Splitgate macht mir Hoffnung für andere Shooter

Meinung: Dass Splitgate so dermaßen durch die Decke geht, ist für Dimi genauso spannend wie das Spiel selbst. Denn das Shooter-Genre ist reif für Veränderung.

Eigentlich ist Splitgate schon ein bisschen frech. Der Multiplayer-Shooter geht seit Wochen auf Steam durch die Decke, jetzt in diesem Moment spielen 60.000 Leute gleichzeitig, Leute brüten satte 90 Minuten in der Warteschleife, nur um einen begehrten Platz auf den völlig überlasteten Servern zu ergattern - und dabei ist nahezu jeder Aspekt von Splitgate dreist von irgendwo abgekupfert.

Das Kill-Feedback gleicht haargenau Overwatch, die Waffen stammen aus Halo, das Mapdesign reiht sich irgendwo zwischen Quake und UT ein, die verschießbaren Portale stammen eins zu eins aus ... gut, das könnt ihr selbst raten. Und die spielbaren roten und blauen Supersoldaten surfen so haarscharf unterhalb der Halo-Markenrechtsverletzung hindurch, dass selbst Kelly Slater respektvoll das Haupt neigen würde.

Aber ich will gar nicht mit dem Finger zeigen, herrje, dafür habe ich viel zu viel Spaß mit dem Spiel! Durch die Arenen zu flitzen, Leute mit der DMR aufs Korn zu nehmen, mir pfiffige Finten zu überlegen - Splitgates Gameplay ist so simpel wie kreativ. Es rührt aus allen möglichen altbekannten Shooter-Zutaten eine neue Rezeptur zusammen, bei der überhaupt niemand die Frage stellen will, ob das innovativ oder bloß smart kombiniert oder dreist kopiert oder irgendwie alles davon ist.

Splitgate spielt sich wie ein Mix aus Portal und ... naja ... Waffen. Splitgate spielt sich wie ein Mix aus Portal und ... naja ... Waffen.

Doch es gibt eine Frage, die man in meinen Augen stellen sollte: Nach einer jahrelangen Ägide des Battle Royale, in der klassische Arena-Multiplayer es extrem schwer hatten (das arme Quake Champions) - wie passt der Erfolg eines Splitgate da rein? Und was könnte er für die Zukunft des Shooter-Genre bedeuten?

Wieso geht Splitgate derart durch die Decke?

GameStar hat schon vor Wochen darüber berichtet, dass der Erfolg von Splitgate mehr ist als bloß Twitch-Hype. So wertvoll Streaming aus Marketingsicht auch sein mag - ein Spiel dominiert nicht wochenlang die Steam Charts, wenn es keinen Spaß bringt. Keine Streaming-Berühmtheit der Welt könnte mich motivieren, feierabends Anthem zu zocken.

Wer jetzt einwirft »Naja, Splitgate macht halt einfach Spaß«, hat zwar Recht, kehrt aber die Besonderheit des Spiels ein wenig unter den Tisch. Denn 2021 wirkt Splitgate wie ein Gegenentwurf zum Battle Royale: Hinter jeder Ecke wartet Action, Ruhepausen gibt es nicht, ich bin als Spieler permanent involviert. Mein eigener Tod ist keine echte Strafe (merkwürdiger Satz), sondern ich hopse direkt wieder ins Rennen, verschieße meine Portale, grätsche N00bs in die Flanke, werde von Profis weggeputzt, lerne, lerne, lerne.

2015 wollte Epic Games noch Unreal Tournament wiederbeleben, fertiggestellt wurde es nie. Denn auf einmal drehte sich alles nur noch um Fortnite! Seit drei Jahren liegt das Projekt auf Eis. 2015 wollte Epic Games noch Unreal Tournament wiederbeleben, fertiggestellt wurde es nie. Denn auf einmal drehte sich alles nur noch um Fortnite! Seit drei Jahren liegt das Projekt auf Eis.

So sehr ich den Nervenkitzel langer Battle-Royale-Runden auch mag: Meine Kumpels und ich haben schon bei Warzones Rebirth Island begeistert aufgeatmet, weil der kleinere Gefängnis-Battle-Royale so viel Leerlauf wegstreicht. Und hier ist der Knackpunkt verborgen: Videospiel-Trends verlaufen sehr oft in Wellen oder Zyklen.

Was noch 2016 zu Zeiten von Overwatch und Call of Duty: Black Ops 3 völlig normal war - rasante Deathmatch-Multiplayer auf kleinen Karten mit kleinen Teams -, ist fünf Jahre später merkwürdigerweise wieder ungewohnt frisch, weil so viele prominente Shooter seit Jahren auf Entschleunigung setzen. Selbst Hardcore-Alternativen wie Tarkov, Hell Let Loose oder Hunt Showdown bilden da ja keine Ausnahme, im Gegenteil.

Besser als Battle Royale?

Natürlich fehlt Splitgate umgekehrt, was Battle Royale so magisch macht: die Einzelschicksale, die Spannung, die Geschichten. Weil meinen Kumpels und mir in jeder Warzone-Runde absurde Unfälle passieren, wir in irgendeiner abgeranzten Scheune viel länger als eigentlich vertretbar die Stellung halten, wir auf dem Krankenhaus-Dach von einem einzelnen Heli wegrasiert werden - weil Battle Royale in seiner Größe so einzigartige Lagerfeuergeschichten hervorbringt, würde ich nie sagen: Battle Royale ist blöd.

In Warzone erleben die Leute unendlich viele Geschichten. Aber trotzdem muss Raum für Alternativen existieren. In Warzone erleben die Leute unendlich viele Geschichten. Aber trotzdem muss Raum für Alternativen existieren.

