Es wird höchste Zeit, dass sich die Psychiatrie mit der Helden-Zwangsstörung befasst. Denn die Rettung der Welt - ach, die ist für die Erkrankten doch nur Firlefanz und allenfalls ein Anfang, in wahnhaftem Edelmut ruhen sie nicht, bevor nicht auch die letzte Jungfrau erschlagen, der letzte Drache gerettet ist (oder umgekehrt?); unermüdlich führen sie auch noch das verlorenste Schaf zur Herde zurück und wandern bis ans Ende der Welt, um dieses eine Blättchen zu pflücken, das sie noch für einen unwichtigen Zaubertrank brauchen. Wer das kennt, mehr noch, wer sich darin wiedererkennt, der findet in Dragon Age: Inquisition sein Eldorado.
Denn die eigentliche Story des Rollenspiels, das eigentliche Weltenretten füllt - notwendige Nebenaufträge eingerechnet - höchstens 30 bis 35 Spielstunden. So viel also zu den »50 Stunden Haupthandlung«, die uns Bioware versprochen hat. Die ebenfalls angekündigten »100 Stunden Nebenaufgaben« könnten schon näher an der Wahrheit liegen, die riesige Spielwelt von Dragon Age: Inquisition steckt bis zum letzten Winkel voller Aufträge und Schätze - und voller Sammelaufgaben, die jedem Assassin's Creed zur Ehre gereichen würden.
Ja, Dragon Age: Inquisition ist ein Spiel wie ein Supermodel: groß, geschickt vermarktet, eine echte Augenweide und an manchen Stellen, äh, künstlich aufgeblasen. Nur das von Bioware angekündigte wahre Dragon Age, das Dragon Age, das die Scharte des zweiten Teils ein für alle Mal auswetzt - das ist Inquisition nicht.
Schlechter als Dragon Age 2?
Wir haben Dragon Age 2 seinerzeit mit 87 Punkten bewertet – das war eine Fehleinschätzung. Dragon Age: Inquisition ist keineswegs schlechter als Dragon Age 2, sondern das klar bessere Spiel. Um das zu verdeutlichen, und weil wir es für falsch halten, einen einmal gemachten Fehler für immer mit uns herumzuschleppen, haben wir Dragen Age 2 auf 80 Punkte abgewertet, die neue Wertung inklusive aktualisiertem Wertungskasten ist bereits online. Wer Näheres dazu wissen möchte, der sollte Michael Grafs Fazit zu diesem Test lesen.
Origin-Bindung
Die PC-Version von Dragon Age: Inquisition muss über Electronic Art's Online-Plattform Origin aktiviert werden, läuft danach aber auch im Offline-Modus. Ein Weiterverkauf ist damit wie üblich ausgeschlossen.
Eine Welt zum Verlieben
Mark Darrah, der Executive Producer der Dragon Age-Reihe, verriet kürzlich in einem Interview, dass der Erfolg von Skyrim – 15 Millionen verkaufte Exemplare! – auch Inquisition beeinflusst hat: »[Die Spieler] haben jetzt ganz andere Erwartungen an die Erzählweise und die Erkundung der Welt.« Zur Geschichte kommen wir gleich, bei der Spielwelt hat Darrah jedenfalls schon mal Wort gehalten, sie könnte jedoch kaum eindeutiger von Skyrim inspiriert sein. Weit mehr als seine Vorgänger entpuppt sich das dritte Dragon Age als Rollenspiel für Erkunder, seine in separate Gebiete unterteilte Welt ist nicht nur abwechslungsreich, sondern auch schlichtweg gigantisch.
Grundsätzlich spielt Inquisition im aus Dragon Age: Origins bekannten Ferelden und im benachbarten Kaiserreich Orlais. Dort gibt's insgesamt zehn »Hubs«, also frei erkundbare Landschaften, die wir im Spielverlauf nach und nach freischalten - wie genau, erklären wir gleich. Die Gegenden als »weitläufig« zu beschreiben, wäre untertrieben; wer tatsächlich alle Aufgaben abgrasen will, kann schon mal seinen Jahresurlaub planen. Denn selbst kleinere Abschnitte wie der sumpfige Fahlbruch bieten rund zwei Stunden Heldenfutter, mittlegroße wie die Sturmküste schon vier, und im riesigen Hinterland kann man locker sechs bis acht Stunden zubringen.
Und dabei fühlt man sich auch noch wohl! Denn die Welt reizt schon allein zum Erkunden, weil sie fantastisch aussieht. Wir bereisen bewaldete Hügel, verschneite Gebirge, staubige Wüsten, stürmische Küsten, dichte Urwälder, nächtliche Moore - und überall gibt es besondere Schauplätze zu entdecken. So erklettern wir im Test von Dragon Age: Inquisition jede zweite Hügelkuppe, jede Düne (man darf jetzt auch springen!) und blicken uns einfach nur um.
