Rollercoaster Tycoon - »Glaubt ihr, dass wir Idioten sind?« - Crowdfunding-Kampagne wird zum PR-Desaster

Atari will von Fans 1,07 Millionen Dollar für die Entwicklung eines Rollercoaster Tycoon für die Switch sammeln, doch die Kampagne ist jetzt schon ein Desaster.

Todd Shallbetter, COO von Atari, will für Rollercoaster Tycoon auf der Switch Geld von den Fans. Die machen jetzt aber gegen das Unternehmen mobil. Todd Shallbetter, COO von Atari, will für Rollercoaster Tycoon auf der Switch Geld von den Fans. Die machen jetzt aber gegen das Unternehmen mobil.

Im Rahmen einer neuen Atari-Crowdfunding-Kampagne, für ein Rollercoaster Tycoon für Nintendos Switch, prasselt auf der Spendenseite und auf YouTube ein Shitstorm auf das Unternehmen ein, der eine ganze Wagenladung von Vorwürfen auffährt. Diese bezichtigen Atari in allen Formen und Variationen der Lüge. Je tiefer man in die Hintergründe eintaucht, desto weniger wahrscheinlich erscheint es, dass Atari die geforderten 1,07 Millionen Dollar in den nächsten 89 Tagen einsammeln kann.

Kurz zu den Eckdaten der insgesamt auf 90 Tage angesetzten Kamapgne, die auf Startengine.com läuft. Dort wirbt Atari-COO Todd Shallbetter mit einem Video um das Geld der Fans. Das Angebot sei aber nicht einfach zu vergleichen mit einem normalen Crowdfunding-Projekt, wie beispielsweise auf Kickstarter. Stattdessen erhalten die Backer, die Atari im Zuge der Kampagne konsequent Investoren nennt, die Möglichkeit, Anteile am Gewinn des Switch-Spiels zu erhalten.

Dieses soll angeblich eine komplette Neuentwicklung darstellen. Das klingt erst einmal gar nicht so schlecht aber das Projekt weist eine Menge Ziegenfüße auf. Einer davon: Für einen 25-prozentigen Rabatt auf das finale Spiel, müsst ihr mindestens 750 Dollar investieren.

Wir haben Atari um eine Stellungnahme zu diesen Vorwürfen gebeten, bis dato aber noch keine Rückmeldung erhalten. Sobald wir etwas hören, werden wir den Artikel aktualisieren.

Link zum YouTube-Inhalt

Das alte und das neue Atari

Das Pitch-Video auf YouTube hat aktuell knapp über 10.000 Aufrufe und dabei bereits 1000 Downvotes und lediglich 74 Daumen nach oben erzielt. Warum? Nun, zunächst beginnt Atari-COO Todd (der Nachname Shallbetter wird im Video aus Gründen der Nahbarkeit weggelassen) über Ataris glorreiche Vergangenheit zu referieren. Er zählt auf: Man verfüge über 220 IPs, wie Space Duel, Gravatar, Centipede oder Pong. Und weiter:

"Ataris Top 10 Franchises haben [Gedankenpause] über 2 Milliarden Dollar eingesammelt. Wir wissen, was wir tun! Wir haben es bereits getan! Wir sind eine globale Firma, ein globaler Publisher, ein globaler Entwickler."

Doch dieses alte Atari ist schon lange Geschichte, die Firma hinter Pong, Centipede & Co. starb spätestens im Jahr 1993 bei der Übernahme durch Time Warner. 2003 meldete dann auch Midway Games als "Erbe" der Marke Atari Insolvenz an. Das heutige Atari entstand, als sich der französische Publisher Infogrames nach dem Erwerb der Markenrechte 2003 in Atari Inc. umbenannte.

2013 musste dann auch das »neue« Atari Insolvenz anmelden, im Zuge dessen suchte man sogar nach einem Käufer der Marke Atari. Die wollte aber niemand haben. Nach der Tilgung eines Teils der Schulden und dem Verkauf einzelner Marken - etwa von Master of Orion an Wargaming - konnte die Insolvenz schließlich abgewendet werden.

Zweifelhaftes Geschäftsmodell

Wer nun die Historie des Unternehmens kennt, wird langsam hellhörig, schließlich verspricht Shallbetter danach folgendes Investment: Backer stecken mindestens 250 Dollar in das Spiel und erhalten dafür das Recht, an den Gewinnen beteiligt zu werden. Die Ausschüttung gewährt den Investoren Pro-Rata-Anteile von 50 Prozent der Gewinne, bis sie 120 Prozent ihrer Investitionssumme erzielt haben. Danach erhalten sie Pro-Rata-Anteile von 25 Prozent der Profite, bis die ersten 18 Monate nach dem weltweiten Launch des Spiel verstrichen sind, oder die Lizenz von Atari Game Partners verstrichen ist.