Aber Warzone, PUBG und andere strategische Multiplayer wie Rainbow Six und Co. sind wie spaßige Brettspielabende: Man muss nachdenken, planen, erringt langfristige Siege. Je mehr taktische Tiefe ein Spiel bietet, desto einzigartiger fühlen sich meine Lösungen und Ansätze an. Splitgate ist im Vergleich wie Steilgehen in der Disco. Stumpf, laut, adrenalingeladen - und man steht ewig Schlange.

Runde für Runde strample ich mich ab, eine gute Performance hinzulegen und hier endet die Disco-Metapher dann auch, aber was ich nur sagen will: Splitgate ist genau die perfekte Shooter-Feierabendunterhaltung, die auch die alten CoDs für mich waren. Wenn ich keine Lust auf möglichen Frust habe, zocke ich Team-Deathmatches, weil es einfach um nichts geht. Pro Runde investiere ich kaum Zeit, mal sahne ich ordentlich ab, mal verdreschen mich 12jährige.

Ein Zeichen für die Zukunft?

Ich wünsche mir so sehr, dass dieser Erfolg (wieder) Schule macht. Dafür habe ich schon in diesem Battlefront-Video geworben, aber weil im Internet eh alles nach einem Tag vergesse ist, breche ich die Lanze ganz frech einfach hier nochmal:

Battlefront 2 liefert 2021, was alle anderen Shooter verschnarchen Video starten 13:33 Battlefront 2 liefert 2021, was alle anderen Shooter verschnarchen

Der klassische Arena-Casual-Shooter ist nicht tot. Er braucht nur die richtigen Erben. Denn man muss es so rabiat sagen: Ein Black Ops: Cold War leistet einfach nicht genug, um nach dem Battle Royale wieder eine Trendwende einzuläuten oder eine echte Alternative zu bieten.

Womit ich gar nicht behaupte, dass Cold War schlecht ist (hatte eine Weile echt Spaß damit), aber um einer neuen Generation die Magie alter Deathmatch-Shooter zu vermitteln, muss ein Spiel mehr sein als »wie früher«. Es muss sein wie Splitgate: ein Best-Of, das trotzdem nicht altmodisch wirkt.

Wer das Lootbox-Desaster von Battlefront erlebt hat, mag daran vielleicht mal zweifeln, aber Shooter-Entwickler und Publisher sind durchaus smart. Call of Duty hat den Battle Royale extrem clever für sich erobert, andere Shooter wie Hunt, Tarkov und Co. suchen sich lukrative Nischen, Overwatch werkelt vielleicht bestimmt möglicherweise an seinem eigenen Nachfolger - aber den klassischen Casual Shooter kann irgendwie niemand beerben.

Oft scheitert's an der Monetarisierung. Das Zeitalter kostenpflichtiger Multiplayer ist vorbei - das analysieren wir ausführlich im GameStar-Podcast zur gegenwärtigen Shooter-Lage:

Ist der Weg zu weit?

Aber ich kann mir vorstellen, dass der Weg auch einfach zu weit scheint. Sich jetzt gegen den Battle-Royale-Trend stemmen? Würde ich mir auch gut überlegen. Halo Infinite ist zum Beispiel ein tapferer Vorkämpfer für klassische Arena-Shooter - und aktuell interessieren Halo-News auf GameStar.de so wenige Leute, dass wir alternativ auch einfach brennende Papierflieger durchs Büro fliegen lassen könnten, während wir Videos von dieser permanent überraschten Katze schauen.

Und damit will ich Halo gar nicht kritisieren, im Gegenteil: Auf keinen Shooter freue ich mich aktuell so sehr, weil Halo Infinite genau wie Splitgate zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt. Mit Free2Play-Multiplayer, einem überraschend fairen Battle Pass und Co. öffnen sich beide Shooter auf genau die richtige Art modernen Trends, aber bieten mir eine echte Alternative.

Habt ihr das Halo-Multiplayer-Gameplay mal gesehen? Gut, wahrscheinlich nicht, weil auf der GS ja wie gesagt keiner draufklickt. Aber schaut mal das Video von GamePro-Kollege Tobi. Ich habe so Bock drauf!

Halo Infinite könnte der beste Multiplayer-Shooter des Jahres werden Video starten 9:16 Halo Infinite könnte der beste Multiplayer-Shooter des Jahres werden

Wieso erzähle ich das? Weil die Rückkehr des Casual Shooters ein steiniger, steiniger Weg wird. Splitgate musste zwei Jahre in völliger Obskurität um Aufmerksamkeit kämpfen, bevor jetzt kurz vor Release der große Durchbruch gelang. Und der überlastet die Server des Indie-Projekts so dermaßen, dass der Release verschoben werden musste.

Halo Infinite hat derweil die ganze Big-Budget-Power hinter sich, aber muss dennoch die angeschlagene Halo-Marke an der gesamten Shooter-Konkurrenz vorbei zu alter Größe führen. Uff. Und allem Hype zum Trotz: Ob Battlefield 2042 wirklich Fahrt aufnimmt, steht ebenfalls noch in den Sternen.

2021 könnte eines der spannendsten Shooter-Jahre seit langem werden. Spiele wie Splitgate sind bloß Vorboten von dem, was da in den Betrieben köchelt - und ich hoffe, dass das Genre dadurch an Vielfalt gewinnt. Denn zu viele Misserfolge könnten umgekehrt die kreativen Fronten noch stärker verhärten. Und da muss ich einfach Meister Yoda zitieren: »Unerwartet das ist, und bedauerlich ...«

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