Von den atemberaubenden Kämpfen in Midnight Fight Express kann sogar Hollywood noch was lernen

Diese Action-Sandbox bietet mehr als so mancher Blockbuster. Wir stellen euch das Ausnahmeprojekt eines Solo-Entwicklers ausführlich vor.

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Ich liebe ja brachiales Action-Kino, in dem die Protagonisten sich möglichst stylish durch gefühlt Hunderte von Widersachern hindurch prügeln und/oder schießen. John Wick ist da nur der neueste aus einer langen Reihe von One-Man-Army-, Rache- und Martial-Arts-Streifen, bei denen ich bereits in den ersten fünf Minuten voller Freude sämtliches Popcorn inhaliere.

Allerdings schaffen es Spiele meiner Meinung nach nur selten, genau dieses cineastische Einer-gegen-alle-Gefühl auf meinen heimischen Rechner zu übertragen - Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel und Titel wie Batman: Arkham oder Ghost of Tsushima kommen dem in meinen Augen zumindest nahe. Mit ihrer Open World inklusive zahlloser Nebenaktivitäten sind die mir jedoch einfach zu breit aufgestellt, um eine wirklich fokussierte Adrenalin-Hatz zu liefern, bei der eine unvergessliche Kampfsituation die nächste jagt.

Ob ich dabei gegen nachvollziehbare Kontrahenten oder gesichtslose Gegnermassen antrete, ist letzten Endes gar nicht das Entscheidende. Vielmehr brauche ich das Quäntchen qualitative Finesse, das mich auch längerfristig fasziniert. Das kann eine gehörige Portion Melancholie und Aussichtslosigkeit sein, wie sie in den ersten beiden Max Payne-Spielen mitschwingt und von der Fans noch zwei Jahrzehnte später schwärmen. Oder aber atemberaubend choreografierte Kampfsequenzen, die man sich hinterher gerne noch mal in Zeitlupe ansehen würde.

Dabei ist die Herausforderung für Entwickler, ihre Kämpfe nicht so wirken zu lassen, als wären sie nur aus einer kleinen Anzahl wechselnder Versatzstücke zusammengesetzt - obwohl sie sich mit der begrenzten Anzahl Buttons eines Controllers bedienen lassen müssen. Der polnische Solo-Entwickler Jacob Dzwinel löst das Dilemma mit seinem Top-Down-Brawler Midnight Fight Express (kurz: MFE) auf vermeintlich einfache Art und Weise: absurde kontextsensitive Vielfalt gepaart mit butterweichen Motion-Capture-Animationen.

André Baumgartner
André Baumgartner

Der Autor
Für André stand Gameplay schon immer über Grafik. Natürlich genießt er spektakuläre Panoramen genauso wie andere Spieler, aber sich in durchdachte Mechaniken reinfuchsen ist seine wahre Leidenschaft. Im Sinne des hier besprochenen Genres der Top-Down-Kampfspiele mit hohem Gewaltgrad, kann er euch auch das Raumschiff-Kaper-Spiel Heat Signature wärmstens empfehlen.

Darum geht's: Als ehemalige Unterwelt-Größe kehrt ihr wie John Wick unvermittelt aus dem Frühruhestand zurück, um vor Sonnenaufgang zu verhindern, dass das organisierte Verbrechen die Kontrolle über die Stadt an sich reißt. Der folgende gamescom-Trailer vermittelt euch einen ersten Eindruck des Spielgeschehens, auch wenn er nur einen Bruchteil dessen zeigt, was in dem kleinen Kraftpaket enthalten ist:

Midnight Fight Express - gamescom-Trailer zum brutalen U-Bahn-Beatem Up Video starten 1:18 Midnight Fight Express - gamescom-Trailer zum brutalen U-Bahn-Beat'em Up

Mehr von allem

Wie viele Waffen braucht ein Spiel? Wie viele Finisher? Die meisten Entwickler beantworten diese Frage mit ein bis zwei Dutzend. Da kann Midnight Fight Express nur müde lachen. Ich fasse euch mal die stolzen Zahlen des Prüglers zusammen:

