Story-Inszenierung nach Netflix-Vorbild
Früher gaben sich Rennspiel-Fans noch damit zufrieden, in der Karriere zwischen zwei Rennen auf einen möglichst informativen Ladebildschirm zu glotzen. Doch heute sollen auch in diesem Genre tiefgreifende, emotionale Geschichten erzählt werden, und Grid Legends möchte hier neue Maßstäbe setzen.
Worum geht's? Ihr schlüpft in die Rolle von Driver 22
- der Protagonist hat bewusst keinen Namen und wird auch im gesamten Spiel stumm bleiben, um die Diversität der Spielerschaft zu wahren. Immerhin weiß man nicht, wer da vor dem Bildschirm sitzt, und die Entwickler möchten verhindern, dass die persönliche Immersion durch unpassende Sprachausgabe zerstört wird.
Ihr seid Fahrer und Besitzer eures eigenen Rennstalls und nehmt an einer Meisterschaft teil, um ganz nach oben zu kommen. Auf eurem Weg an die Spitze müsst ihr euch aber auch mit allerlei Rivalen auseinandersetzen. Die Story soll durch viele Zwischensequenzen vorangetrieben werden, für die sogar echte Schauspieler vor die Kamera treten. Unter anderem wirkt Ncuti Gatwa mit, den manche von euch vielleicht aus der Serie Sex Education
kennen.
Grid Legends - Screenshots aus der PC-Version ansehen
Die Inszenierung der Handlung soll laut Codemasters stark von Netflix-Dokumentationen inspiriert worden sein. Vor allem die bekannte F1-Doku Drive to Survive
dürfte hier Pate gestanden haben. Brad Kane, der schon an dem PlayStation-Exklusivtitel Ghost of Tsushima mitgeschrieben hat, zeichnet für die Handlung verantwortlich.
Der Doku-Stil macht neugierig auf mehr und könnte eine starke, aber auch informative Geschichte erzählen - allerdings sorgte diese Inszenierung schon bei Age of Empires 4 für Diskussionen, weil viele Spieler sie zu distanziert fanden. Dazu könnte auch der stumme Protagonist beitragen. Andererseits darf für uns aber auch keine kitschige Renn-Seifenoper daraus werden.
Einen ersten Vorgeschmack bietet euch der Trailer am Beginn des Artikels. Leider bot unsere Vorschaufassung noch keinen Zugriff auf die Kampagne. Wie viel die Story taugt, bleibt also abzuwarten.
Wie spielt sich Grid Legends denn nun?
Bis hierhin liest sich unsere Vorschau noch überaus positiv, was euch aufgrund der Einleitung eventuell verwundert. Deshalb widmen wir uns nun dem wohl wichtigsten Aspekt eines Rennspiels: Der Fahrphysik und dem Geschehen auf der Strecke.
Und hier können wir leider noch nicht in Euphorie ausbrechen. Ja, Grid Legends bietet von Sekunde eins an actionreiche Rennen, die mit ihrer Kurzweiligkeit zu unterhalten wissen. Doch die Fahrphysik treibt oft seltsame Blüten und fühlt sich an vielen Stellen nicht so rund an, wie man es von der Arcade-Konkurrenz gewohnt ist.
Wir haben alle Fahrhilfen wie Traktionskontrolle und Bremsassistent deaktiviert und dennoch ständig das Gefühl, dass noch irgendein System ins Lenkrad greift. Am deutlichsten wird das in längeren Kurven. Entweder ist es so gut wie unmöglich, das Auto zum gewollten Übersteuern zu bringen, oder es legt schon beim kleinsten Lenkeinschlag eine Volldrehung hin, die sich zumindest mit dem Gamepad kaum noch unter Kontrolle kriegen lässt.
Auch das Kollisionsverhalten überzeugt nur bedingt. Schrubben wir anderen Autos den Lack von der Tür, fühlt sich das schön wuchtig an, ohne uns zu stark beim Fahren zu behindern. Doch jeder Kontakt mit der Bande ist eine Wundertüte. Mal verlieren wir nicht einmal an Tempo und nehmen den Mauerkuss einfach hin, an anderer Stelle bleibt unser Wagen schon bei kleinsten Berührungen abrupt hängen und wir müssen hilflos dabei zuschauen, wie unsere Widersacher an uns vorbeirauschen.
Alles hängt vom Fahrzeug ab
Dieses unrunde Fahrgefühl ist aber stark abhängig von den Fahrzeugen. Während sich GT-Autos und Open Wheeler deutlich besser und somit viel spaßiger fahren, hoben sich bei den Trucks und vor allem dem prestigeträchtigen Prototypen Aston Martin Valkyrie gleich beide Augenbrauen. Da sich das Spiel noch in der Feinschliff-Phase befindet, kann sich hier aber noch einiges zum Positiven ändern.
Auch bei der KI und dem vielgepriesenen Nemesis-System gibt es Licht und Schatten. Was uns richtig gut gefiel: Unsere Widersacher bekämpfen sich auch gegenseitig, und zwar mit harten Bandagen. Das sorgte dafür, dass sich vor uns plötzlich Autos drehen, wir ausweichen müssen, selbst auf's Gras kommen, und sich der Rennverlauf dadurch komplett ändert.
Unsere Angriffe wehrt die KI aber noch kaum ab. Wer gut auf der Bremse ist, kann sich in den Kurven auch gerne mal an drei, vier Gegnern vorbeibremsen. Andersherum geht es deutlich offensiver, aber auch plumper zur Sache: Holt ein KI-Auto auf, knallt es uns mit voller Wucht ins Heck. Wer das Schadenssystem nicht auf optisch
stellt, wird viele Rennen wohl nicht beenden.
Gehen wir auf der Strecke zu hart zu Werke, machen wir uns recht bald Feinde. Diese Rivalen gehen in Zweikämpfen deutlich aggressiver zu Werke, sie versuchen sogar, uns von der Strecke oder in andere Autos zu drängen. Das System ist cool, verleiht den Rennen zusätzliche Würze und soll vor allem auch rennübergreifend funktionieren.
Die Story könnte über Sieg oder Niederlage entscheiden
KI und Fahrphysik können sich noch ändern - was sich aber nicht mehr ändern wird, ist Grid Legends Abhängigkeit von dem ambitionierten Story-Modus. Entfernt man diesen nämlich aus der Gleichung, bleibt unter dem Strich ein zwar spaßiges, aber auch fast schon Baukasten-artiges Rennspiel, das eher im Multiplayer-Modus als in Offline-Rennen überzeugen dürfte.
Klar, diese Kritik könnte man auch gegenüber einigen der ebenfalls von Codemasters stammenden Dirt-Teilen äußern. Dort wurden die zusammengeworfenen Autoklassen, Strecken und Modi aber immerhin von einer stylischen Aufmachung stimmungsvoll aufgepeppt. Grid Legends bietet dem Auge nur triste Menüs.
Wenn die Handlung aber überzeugt, könnte sie die Seele fron Grid Legends werden und Rennspiel-Fans etwas bieten, das sie bei Forzas fluffiger Festival-Story und in anderen Rennspielen vermissen. Das Potenzial für den besten Ableger seit 2008 ist vorhanden, für einen spaßigen, aber irgendwie charakterlosen Arcade-Racer aber auch. Und das hat die Serie nicht verdient.
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