau wie die Enttäuschung der Konsolen-Fans über die indiskutablen Last-Gen-Versionen. Kritik muss sichtbar sein, wenn sie Wirkung zeigen soll.

Was ich hingegen nicht verstehe: Wenn aus Enttäuschung über ein Unterhaltungsprodukt vollkommen irrational Hass und Häme für dessen Erschaffer werden. Das wäre ungefähr so, als würde ich mich über einen Autounfall meines Bäckers freuen, weil der mir mal verdorbenes Brot verkauft hat.

An Cyberpunk 2077 haben Hunderte Menschen jahrelang gearbeitet, die für das Release-Fiasko auf den Konsolen nur wenig bis gar nichts können. Die jetzt um die Sicherheit von persönlichen, sensiblen Daten fürchten. Vielleicht sogar um den Job, falls der Hack wirklich existenzbedrohend für CD Projekt sein sollte.

»Gute Entwickler finden doch easy einen neuen Job, dann vielleicht bei einem Arbeitgeber ohne Crunch«, lese ich dazu von den Zynikern. Klar, weil die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz inklusive wahrscheinlichem Umzug auch so ein Riesenspaß ist, insbesondere mit Familie und während einer Pandemie.

Wer diesen Menschen jetzt sagt, der Hack sei Karma, fair oder zu erwarten gewesen, möge bitte in den Spiegel schauen und sich fragen, wie fair er oder sie es finden würde, für die Fehler des eigenen Arbeitgebers Todesdrohungen zu bekommen und um die Sicherheit persönlicher Daten fürchten zu müssen.

Der Denkfehler der Zyniker

Ein weiteres Argument der Schadenfroh-Fraktion: Nur so würden es die Unternehmen lernen. Eine ebenso gefährliche wie egoistische Denkweise. Weil mir Unrecht widerfahren ist, möchte ich, dass andere Menschen leiden? Wie komme ich darauf, Enttäuschung über ein Unterhaltungsprodukt als legitimen Grund für das Begehen von Straftaten zu sehen?

Leidenschaft für Computerspiele ist grundsätzlich etwas Tolles, wenn sie aber derart ins Toxische umschlägt wie in diesem Fall, gefährdet sie das, was wir lieben. Denn was werden die Spiele-Entwickler aus dem Drama um Cyberpunk 2077 wohl eher lernen: Früheres oder späteres Präsentieren ihrer Spiele? Mehr oder weniger Kommunikation mit der Community? Innovation wagen oder lieber auf Nummer sicher gehen?

Die Antworten werden nicht in unserem Sinne sein. Schon jetzt höre ich in Gesprächen mit Publishern regelmäßig Cyberpunk als Argument, warum sie Ankündigungen und Informationen zu neuen Spielen zurückhalten. Als Konsequenz werden wir immer mehr Titel erleben, die drei bis sechs Monate vor Release überhaupt erst angekündigt werden - allein aus Angst vor Shitstorms, wenn nicht alles nach Plan läuft. Und Angst ist der schlechteste Ratgeber für mutige, innovative Spiele. Konstruktives Community-Feedback wäre ein weitaus besserer.

DevPlay: Warum Communitys so wichtig sind. Video starten PLUS 25:21 DevPlay: Warum Communitys so wichtig sind.

Warum ihr mir Mut macht

Viel schlimmer noch: Immer häufiger bekomme ich mit, dass talentierte Spiele-Entwicklerinnen und -Entwickler darüber nachdenken die Branche zu verlassen, weil sie sich den toxischen Kommentaren nicht mehr aussetzen wollen. Ja, selbstverständlich stehen hier auch die Unternehmen in der Verantwortung, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schützen oder sie durch bessere Planung und Kommunikation gar nicht erst in solche Situationen kommen zu lassen.

Aber wenn sich nicht schleunigst etwas ändert, befürchte ich einen gewaltigen kreativen Aderlass in der Spiele-Entwicklung. Und das nur, weil einige wenige verlernt haben, wie man konstruktiv kritisiert und respektvoll mit anderen Menschen umgeht.

Klartext zu User-Kommentaren - Seid weniger scheiße! Video starten 4:20 Klartext zu User-Kommentaren - Seid weniger scheiße!

Umso ermutigender finde ich, was ich in den allermeisten Kommentaren auf GameStar.de gelesen habe: Mitgefühl und Respekt für die Spiele-Hersteller - Unverständnis und Kontra für diejenigen, die eine Straftat rechtfertigen und beleidigend werden, nur weil sie von einem Spiel enttäuscht wurden. Ihr seid diejenigen, die mir die Hoffnung geben, dass sich die toxische Minderheit der Gaming-Community nicht durchsetzen wird. Wir sind mehr! Lasst uns das zeigen!

zu den Kommentaren (762)

Kommentare(656)
Kommentar-Regeln von GameStar
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.