Jetzt wird es aber undurchsichtig: Die Pro-Rata-Anteile berechnen sich aus den Anteilen, welche die jeweiligen Spender am Gesamtinvestitionsvolumen haben. Das bedeutet, jemandem der genau 250 Dollar in das Projekt steckt, steht bei Erreichen der 1,07 Millionen ein Anteil an 0,023 Prozent an den Gewinnen zu. Sollte das Spiel in den ersten 18 Monaten alle vier Wochen jeweils eine Million Dollar Gewinn abwerfen, dann stehen dem Investor also zunächst 0,023 Prozent von 500.000 zu - natürlich angenommen, dass die Gewinne monatlich abgerechnet werden. Das wären in diesem Fall 115 Dollar im Monat.

Damit hätte der Investor in weniger als drei Monaten seine Investition auf 120 Prozent gebracht. Danach ginge es mit dem Pro-Rata-Anteil an 25 Prozent der Gewinne weiter, was bei einer Million Dollar Gewinn im Monat 57,5 Dollar entspräche. Gehen wir von der 18 Monate-Klausel aus und ziehen die ersten drei Monate ab, dann landen wir bei maximal 862,50 Dollar, die der Investor in diesem Beispiel in den folgenden 15 Monaten erwirtschaften kann. Danach ist Sense. Das klingt nach einem ordentlichen Sümmchen, doch Atari hat einige Stolperfallen in die Abmachung eingebaut.

RollerCoaster Tycoon World - Screenshots ansehen

"Glaubt ihr, dass wir Idioten sind?"

Zum einen ist die Investitionsrückzahlung nur für US-Bürger möglich und zum anderen behält sich das Unternehmen vor, gewisse Zahlungen teilweise zur Tilgung von Schulden zu nutzen, oder auch für Ausgaben des Postens "Reisen und Unterhaltung" zu verwenden. Das liest sich in den Augen vieler aufgebrachter Fans wie ein Freifahrtschein für willkürliche Ausgaben. Auf der Kampagnensseite auf Startengine schreibt ein User:

"Glaubt ihr bei Atari, dass wir Idioten sind? Ihr habt sogar eine Klausel eingefügt, die besagt, dass ihr unser Geld für alles benutzen könnt, was ihr wollt."

Zusätzlich spricht die erwähnte Klausel von Lizenzverlust. Das bedeutet, dass Atari Game Partners die Summen nicht zwingend auszahlen muss, wenn sie die Lizenz verlieren, das Spiel zu vertreiben. Da Atari Game Partners nicht identisch mit Atari ist, sondern nur eine Sparte des Unternehmens, besteht unter Umständen die Gefahr, dass die Muttergesellschaft (Atari) der Tochtergesellschaft (Atari Game Partners) die Lizenz entzieht. Dass dies willkürlich geschehen kann, ist nicht ausgeschlossen.

Dass man bei Atari zudem generell vorsichtig sein sollte, was Investitionen angeht, zeigt sich, wenn man die Geschichte des Unternehmens betrachtet.

Rollercoaster Tycoon World - Dafür ist Early Access nicht gedacht! Video starten 5:34 Rollercoaster Tycoon World - Dafür ist Early Access nicht gedacht!

Atari ist aktuell ein Scherbenhaufen

Spiele wie Alone in The Dark: Illumination (2015), GameStar-Testwertung 23 und Rollercoaster Tycoon World (2016), GameStar-Testwertung 37 stellen der Firma auch heute kein gutes Zeugnis aus. Die eingangs genannten Umsatzzahlen von 2 Milliarden Dollar, stammen hauptsächlich aus Ataris goldenen Jahren, vor der Jahrtausendwende. Die jetztigen Daten lesen sich anders: Rollercoaster Tycoon World, das bislang letzte Spiel der Serie für den PC, hat auf Steam 4404 Reviews erhalten, davon 3254 negativ. Das bestätigt, dass sich seit unserem Test im Jahr 2016 nichts getan hat, denn auch die neuesten User-Reviews fallen vernichtend aus.

Wenn Todd Shallbetter in seinem Crowdfundingvideo sagt: "Wir wissen, was wir tun", dann ist das im Hinblick auf den seit Jahren katastrophalen Zustand des letzten Rollercoaster-PC-Spiels absolut unangemessen. Besonders viele Spieler beschäftigen sich übrigens nicht mehr mit Rollercoaster Tycoon World. Laut Steamspy waren es am 24.1.2018 lediglich 61 Spieler, die gleichzeitig mit dem Titel online waren. Beim direkten Konkurrenten Planet Coaster, GameStar-Test 77, waren es am gleichen Tag laut Steamspy 2.705.

Außerdem soll Atari in mindestens einem Fall seine Schulden nicht bezahlt haben: Die Entwickler von Planet Coaster, Frontier Developments, verklagten Atari 2017 wegen nicht geleisteter Zahlungen für die Entwicklung von Rollercoaster Tycoon 3. Den dritten Teil der Serie hatte Frontier damals noch für Atari entwickelt, bevor man eigene Wege ging.

