Die erste Heldin in einem Videospiel trug ein rotes Schleifchen und leuchtenden Lippenstift, was in einem interessanten Kontrast stand zu ihrem gelben, runden Gesicht. Einen Körper besaß Ms. Pac-Man nicht. So blieben, um sie vom normalen (wohl männlichen) Pac-Man zu unterscheiden, nur Makeup und modische Accessoires, die unverwechselbaren Attribute der Weiblichkeit.
Seit dem Debut von Ms. Pac-Man im Jahr 1981 haben sich Computerspiele immens weiterentwickelt; moderne 3D-Programme sind längst in der Lage, Frauen wie Männer samt ihrer Körper darzustellen, und das in einem Detailgrad und einer Ausdrucksfähigkeit, die nah an die Realität heranreichen. Der Zwang, Geschlechtsunterschiede durch Lippenstift und Schleifchen herauszustreichen, ist ein Relikt grauer Vergangenheit. Inzwischen herrscht technologische Gleichberechtigung.
Es ist also nicht so, dass Computerspiele kein ausgewogenes, wirklichkeitstreues Abbild von Frauen wiedergeben könnten. Wenn sie es nicht tun, dann muss es am Wollen liegen.
704 Einträge führt die Internet-Spieledatenbank Mobygames.com in der Kategorie »Weibliche Hauptfigur«, eine eindrucksvolle Liste. Nur: Insgesamt kennt Mobygames 48.000 Spiele. Zwar hat nur ein Bruchteil davon überhaupt einen identifizierbaren Protagonisten, und die Heldinnen-Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Aber am grundlegenden Missverhältnis ändert das nichts: Frauen sind in Spielen sehr viel seltener in tragenden Rollen zu finden als Männer. Und das nicht nur historisch, sondern bis heute. Dabei ist die Heldinnen-Rolle nicht mal der entscheidende Punkt, sondern die Frage welches grundsätzliche Frauenbild Computerspiele vermitteln. Auch in Hollywood herrscht Kulturchauvinismus, harte Helden sind überwiegend Kerle, an deren Seite Frauen auch mal die Knarre ziehen dürfen, aber im rechten Moment verliebt in starke Arme sinken. Das Medium Film bringt als Ganzes aber eine solche Bandbreite von Werken hervor, dass es die Rollen und Positionen von Frauen in unserer Welt mindestens so facettenreich widerspiegelt wie die der Männer. Davon kann in Computerspielen keine Rede sein.
Wie Frauen sind
Warum ist es überhaupt wichtig, wie Frauen in Spielen auftauchen? Männer retten Frauen, Frauen sind immer sexy angezogen, Lara Croft hat eine riesige Oberweite – na und?
Computer- und Videospiele sind auf dem besten Weg dazu, das Leitmedium der jungen Generation zu werden. Noch liegt das Fernsehen vorn. Aber die Zahl der Stunden, die Kinder im Schnitt am Tag vor der Glotze verbringen, nimmt seit einigen Jahren ab, die Stunden vor dem Monitor nehmen zu. Dass Kids und Jugendliche unter Dauerberieselung von TVTrash womöglich zweifelhafte Dinge lernen, leuchtet praktisch jedem ein. Am Computer ist das nicht anders. Und das gilt unabhängig vom Medium nicht nur für Gewalt und schlechte Umgangsformen, sondern eben auch für die Geschlechteridentität. Sprich: Was es heißt, ein Mann zu sein oder eine Frau. Menschen lernen durch das Beobachten und Imitieren von Vorbildern, und starke Figuren in Computerspielen sind solche Rollenmodelle. Welche Vorbilder die Frauen in Computerspielen sind, hängt davon ab, welche Positionen sie im Spiel einnehmen und wie ihre Charaktere gezeichnet sind: Heldin? Opfer? Biest? Oder spielen sie am Ende überhaupt keine Rolle, weil alle wichtigen Handelnden sowieso Männer sind?
Wo Frauen fehlen
Dazu kommt, dass eine zunehmende Zahl moderner Spiele durchaus für sich in Anspruch nimmt, ein Spiegelbild der Wirklichkeit zu sein. Hochgradig populäre Titel wie Grand Theft Auto 4 oder Call of Duty: Modern Warfare handeln zwar von fiktiven Orten und Konflikten, aber ihre gesamte Inszenierung drückt aus: »So könnte es tatsächlich sein.« Im Krieg von Modern Warfare tauchen keine Frauen auf. Dabei mag es noch einleuchten, dass die militärischen Spezialeinheiten und deren machtbesessene Gegenspieler nur Männer sind, obwohl alle westlichen Armeen längst Frauen in Führungspositionen kennen. Schwerer wiegt, dass Spiele wie Modern Warfare ausschließlich Männer als Kriegsopfer zeigen. Wer im eindrucksvoll inszenierten Intro von Modern Warfare durch die Straßen einer arabischen Stadt gefahren wird, der sieht mit Erschießungen, Plünderungen und Angriffen auf Zivilisten erschütternde Szenen einer Militärdiktatur. Er sieht nur keine Frauen. Die Unterdrückung der Bevölkerung und die Gewalt richten sich allein gegen Männer. Das ist perfide, weil es unterschwellig nahelegt, dass es das, was man nicht sieht, auch nicht gibt; dass Krieg und Unrecht Frauen also nicht betreffen. Dabei lehrt die Geschichte, dass es in der Regel gerade die Frauen sind, die am schwersten leiden und als Erste erniedrigt werden. So vermitteln genau die Spiele, die durch eine besonders glaubwürdige Simulation der Realität bestechen, oft ein besonders verzerrtes Bild von der Rolle der Frauen, und sei es durch deren vollständige Abwesenheit.
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