Dank der grandiosen Weitsicht erspähen wir so fast immer etwas, das uns neugierig macht: Statuen, Ruinen, Oasen, Festungen, Höhlen, Dörfer, Tempel, Wasserfälle. Und da müssen wir auch einfach hin. Warum? Bitte noch mal den Einstieg dieses Artikels lesen.
Bugs
Im Test von Dragon Age: Inquisition haben wir gelegentlich Bugs bemerkt, manchmal hingen unsere KI-Kameraden an Abhängen fest und weigerten sich, mitzukämpfen; manchmal ließen sich Monster ohne Gegenwehr beschießen. Vor allem in der zweiten Spielhälfte stürzte Inquisition hin und wieder während Hauptstory-Dialogen ab. Im zweiten Anlauf liefen die Gespräche dann aber meistens rund.
Besonders bizarr: Als wir unsere Charaktere im Kampf gegen den Endgegner im Level aufstiegen, wollten wir in einer Kampfpause die zugehörigen Talentpunkte verteilen, konnten aber nicht - weil das Spiel jedes Mal abstürzte. Nach absolviertem Gefecht ging's dann aber problemlos. Weil all diese Probleme nur selten auftraten und den Spielspaß nicht schmälerten, werten wir dafür nicht ab.
Skyrim bleibt dynamischer
In einem Aspekt allerdings hat das Vorbild, hat die Skyrim-Welt weiterhin die Nase vorn, nämlich bei der Dynamik. In Himmelsrand passiert außerhalb von Quests viel mehr Überraschendes, viel mehr Kurioses, viel mehr Zufälliges. Da überfällt ein Drache das Dorf, in dem wir gerade Beute verkaufen wollen; da kommentieren Stadtwachen unsere Ausrüstung, da laden Kinder zum Versteckspiel, da bitten zufallsgenerierte Raubopfer um die Rückholung zufallsgenerierten Raubguts.
Dragon Age: Inquisition wirkt im Vergleich dazu recht statisch. Klar, hier kämpfen Templer gegen Magier, dort schnappt sich eine Hyäne einen Wüstenfuchs, so viel Unvorhergesehenes wie in Skyrim passiert aber längst nicht - auch weil die Drachen von Inquisition allesamt brav dort bleiben, wo die Designer sie hingepflanzt haben.
Etwas schade ist auch, dass es in der Inquisition-Welt mit dem orlesianischen Val Royeaux nur eine echte Großstadt gibt, die zudem nur aus ein paar Sträßchen besteht. Das ändert aber nichts daran, dass Bioware für Dragon Age: Inquisition eine Kulisse geschaffen hat, die mit dem Zeigefinger lockt, die sich lasziv vor uns ausbreitet und flüstert: Hey, du Held, erkunde mich! Und ja, wir erkunden. Wir erkunden, als ob's kein morgen gäbe. Und keine Haupthandlung, aber dazu später.
Sammeln wie Ezio
Das Erkunden ist natürlich kein Selbstzweck, die Schauplätze sind vollgestopft mit Nebenquests und Beutegut, selbst in der hinterletzten Ecke finden wir noch Schatztruhen oder zumindest brauchbare Crafting-Zutaten. Und dann gibt's auch noch die Sammelaufgaben. Wer etwa mit magischen »Fernrohren« schillernde Scherben aufspürt und -klaubt, kann die Bruchstücke später als Währung einsetzen. Sie dienen nämlich als Eintrittskarten zu einem speziellen Dungeon, in dem Monster und Belohnungen warten.
Wer wiederum an den überall in der Welt verteilten »Astrarien« (teils recht komplexe) Sternbilder nachmalt, deckt damit Schatzhöhlen auf. Und es gibt noch so viel mehr zu sammeln: Flaggen, Sehenswürdigkeiten, Lagerplätze, alkoholische Getränke, und, und, und, alles wirft mindestens Erfahrungspunkte und Kodex-Einträge ab, die kleine Hintergrundgeschichten erzählen.
Klar, die seelenlose Sammelei passt eigentlich nicht zu einem Rollenspiel, weil sie keine Helden-, sondern Fleißarbeit darstellt. Es dürfte dennoch genügend Spieler geben, die frohgemut drauflos sammeln, sei's nur für Belohnung oder um die nervigen »Hier gibt's etwas zu sammeln!«-Icons von der Karte zu putzen - wie war das noch gleich mit der Helden-Zwangsstörung? In Assassin's Creed funktioniert das ja auch. Zumal's in Inquisition ja auch normale Heldenarbeit gibt. Sogar sehr viel davon.
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