Damals hieß es, Atari müsse Frontier 3,37 Millionen Dollar an Tantieme zahlen, das Unternehmen habe bis zu diesem Zeitpunkt aber nur 1,17 Millionen Dollar abgeleistet. Rollercoaster Tycoon 3 war für viele übrigens der letzte gute Teil der Serie. Im GameStar-Test erhielt das Spiel 2004 die Wertung 83. Im Gegensatz zu Atari war Frontier mit Planet Coaster durchaus in der Lage, die Qualität zu halten. Das kann durchaus ein Grund sein, mit einer Investition vorsichtig zu sein.

Rollercoaster Tycoon World - Test-Video: Zombieparade im Diaprojektor Video starten 8:48 Rollercoaster Tycoon World - Test-Video: Zombieparade im Diaprojektor

Wird Switch-Version nur ein Port von Rollercoaster Tycoon Touch?

Die Kritik hört aber hier nicht auf. Atari wirbt im Thumbnail des YouTube-Videos zur Kampagne mit dem klassischen, von Fans geliebten Rollercoaster Tycoon. Im Video selbst ist aber nur Material aus dem aktuellen Mobile-Game Roller Coaster Tycoon Touch zu sehen. Der Vorwurf der Täuschung wurde laut, denn im Gegensatz zu einem Spiel, welches auf einem Mobile-Port basiert, wollen die Fans ein »echtes« Rollercoaster Tycoon. Shallbetter redet aber im Video fast ausschließlich von den Errungenschaften des Smartphone-Spiels, während er die Switch-Version bewirbt.

Rollercoaster Tycoon Touch wurde übrigens von den gleichen Entwicklern wie Rollercoaster Tycoon World programmiert (Nvizzio Creations), ein Spiel, das auf Steam wie gesagt seit Jahren vor sich hinvegetiert und sich immer noch in einem inakzeptablen Zustand befindet. Umso verwunderlicher: In der Kampagne heißt es, Nvizzio sei ein Studio, das von "Leidenschaft getrieben" sei.

Das bringt viele Fans auf die Palme, denn es macht tatsächlich den Eindruck, als wolle Atari die 1,07 Millionen Dollar für einen erweiterten Switch-Port des Mobile-Spiels verwenden. Die Assets, die auf der Kampagnenseite zu finden sind, sowie die angebliche Pre-Alpha-Footage der Switch-Version sehen der Smartphone-Fassung von Rollercoaster Tycoon Touch zum Verwechseln ähnlich.

Falls das wirklich der Plan sein sollte, ist kaum zu vermitteln, warum Investoren über eine Million Dollar in ein Projekt zahlen sollen, das laut früherer Aussagen der Entwickler bereits in Unity gebaut wurde und damit vergleichsweise einfach zu portieren ist. Die Bilder lassen kaum Zweifel, dass es sich bei der Alpha lediglich um Screens aus der Mobile-Version, oder einer leicht modifizierten Mobile-Version, handelt. Hier ein Vergleich (achtet auf die komplett identischen Gebäude, wie die Rakete):

Rollercoaster Tycoon Switch Rollercoaster Tycoon Switch sieht irgendwie aus wie...

Mobile-Version ...Rollercoaster Tycoon Touch.

Backer bekommen nicht einmal das Spiel

Natürlich gibt es bei der Thematik sicherlich öfters Überschneidungen mit Vorgängerspielen – das Riesenrad kann niemand neu erfinden. Doch bei einer derartigen Summe, hätte Atari sich schon ein wenig Mühe geben sollen, das angeblich eigenständige und komplett neue Projekt auch als solches darzustellen.

Letztlich schäumen viele Fans auch deshalb vor Wut, da Atari den Backern für die mindestens geforderten 250 Dollar nicht einmal das Spiel in Aussicht stellt. Wer 250 Dollar in die Hand nimmt, bekommt neben der zweifelhaften Gewinnbeteiligung lediglich eine optionale Erwähnung auf der Investorenseite des Projektes.

Ab 750 Dollar erhalten Backer dann sage und schreibe 25 Prozent Rabatt auf die unverbindliche Preisempfehlung des Spiels.

Ab 1.500 Dollar kommt dann, neben den Belohnungen der niedrigeren Stufen, noch eine kostenlose Version des Buches »The Art of Atari« hinzu.

Wer die Aktion unterstützen möchte, kann dies auf Startengine tun. Bisher haben 19 Investoren insgesamt 14.400 Dollar gespendet.

Alternativ kann man aber auch einfach zu Planet Coaster greifen, das zwar auch nicht perfekt, doch sein Geld durchaus wert ist. Unser Testvideo findet ihr nachfolgend:

Planet Coaster - Test: Das Spiel mit den zwei Gesichtern Video starten 7:25 Planet Coaster - Test: Das Spiel mit den zwei Gesichtern

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