Seite 2: Far Cry 6 sieben Stunden gespielt: Diese Open World hat alles außer Mut

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Ausgeflippte Waffen statt Rollenspiel-Schnickschnack

Wie viel Spaß hier habt, bestimmt maßgeblich die Wahl eurer Waffe. Statt über Perks oder Skills weiter mit Rollenspielen zu kokettieren, bleibt Far Cry 6 seinen Shooter-Wurzeln treu. Das Repertoire kann sich sehen lassen: Wer keine Lust auf Standard-Schießeisen wie wie Sturmgewehre, Pistolen oder Schrotflinten hat, greift zu den ausgeflippten Improwaffen, über die ihr rasiermesserscharfe CDs verschießt, Feinde mit Nägeln spickt oder per Flammenaufsatz durchröstet. Fehlt euch da noch die nötige Wucht, entladet ihr per Supremo-Rucksack einfach Giftgas oder explosive Raketen.

Diese Superwaffen schaltet ihr nach und nach bei Händlern frei. Sämtliche Bleispritzen lassen sich noch an Werkbänken anpassen und verbessern. Einen Standardbogen motzt ihr so mit Explosionspfeilen auf und erhöht über einen Aufsatz eure Zielgenauigkeit und per Mod die Bewegungsgeschwindigkeit.

Den Raketen aus meinem Supremo-Rucksack hält nicht mal ein Panzer stand. Den Raketen aus meinem Supremo-Rucksack hält nicht mal ein Panzer stand.

So viel Finetuning erinnert angenehm an den Waffenschmied aus Call of Duty: Modern Warfare. Will ich nichts dem Zufall überlassen, kann ich vor jeder Mission Gegner, Gelände, Kameras, Alarme und so weiter genau analysieren und anschließend meine Ausrüstung und Munition perfekt darauf abstimmen.

Zumindest in der Theorie. Praktisch sorgten niedrigleveligen Modifikationen nur für einen feinen Unterschied. Hoffentlich zeigen sich später größere Unterschiede und schwer bewachte Gebäude verlangen ausgeklügeltere Planung. Auch eure Kleidung bekommt einen Level angepinnt. Ihr werdet aber nicht zur Beutejagd à la The Division genötigt. Solange der Wert ungefähr zum Gebiet passt, haut euch nicht gleich jede Kugel aus den Latschen.

Spaßiges Schießen, lahme Treffer

Vor allem nicht auf dem niedrigeren der beiden Schwierigkeitsgrade. Die sind mit Story und Action betitelt, was ein wenig irreführend ist, weil Story normal sein soll und Action schwer, sich Action aber wie normal anfühlt und Story wie ein Easy Mode.

Stehe ich ohne Deckung mitten auf dem Schlachtfeld rum und werde befeuert, spüre ich die Schüsse kaum. Meine Lebensleiste klettert im Schneckentempo runter und selbst ein Panzer braucht ein paar Versuche, um durch meine offensichtliche Stahlhaut zu dringen. Wenn Dani nicht per Plottwist das neueste Mitglied der Avengers wird, muss Ubisoft hier bei der Balance nachbessern. Im laufenden Spiel umschalten dürft ihr aber immerhin.

Beim Trefferfeedback sollten die Entwickler generell noch ein paar Schrauben festzurren. Das krankt wie im Vorgänger Far Cry 5 auch bei den Gegnern: Während Schüsse wuchtig auf Panzerungen prallen, bekomme ich Körpertreffer kaum mit. Dass das Ballern trotzdem viel Spaß macht, liegt am Waffenhandling insgesamt. Aus Sturmgewehren peitschen die Kugeln nur so raus, während Schrotflinten aus nächster Nähe den Gegnern und sogar Avengers-Dani die Füße unterm Körper wegziehen.

Trotz einiger Mängel liefert Far Cry 6 beim Anspielen herrlich chaotischen Shooter-Spaß ab. Trotz einiger Mängel liefert Far Cry 6 beim Anspielen herrlich chaotischen Shooter-Spaß ab.

Beim gemächlichen Scharfschützengewehr haltet ihr wiederum die Luft an und bezieht den Wind mit ein, um einen Kopftreffer zu landen. Ab und zu wechseln solltet ihr auf jeden Fall, weil Feinde auch gerne mal nah heranstürmen. Bis ihr den Sturmgewehrlauf oben habt, verteilt sich dann schon der Schrot in eurem Gesicht.

Je nach Situation sind also alle Waffen nützlich und darüber hinaus noch detailliert gestaltet, Anlegen und Nachladen untermalen elegante Animationen und das Mündungsfeuer bringt den Lauf zum Glühen. Falls Ubisoft Trefferfeedback und Schwierigkeitsgrad noch poliert, könnte Far Cry 6 ein extrem abwechslungsreicher Fun-Shooter werden, der trotzdem nicht auf gelegentlichen Tiefgang verzichtet.

