»Warum zur Hölle soll ich mir ein zwei Jahre altes Pixelspiel anschauen?«, werden sich die meisten von euch vermutlich fragen. Und mit der Frage habt ihr nicht ganz Unrecht, immerhin erscheint Graveyard Keeper auf den ersten Blick wie ein Spiel unter vielen. Oder genauer: Wie ein weiterer Trittbrettfahrer, der dem gigantischen Erfolg von Stardew Valley nacheifert.
Aber eben nur auf den ersten Blick. Denn das Friedhofs-Management-Spiel hat viel mehr zu bieten, als dunklen Humor und Genre-Klischees. Ich gehe sogar soweit und sage: Graveyard Keeper hat etwas gemeistert, das vielen Spiele auch 2020 nicht auf die Reihe bekommen.
Plötzlich Friedhofswärter
Graveyard Keeper beginnt damit, dass ihr überfahren werdet. Kein Scherz. Nur anstatt im Jenseits oder in einem moderigen Grab aufzuwachen, finde ich mich als Friedhofswärter irgendwo in einem mittelalterlichen Dorf wieder.
Mein erster und auch erstmal einziger Freund ist ein sprechender Totenschädel namens Gerry, der mir nach einigen Gefallen erklärt, wie ich mittels Dimensionstor zurück zu meiner Geliebten kommen. Dabei sollen die Dorfbewohner in meiner neuen Nachbarschaft helfen.
Also ziehe ich los und richten beispielsweise dem Inquisitor einen Burger-Stand für die Hexenverbrennung ein oder helfe einem Poeten, seine Schreibblockade zu überwinden, indem ich ihm Drogen besorgen. Was sich zuerst wie nervige Fetch-Quests anfühlt, entpuppt sich aber als clevere Questreihe mit spannenden Wendungen, von denen sich Stardew Valley noch eine ganze Menge abschauen darf.
Eine Hand wäscht die andere
Das Besondere an Graveyard Keeper ist, dass man ihm sein geschicktes Storytelling auf den ersten Blick gar nicht anmerkt. Die einzelnen Aufgaben bestehen daraus, den Dorfbewohnern verschiedene Gegenstände oder Produkte zu beschaffen, die ich durch Crafting oder Friedhofsmanagement erhalte. Das kenne ich schon aus zigtausend anderen Spielen. Graveyard Keeper geht aber einen entscheidenden Schritt weiter.
Während ich meinem eigenen Ziel, ein Dimensionstor in unsere Welt zu öffnen, immer näher komme, erzählen mir die Dorfbewohner eine ganze Menge über ihre Geschichte. Diese einzelnen Schicksaale werden im Verlauf des Spielverlaufs miteinander verwoben, sodass viele Geschichten irgendwann eine größere Erzählung bilden.
Was ich genau damit meine, will ich euch in den nächsten drei Absätzen erklären, ohne zu viel von der Story zu spoilern. Solltet ihr Graveyard Keeper aber spielen wollen ohne bereits einen Teil der Geschichte zu kennen, überspringt ihr den Text bis zur nächsten Überschrift.
Achtung Spoiler: In meinem Mittelalter-Dörfchen gibt es insgesamt sechs Schlüsselcharaktere, von denen ich jeweils einen Gegenstand brauche, um das Dimensionstor zu öffnen, dass mich wieder nach Hause bringen soll. Einer dieser Schlüsselcharaktere ist der Schmuggler Schlange, von dem ich ein magisches Notizbuch benötige. Das will er mir aber nicht so einfach aushändigen. Erst muss ich ihm helfen herauszufinden, wer sein Vater ist.
Dafür muss ich zusammen mit Schlange ein dunkles Ritual durchführen, was eine Menge Botengänge zu anderen Schlüsselcharakteren bedeutet, etwa dem Astrologen. Der hat aber ganz eigene Sorgen und will die Gunst seiner Tochter zurückerlangen. Erst dann gibt er mir, was ich von ihm brauche. Während ich also meine Besorgungen für Snake mache, muss ich gleichzeitig auch anderen Personen helfen. Ganz nach dem Prinzip: Eine Hand wäscht die andere.
So viel sei verraten: Am Ende erfahre ich tatsächlich, wer Schlanges Vater ist. Ich habe aber nicht damit gerechnet, dass mir das Gesicht bekannt vorkommt.
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Die Autorin
Mary liebt Management- und Lebenssimulationen jeglicher Art. Egal ob Dating-Sims oder Farmspiele wie Stardew Valley, sie kann stundenlang damit verbringen, ihre Farm oder Beziehungen zu optimieren. In Graveyard Keeper hat sie aber das gefunden, was viele der Genre-Geschwister vermissen lassen: Eine mitreißende Story.
Die hohe Kunst des Geschichtenerzählens
Durch die vielen Questverbindungen, sowie das Zusammenlaufen einzelner Geschichtsstränge, entsteht anstelle eines Flickenteppichs aus Haupt- und Nebenquests ein einziges, großes Gesamtbild. Jeder NPC mit dem ich etwas zu tun habe, spielt irgendwann eine wichtige Rolle auf meinem Weg, wieder nach Hause zurück zu finden.
Dabei erhalten die einzelnen Charaktere auf ganz natürliche Weise immer mehr Tiefe. Ohne es zu merken oder im Mittelpunkt der Handlung zu stehen, baue ich eine emotionale Bindung zu ihnen auf und fiebere bei neuen Story-Wendungen mit, frage mich aber ständig, wann ich endlich die Liebe meines Lebens wiedersehen und glücklich werden kann.
Die hohe Kunst, viele Geschichten gleichzeitig zu erzählen und miteinander zu verweben, meistert Graveyard Keeper mit außerordentlichem Feingefühl und ohne hektisch zu werden. Es verdient daher nicht nur mehr Beachtung, weil es ein spaßiges und fantastisches Spiel ist, sondern auch, weil es ein Storytelling-Vorbild für andere Entwickler sein sollte. Ich brauche mehr Spiele, die viele tolle Geschichten so kreativ in einer einzigen Story erzählen können.
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