Nvidias Verhalten im GTX 970-Skandal - Arroganz statt Rückgrat

Der Skandal um den beschnittenen Grafikspeicher der GTX 970 schlägt überall hohe Wellen – außer bei Nvidia. Hardware-Redakteur Nils Raettig sagt: Das geht gar nicht!

Wenn man einen Fehler macht, dann sollte man auch dazu stehen. Nvidia beherzigt das im Falle der VRAM-Problematik der GTX 970 nicht. Wenn man einen Fehler macht, dann sollte man auch dazu stehen. Nvidia beherzigt das im Falle der VRAM-Problematik der GTX 970 nicht.

Stellen Sie sich vor, Sie lesen eine tolle Kolumne Ihres Lieblings-GameStar-Mitarbeiters (ich tippe mal auf einen der Michaels), die in Wahrheit zu einem Achtel von einer Empfangsdame geschrieben wurde. Nichts gegen unsere Empfangsdame, aber sie ist eben kein Michael (ich übrigens auch nicht). Kurze Zeit später kommt alles ans Licht, ein Sturm der Entrüstung bricht los. Jetzt gibt es für uns verschiedene Möglichkeiten, darauf zu reagieren.

Wir könnten natürlich sagen, dass Michael krank war und dass niemand außer der Empfangsdame Zeit hatte, für ihn einzuspringen. Außerdem hat es Ihnen doch trotzdem Spaß gemacht, die Kolumne zu lesen und Michael hätte sie höchstens eine kleines bisschen besser machen können, weil unsere Empfangsdame echt Ahnung von Spielen hat. Wesentlich angebrachter wäre es aber doch stattdessen, den Fall ehrlich zu erklären, sich zu entschuldigen und Ihnen hoch und heilig zu versprechen, dass so etwas nicht mehr vorkommen wird.

Selbst dann würde ein fader Beigeschmack bleiben und Sie wären sich in Zukunft verständlicherweise wohl nie ganz sicher, ob in unseren Artikeln wirklich der Autor drin steckt, der dran steht. Aber eine Entschuldigung hätten Sie so oder so verdient – auch wenn Sie die Kolumne völlig kostenlos lesen konnten.

Keine Einsicht weit und breit

Überträgt man diesen Fall nun auf eine über 300 Euro teure Grafikkarte, dann landet man bei der Geforce GTX 970. Kurz für diejenigen, die es nicht mitbekommen haben: Nvidia hat zur Veröffentlichung der Karte irreführende technische Angaben gemacht, die den Eindruck erwecken, sie würde genau wie die GTX 980 über durchgängig gleich schnell angebundene 4,0 GByte VRAM verfügen. Tatsächlich ist der Speicher der GTX 970 aber in einen schnellen Bereich mit 3,5 GByte und in einen erheblich langsameren Bereich mit 0,5 GByte eingeteilt.

Schon alleine deshalb, weil die GTX 970 viel Geld kostet, haben ihre Käufer in noch viel größerem Maße eine Entschuldigung verdient als die getäuschten Leser einer kostenlosen Kolumne. Außerdem sollte es klare Ansagen zu einer möglichen Rückgabe oder Entschädigung geben. Im Skandal um die GTX 970 ist Nvidia bislang aber beides weitgehend schuldig geblieben - und daran wird sich sehr wahrscheinlich auch nichts mehr ändern. Erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass Nvidias Erklärung des Ganzen nicht gerade sehr überzeugend ist.

