Seite 2: »Die Pointe bringt der Spieler« - Interview: Im Gespräch mit Tim Schafer

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Making Games: Also ist die große Stärke von Spielen, dass man Humor nicht nur erleben, sondern auch erschaffen kann?

Tim Schafer: Ganz genau. So wie Shooter dem Spieler Waffen oder Superkräfte geben, kann man ihm auch die Möglichkeit verschaffen, wortgewandt und lustig zu sein. Es ist so, als ob man immer sein eigenes Autorenteam dabei hätte, das sich ständig neue Sprüche für einen einfallen lässt.

»Es gibt bereits viele lustige Momente in Spielen, selbst wenn sie ein ernstes Thema haben. Left 4 Dead hat zum Beispiel jede Menge witzige Höhepunkte.« »Es gibt bereits viele lustige Momente in Spielen, selbst wenn sie ein ernstes Thema haben. Left 4 Dead hat zum Beispiel jede Menge witzige Höhepunkte.«

Making Games: Wie erschafft man einen Witz, der interaktiv funktioniert?

Tim Schafer: Ein Teil der Lösung liegt darin, dass man den Witz aufteilt. Wir liefern die Rahmenbedingungen, aber die Pointe bring der Spieler. Oder zumindest sollte es so wirken, als würde sie vom Spieler kommen. Außerdem funktioniert vieles, das in anderen Medien funktioniert, auch bei Spielen, Überraschungen beispielsweise.

Making Games: Das richtige Timing kann für einen Witz entscheidend sein, aber im Spiel muss man die Kontrolle über die Zeit dem Nutzer überlassen.

Tim Schafer: Das stimmt nur zum Teil, denn wir haben zwar nicht die komplette Kontrolle über die Zeit, aber doch immerhin teilweise. Ein Animator kann beispielsweise eine Bewegung perfekt timen, ein Sprecher kann seinen Text in einer vorbestimmten Geschwindigkeit sprechen. Wir besitzen also eine Art Mikrokontrolle über das Timing.
Außerdem kann es durchaus von Vorteil sein, wenn der Spieler die Kontrolle über die Ereignisse behält. Im Film muss man sich alles ansehen, man muss sich durch Dialoge mit langweiligen Charakteren quälen. Im Spiel kann man diese Figuren ignorieren und selbst entscheiden, wie viel Zeit man mit welchen Personen in der Spielwelt verbringt.

Making Games: Im Gegensatz zum Fernsehen oder zum Kino hat sich Humor in der Spielebranche noch nicht durchgesetzt. Warum ist das so?

Tim Schafer: Bisher sind Spiele nur Unterkategorien von den verwandten Genres des Films. Und im Moment konzentriert man sich auf das Actiongenre. Viele Spiele wollen so sein wie die großen Sommer-Blockbuster. Aber es gehört auch zum Erwachsenwerden der Industrie, dass einige Entwickler experimentieren und Neues wagen. Meist braucht es einen großen Vorreiter, einen überwältigenden Kassenschlager, der den Leuten genug Mut macht, diesen neuen Entwicklungen zu folgen.

»Ich glaube nicht, dass der Humor dafür verantwortlich ist, dass Grim Fandango oder Psychonauts wenig erfolgreich waren. Da gibt es weit wichtigere und komplexere Gründe, etwa die Frage, ob die Spiele zum richtigen Zeitpunkt erschienen sind und für die richtigen Leute.« »Ich glaube nicht, dass der Humor dafür verantwortlich ist, dass Grim Fandango oder Psychonauts wenig erfolgreich waren. Da gibt es weit wichtigere und komplexere Gründe, etwa die Frage, ob die Spiele zum richtigen Zeitpunkt erschienen sind und für die richtigen Leute.«

Making Games: Was ist am Entwickeln eines lustigen Spiels riskant?

Tim Schafer: Das große Risiko liegt darin, dass man sich an Comedy versucht und das Ergebnis vielleicht gar nicht lustig ist. Wenn Comedy nicht lustig ist, ist sie gar nichts. Das ist der Unterschied zum Actiongenre, das auch dann noch Spaß macht, wenn es nicht originell ausfällt.

Making Games: Die Verkaufszahlen deiner Spiele Grim Fandango und Psychonauts waren enttäuschend. Haben die Kunden den Humor einfach nicht kapiert?

Tim Schafer: Ich glaube nicht, dass der Humor dafür verantwortlich ist. Da gibt es weit wichtigere und komplexere Gründe, etwa die Frage, ob die Spiele zum richtigen Zeitpunkt erschienen sind und für die richtigen Leute. Diese Aspekte bestimmen die Verkaufszahlen stärker als Comedy-Elemente.
Aber Humor ist eine schwierige Sache und nicht leicht zu erzeugen. Bei einem Ego-Shooter gibt es viele Grautöne zwischen toll und schrecklich. Comedy kennt nur schwarz und weiß, lustig oder nicht. Deshalb trauen sich so wenige Entwickler, sie anzugehen. Ich bin davon überzeugt, dass Humor sehr ansprechend sein kann, und je mehr Comedy-Spiele es gibt, desto mehr wird sich dieses Genre etablieren und desto mehr Kunden wird diese Art von Spielen erreichen. Zudem sind Comedy-Spiele langlebiger als andere Szenarien. Es dauert eine Weile, bis sie ihr Publikum finden, aber ich bekomme immer noch sehr viel positives Feedback zu diesen Grim Fandango und Psychonauts.