  • 100-150 Waffen: Egal, ob Toilettenpömpel oder Katana, Vorschlaghammer oder Bazooka - im Arsenal von MFE findet sich so gut wie alles, womit Spieler gerne kämpfen. Untergliedert wird das Ganze in insgesamt neun Animationskategorien, die jede Waffengattung mit eigenständigen Angriffsanimationen ausstatten.
  • Circa 100 Finisher und 120 Konter-Animationen: Wenn man schon Stuntprofis in Motion-Capture-Anzüge steckt, kann man sie auch gleich richtig schwitzen lassen. Welche Animation wann abgespielt wird, hängt von euch, eurer Talentauswahl, eurer Waffe, der Waffe eures Gegners und dem Gegnertyp ab.
  • Interaktive Umgebungs-Finisher: Neben dem sowieso schon exzessiven Katalog an todbringenden Bewegungen lassen sich auch lokale Gegebenheiten jederzeit in eure Choreografie einbauen. Das kann ein Schacht, ein Getränkeautomat, ein Ventilator, ein Waschbecken oder eine Vielzahl anderer Umgebungsobjekte sein. Der Entwickler zitiert hier neben diversen Filmen ganz offen Sleeping Dogs als eines der großen Vorbilder.
  • Umfassende Möglichkeiten zur Individualisierung: Dank erlernbarer Fähigkeiten und Kombos dürft ihr euren Kampfstil nach und nach spezialisieren. Insgesamt soll es an die 200 freispielbare Inhalte geben, wovon allein 150 optische Anpassungen für euren Charakter sind. Sechs Körperregionen dürfen einzeln eingekleidet und sogar tätowiert werden. Von Bossen gibt es auch mal einen Ganzkörper-Skin.
  • Dutzende Gegnertypen: Die verschiedenen Kontrahenten unterscheiden sich bei Trefferpunkten, Fähigkeiten und Verteidigungsstrategien. Manche von ihnen tragen Schilde oder zwei Waffen gleichzeitig, was dem Spieler allerdings verwehrt bleibt.
  • Drei Akte mit 41 handgebauten Levels: Jeder Abschnitt verspricht nonstop Action zu jeweils eigenen Synth-Beats des Komponisten Noisescream und soll je nach Schwierigkeit in 5-10 Minuten zu bewältigen sein. Durch den im Spielverlauf freigeschalteten Sandbox-Modus sowie knackige Herausforderungen soll sich die Gesamtspielzeit auf 8-12 Stunden belaufen. In den drei Storyakten bekommt ihr 18.000 Wörter optionalen deutschsprachigen Dialog zu lesen (Sprachausgabe gibt es generell keine). Wer darauf keine Lust hat, darf das aber auch alles überspringen.

Einen Vorgeschmack auf den treibenden Soundtrack liefert der Komponist in fünf Mini-Previews auf seinem Youtube-Kanal.

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Flache Grafik, tiefes Kampfsystem

Dass der Unity-Titel mit seinem eher spartanischen Look keine Grafikpreise abstauben wird, ist offensichtlich, doch wie so oft sind es die inneren Werte, die den wahren Reiz ausmachen. In diesem Fall die Tiefe des zentralen Kampfsystems.

Bei den als »hyperkinetisch« beschriebenen Prügeleien bringe ich Gegner mit Kombos aus leichten und schweren Angriffen aus der Fassung, um sie anschließend mit effektvollen Finishern aus dem Bild zu treten. Anhand farblich hervorgehobener Konter-Gelegenheiten - ähnlich zur Batman-Arkham-Reihe -kann ich Angriffe blocken (weiß), parieren (gelb; erfordert Talent), oder ihnen mit einer Rolle ausweichen (rot).

Die genannten Kombo-Finisher erfordern je nach Waffe nur zwei bis drei Treffer in schneller Folge, die euren Kontrahenten auf unter 50 Prozent Gesundheit drücken. So frühstücke ich massenhaft Gegner in kurzer Folge - und dank der unzähligen Variablen auf immer neue Weise ab.

Midnight Fight Express - Screenshots zum Motion-Capture-Prügler ansehen

Ähnlich dem artverwandten Hotline Miami haben aufgehobene Schusswaffen nur eine einziges Magazin, bevor sich sie zu unhandlichen Nahkampfprügeln zweitverwerte oder wegwerfe. Richtige Nahkampfwaffen hingegen zerbrechen nach sechs bis zehn Angriffen und erfordern die Rückkehr zu meinen kaum minder-tödlichen Fäusten.

Dank effektreicher Physiksimulation und hervorragendem Treffer-Feedback fühlt sich das Kampfgefühl stets nachvollziehbar an und macht aus jeder Konfrontation einen einzigartigen Todestanz. Damit ich die auch mit Freunden teilen kann, gibt es einen eingebauten Gif-Recorder wie in My Friend Pedro. Die Bluteffekte kann man übrigens auch abschalten oder auf übertriebene Höhen rauf schrauben, bei denen dann sogar Gliedmaßen durch die Gegend fliegen. Der Entwickler selbst bevorzugt die realitätsnahe Standardeinstellung.