Ein Blick über den Shooter-Tellerrand

Das Inselparadies ist aber eigentlich auch schön, um sich permanent von der ganzen Gewalt ablenken zu lassen. Palmen wehen im Wind, Wolken hängen tief in den dicht bewaldeten Bergen und das Meer glitzert postkartenreif in der Abendsonne.

Die Insel-Open-World sieht mit ihren grünen Wäldern und Sandstränden am türkisblauen Wasser wirklich fantastisch aus. Die Insel-Open-World sieht mit ihren grünen Wäldern und Sandstränden am türkisblauen Wasser wirklich fantastisch aus.

Deshalb holstere ich zwischendurch mein Gewehr und begebe mich auf Schatzsuche: Einmal soll ich zum Beispiel einem Pelikan per Wingsuit nachjagen, der mich zur Belohnung führt und ein anderes Mal in einem Dorf Boote mit Zahlen und Farben aufspüren, um einen Türcode zu entschlüsseln.

Da ich jeweils nur einen Hinweiszettel und keine Marker habe, wird eine launige Schnitzeljagd daraus, die sich am Ende auszahlt: Statt Goldbarren fördere ich einzigartige Waffen wie die Camo Quinceanera zutage, die mit ihrer Feuerrate mein restliches Arsenal komplett in den Schatten stellt. Das setzt die Tradition der Prepperverstecke aus Far Cry 5 fort, erfordert aber ein bisschen mehr Denkarbeit und lockt mit nützlicherer Beute.

Auch die Geschichten von Yara - also klassische Nebenmissionen - lohnen sich. Helfe ich zum Beispiel dem ausgeflippten Gockel Chicharron bei seinem Kampf für den Widerstand, darf ich ihn später als tierischen Begleiter in die Arme schließen. Allerdings sollte ich dabei lieber auf Abstand bleiben - sein vorheriger Besitzer hat nicht ohne Grund eine Hakenhand.

Die meisten Nebenstorys laufen doch wieder auf Kämpfe raus, aber die humorvollen Story-Zwischenspiele unterhalten trotzdem besser als der Sammelkram in Watch Dogs und fordern mehr als die Weltereignisse in Valhalla.

Far Cry 6 - Screenshots ansehen

Everybody's Open-World-Chaos

Insgesamt profitiert die Open World von zwei Dingen:

  • Bei der Philosophie hat sich nichts geändert, Far Cry bleibt bei Minimap, Markern und Co. Dass mich Events und Missionen nicht mehr permanent bedrängen, macht aber einen großen Unterschied. Ich bewege mich viel freier durch die Open World, erkunde nach Herzenslust und setze mir meine Ziele bewusst. Wenn man immer unterschiedlich vorgeht und mit Waffen experimentiert, werden die wenigen Beschäftigungen außerdem nicht repetitiv. Gleichzeitig winken nützliche Belohnungen.
  • Abseits der Story nimmt sich Far Cry 6 kein Stück ernst und davon profitiert das Spielgefühl. Die meisten Waffen und Gadgets sind darauf ausgelegt, ein gewaltiges Open-World-Chaos zu veranstalten, in dem ich dann plötzlich Bäume umniete oder Gegner mit Explosionspfeilen in den Himmel fliegen lasse, bevor ich betont lässig per Rakete einen Heli runterhole.

Dass Far Cry die bedrückenden Untertöne einer gewaltsamen Revolution ausklammert, war aus dieser Sicht also die richtige Entscheidung. Ubisoft nimmt so aber bewusst in Kauf, dass mir die Figuren gleichgültig bleiben. Das größte Problem von Far Cry 6 ist für mich aber, dass nicht nur die Geschichte stets bekömmlich bleiben soll. Kollege Dimis Cheeseburger-Vergleich trifft den Nagel auf den Kopf.

Das große Aber

Ich kann in Far Cry 6 taktisch spielen, pedantisch die richtige Munition in mein Gewehr laden, Aufsätze draufschrauben, die Umgebung scannen oder wie ein Spion an Kameras und Alarmen vorbeischleichen, um mein Ziel von hinten mit der Machete auszuschalten. Das ist cool und macht Spaß, aber ich muss mich bewusst darauf einlassen.

Gibt Far Cry 6 den Anspruch zugunsten der Freiheit auf? Die Entwickler stehen Kollege Peter im Interview Rede und Antwort.

Wer überall mit irgendeiner Waffe im Anschlag reinstürmt und alles inklusive der Verstärkung niedermäht, wird 90 Prozent der Zeit nämlich genauso einen Sieg feiern - nur eben deutlich schneller und unkomplizierter. Ubisoft will niemanden einschränken und deshalb soll das Far-Cry-Buffet auch jedem Menschen schmecken. Das ist lobenswert, aber riskiert eben auch den Biss einer Spielerfahrung und macht letztlich die Entscheidungen im Spiel bedeutungslos.

Muss ich mir keine Mühe geben, ist mir irgendwann alles egal. Und das kann in einer 100 Stunden langen Spielerfahrung schnell zum Problem werden. Damit auch anspruchsvolle Shooter-Fans bis zum Ende am Ball bleiben, muss das Open-World-Spiel noch eine Schippe drauflegen.

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