Eines von vielen Beispielen für Nvidias Umgang mit dem VRAM-Problem auf Twitter. Übersetzt heißt es in diesem Beitrag: »An der GTX 970 ist nichts falsch, sie ist genau so wie von uns gewünscht, und das bedeutet großartig.« Eines von vielen Beispielen für Nvidias Umgang mit dem VRAM-Problem auf Twitter. Übersetzt heißt es in diesem Beitrag: »An der GTX 970 ist nichts falsch, sie ist genau so wie von uns gewünscht, und das bedeutet großartig.«

Denn Nvidias Pressearbeit war in der Vergangenheit geradezu ein Paradebeispiel für weltweit koordinierte, von Hinten bis Vorne durchstrukturierte (um nicht zu sagen: gleichgeschaltete) Kommunikation – ganz im Gegensatz zum PR-Chaos des Hauptkonkurrenten AMD. Auch deshalb ist es in meinen Augen kaum vorstellbar, dass wirklich niemand von Nvidia die weltweit an Dutzende Redaktionen verschickten Unterlagen zur GTX 970 gelesen und freigegeben hat, der über die technischen VRAM-Unterschiede im Vergleich zu der GTX 980 Bescheid wusste – denn das geschieht in der Regel weit oben in der Hierarchie.

Man kommt also nicht umhin, darüber nachzudenken, ob Nvidia nicht vielleicht Sorge hatte, gegenüber der Radeon R9 290(X) von AMD mit tatsächlich durchweg schnell angebundenen 4,0 GByte schlechter dazustehen und deshalb die technische Einschränkung bewusst verschwiegen wurde.

Leistung ist nicht alles

Bedenkt man die reale Leistung der GTX 970 in aktuellen Spielen ist das natürlich eine maßlos übertriebene Sorge: Die GTX 970 ist trotz allem meist etwas schneller als die ähnliche teure R9 290X und verbraucht gleichzeitig deutlich weniger Strom, zudem macht sich der beschnittene VRAM aktuell hauptsächlich in Auflösungen und Settings bemerkbar, die von Spielern eher selten genutzt werden (siehe auch unsere Analyse des VRAM-Problems der GTX 970).

Aber selbst wenn man Nvidia zugesteht, dass die GTX 970 immer noch eine sehr gute Grafikkarte ist und selbst wenn man ihnen glaubt, dass es aus Versehen zu den irreführenden Angaben gekommen ist, dann ändert das immer noch nichts daran, dass der Umgang mit Kunden und Öffentlichkeit nach Bekanntwerden der falschen Angaben dem Grafikkartenhersteller größtenteils ein Armutszeugnis ausstellt.

Statt sich zu entschuldigen, betont man über den offiziellen Twitter-Account immer wieder, dass die GTX 970 genauso arbeite, wie es gedacht sei und dass es sich dabei immer noch um eine tolle Grafikkarte handle. Ernsthaft, Nvidia?!

Ja, wir selbst haben in unseren Artikeln zu dem Thema meist auch geschrieben, dass die GTX 970 trotz allem für Spieler eine empfehlenswerte Grafikkarte ist. Aber unabhängig davon bleibt die Tatsache bestehen, dass irreführende technische Angaben zur GTX 970 gemacht wurden.

Wie auch immer es dazu gekommen sein mag – eine Entschuldigung ist das Allermindeste, was die Spielergemeinde erwarten kann. Das Nvidia nicht einmal zu diesem völlig kostenlosen Schritt bereit ist, zeugt von einer Arroganz, die unangebrachter nicht sein könnte. Während man ja eigentlich aus Fehlern lernen sollte, scheint bei Nvidia bislang das Problembewusstsein (zumindest öffentlich) komplett zu fehlen.

Da ist es wahrscheinlich auch nur ein kleiner Trost, wenn ich Ihnen verspreche, dass keine unserer Empfangsdamen auch nur in die Nähe dieser Kolumne gekommen ist.

Im Präsentationsmaterial, das Nvidia zur Veröffentlichung der GTX 970 und der GTX 980 an die Presse geschickt hat, waren die Speicherangaben zu beiden Karten identisch, obwohl der VRAM der GTX 970 im Gegensatz zum VRAM der 980 in zwei unterschiedlich schnelle Speicherbereiche eingeteilt ist. Im Präsentationsmaterial, das Nvidia zur Veröffentlichung der GTX 970 und der GTX 980 an die Presse geschickt hat, waren die Speicherangaben zu beiden Karten identisch, obwohl der VRAM der GTX 970 im Gegensatz zum VRAM der 980 in zwei unterschiedlich schnelle Speicherbereiche eingeteilt ist.

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