Making Games: Welche Lektion hast du aus den Verkaufsproblemen der beiden Spiele gezogen?

Tim Schafer: Aus Brütal Legend kein reines Comedy-Spiel zu machen. Wenn man keinen Sinn für Humor hat, kann man es auch vollkommen ernst nehmen, und das Spiel wird trotzdem über die Action funktionieren. So versuchen wir, das Risiko abzufangen.

Making Games: Warum gibt es keine Parodiespiele von Titeln wie World of Warcraft oder The Sims, nicht mal von kleinen oder unabhängigen Entwicklern?

Tim Schafer: Wartet einfach, bis Brütal Legend ein Hit ist. Dann werden wir ganz plötzlich jede Menge Parodien sehen.

»Unsere wichtigste Inspirationsquelle für Brütal Legend sind die Klischees über Heavy Metal und Rock-Musik. Zu meiner Jugendzeit nahm man das sehr ernst, später machte man sich darüber lustig.« »Unsere wichtigste Inspirationsquelle für Brütal Legend sind die Klischees über Heavy Metal und Rock-Musik. Zu meiner Jugendzeit nahm man das sehr ernst, später machte man sich darüber lustig.«

Making Games: Was gefällt dir am Humor von Brütal Legend?

Tim Schafer: Unser Hauptcharakter Eddie Riggs ist verdammt wütend, und das ist wiederum lustig. Der Witz ist einerseits brutal und episch und doch zurückhaltender als in einer Kino-Parodie oder in einer Comedy-Serie. Der Humor ist nicht immer offensichtlich, und genau damit zu spielen macht den Reiz aus.
Unsere wichtigste Inspirationsquelle für das Spiel sind die Klischees über Heavy Metal und Rock-Musik. Zu meiner Jugendzeit nahm man das sehr ernst, später machte man sich dann darüber lustig. Heute machen Rock und Metal Spaß, weil sie beides gleichzeitig sind: manchmal über alle Maßen albern und im selben Moment auch großartig. Dieses Gefühl übertragen wir in unser Spiel. Brütal Legends Witz wurde vom Humor der Musik inspiriert.

Making Games: Also richtet sich Brütal Legend an die Über-40-Jährigen …?

Tim Schafer: Ältere Spieler werden wahrscheinlich mehr Spaß mit den ernsthafteren Seiten der Musik haben, während sich jüngere über den Blödsinn lustig machen können, der eben auch zu dieser Musik gehört. Zum Beispiel die engen Hosen und die albernen Frisuren.

Making Games: Wie entstehen die Witze für Brütal Legend? Denkst du sie dir selbst aus, arbeitet ihr sie im Team aus?

Tim Schafer: Ich versuche einfach, mich in die Figuren hineinzuversetzen. Ich schreibe eine Hintergrundgeschichte und versuche, den Charakter kennenzulernen. Ich finde heraus, was er mag, was er nicht mag und was er früher gemacht hat. Und dann improvisiere ich Dialoge, ähnlich wie ein Schauspieler auf der Bühne. Man muss in die richtige Stimmung kommen, denn es ist schwer, sich diese Dinge Stück für Stück und hier und da auszudenken.

Making Games: Wird der Humor auch in der deutschen Übersetzung funktionieren?

Tim Schafer: Ich glaube, dass sich das Humorverständnis von Deutschen und Amerikanern gar nicht so sehr unterscheidet. Außerdem verstehen gerade die Europäer nicht nur viel vom amerikanischen Humor, sondern auch von der amerikanischen Historie. Benjamin Franklin und Thomas Jefferson zum Beispiel haben damals in Day of the Tentacle blendend funktioniert. Die Übersetzung war sehr gelungen. Bei Brütal Legend kommen uns zudem die starken Heavy-Metal-Wurzeln in Europa und besonders in Deutschland, Norwegen und England entgegen.

Making Games: Gibt es so was wie universalen Humor?

Tim Schafer: (lacht) Naja, jeder lacht über Furzwitze.

Making Games: Wie steht es mit Slapstick? Die meisten Spiele scheinen sich mehr auf den Text als auf Animationen zu konzentrieren.

Tim Schafer: Das stimmt, vor allem seit sich Motion Capturing bei Spielen durchgesetzt hat. Es ist eben recht schwierig, talentierte Comedy-Darsteller zu finden. Andererseits können Animatoren inzwischen selbst kleine Gesten wie das Heben der Augenbraue oder ein schräges Lächeln umsetzten. Dieser körperliche Humor ist auch universal. Er braucht keine Übersetzung und wird überall auf der Welt verstanden.

Making Games: Du bist einer der wenigen Designer, die sich auf lustige Spiele konzentrieren. Warum?

Tim Schafer: Bei diesen Dingen hat man keine Wahl, zumindest geht es mir so. Wenn man leben will, muss man seinen Inspirationen folgen. So bin ich dahin gekommen, wo ich heute bin.

Das Gespräch führte Christian Schmidt.

Dieser Artikel erschien im Making Games Magazin Ausgabe 01/2009. Das Making Games Magazin ist die führende deutsche Publikation für Entwickler von Videospielen. Bei makinggames.de finden Sie alles Wissenswerte über Jobs in der Branche, Events in Deutschland, Best Practice in Studios und vieles mehr.

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