Witzigerweise gibt es schon jetzt einen Moveset-Mod (Nexusmods), der die Kampfstile aus Midnight Fight Express in den Hardcore-Prügler Sifu einbaut. Wenn es euch nach dieser Spielvorstellung bereits in den Martial-Arts-Muskeln juckt, lest gerne unseren Test dazu: Sifu hat einen stärkeren Fokus auf Einzelkämpfe und erlaubt euch mit seinen darauf getrimmten Talentbäumen eine noch stärkere Individualisierung eures Kampfstils als MFE.

Eine Sandbox wie sie mir gefällt

Oh nein, er hat es mit Sifu verglichen. Das heißt doch bestimmt, dass auch Midnight Fight Express ein knüppelhartes Kung-Fu-Dark-Souls für Masochisten ist, oder? Mitnichten! Denn bei MFE wird Anpassbarkeit nicht nur beim Aussehen und Kampfverhalten eures Protagonisten großgeschrieben.

Zum einen lässt sich der Schwierigkeitsgrad bis ins kleinste Detail individualisieren: Während härtere Naturen gleich gänzlich ohne jede Heilung spielen können, regeneriert eure Gesundheit auf den niederen Schwierigkeitsgraden teilweise von selbst.

In den linearen Levels gibt es aber sowieso wenig Zeit für Verschnaufpausen, denn eigentlich ist das Spiel auf schnelle Kämpfe und schnelle Tode ausgelegt. Die fairen Checkpoints regenerieren mein Leben nach jedem Ableben vollständig, damit ich nicht jedes Mal wieder halb tot vor einem Boss stehe.

Midnight Fight Express: Trailer kündigt wilden Mix aus Hotline Miami + John Wick an Video starten 0:54 Midnight Fight Express: Trailer kündigt wilden Mix aus Hotline Miami & John Wick an

Zum anderen schaltet man später einen Sandbox- bzw. Spielplatz-Modus frei, indem man seine Spielerfahrung fast komplett selbst gestalten darf. Von Gegnerarten, über Waffenvielfalt bis hin zum abgespielten Musikstück darf ich hier meine Fähigkeiten und Kombo-Talente nach Herzenslust ausprobieren und einstudieren.

Wer sein Können dann mit anderen messen will, der bekommt zwar zu Release keinen Multiplayer-Modus (der Entwickler denkt zumindest über eine Koop-Arena mit Gegnerwellen als DLC nach), dafür aber Level-Highscores und Bestenlisten.

An bestimmten Stellen in der Story stellt mir das Spiel übrigens KI-Begleiter zur Seite. Wenn ich auf die allerdings partout keine Lust habe, dann darf ich sie auch einfach über den Haufen ballern und allein weiterziehen. Ja, MFE lässt mich wirklich genau so spielen, wie ich das für richtig halte - bis in die letzte Konsequenz hinein.

Animationen vom Profi

Für die ungeheuer geschmeidigen und vielfältigen Animationen zeichnet sich das Motion-Capture-Studio SuperAlloy Interactive verantwortlich. In deren Portfolio tauchen auch Hochkaräter wie das Action-Adventure God of War, das Survival-Actionspiel The Last of Us 2, den Multiplayer-Shooter Destiny 2 oder der Serien-Hit Altered Carbon auf.

Auf dem 400 Quadratmeter großen Gelände der Firma in der Nähe von Las Vegas wurden tagelang Schläge, Tritte, Sprünge und Würfe mit speziellen XSENS-Anzügen aufgezeichnet, die extra auf solch intensive Nahkampf-Einsätze ausgelegt sind. Währenddessen beobachtete der Entwickler Jacob Dzwinel aus dem heimischen Polen das Treiben über Skype und erarbeitete gemeinsam mit Stunt-Koordinator Eric Jacobus die zahlreichen Animationen.

Die im Spiel abgebildeten Kampftechniken sind eine Mischung aus klassischem Boxen und Ringen, dem wilderen Brawling, den koreanischen Kampfsportarten Taekwondo und Hapkido sowie dem thailändischen Muay Thai - auch bekannt als Thaiboxen.

In diesem Video seht ihr auf eindrucksvolle Weise, wie die Bewegungen der vier Stuntleute zu Animationen in Midnight Fight Express umgemünzt werden:

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Nach rund drei Jahren Entwicklung soll Midnight Fight Express schließlich im dritten Quartal 2022 auf Steam und allen gängigen Konsolen inklusive Switch erscheinen. Eine GoG-Version ist ebenfalls geplant. Anhand eines verräterischen Eintrags bei SteamDB rechnen wir momentan mit Ende August.

Was denkt ihr über MFE? Können euch die toll choreografierten und abwechslungsreichen Kämpfe überzeugen oder schreckt euch die Top-Down-Perspektive schlussendlich ab? Teilt eure Gedanken gerne mit uns in den Kommentaren!

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