Spoilerfreie Filmkritik: Captain America 4 überrascht - im Guten, wie im Schlechten

Sam Wilson wird als Captain America ausgerechnet in seinem ersten großen Kinofilm zur Nebenfigur degradiert. Trotzdem macht der Film Spaß.

Kann Sam Wilson in die großen Fußstapfen von Steve Rogers treten? Bildquelle: DisneyMarvel Kann Sam Wilson in die großen Fußstapfen von Steve Rogers treten? Bildquelle: Disney/Marvel

GameStar Plus Logo
Weiter mit GameStar Plus

Wenn dir gute Spiele wichtig sind.

Besondere Reportagen, Analysen und Hintergründe für Rollenspiel-Helden, Hobbygeneräle und Singleplayer-Fans – von Experten, die wissen, was gespielt wird. Deine Vorteile:

Alle Artikel, Videos & Podcasts von GameStar
Frei von Banner- und Video-Werbung
Einfach online kündbar

Captain America: Brave New World hat es schon vor Kinostart nicht leicht. Eine zähe Produktion inklusive umfangreicher Nachdrehs lässt viele Fans ein Desaster befürchten. Marvel-Kritiker reiben sich indes angesichts der schlechten Vorzeichen schon freudig die Hände. Hat der Film überhaupt eine faire Chance auf Erfolg?

Wir haben Captain America 4 gesehen und sagen: Besser als befürchtet, schlechter als erhofft. Warum genau wir zu diesem Fazit kommen und was wir richtig gut oder auch mal richtig schlecht fanden, erfahrt ihr nach dem Intro des GameStar Literary Universe. Orchester, du kannst loslegen!

Dä-dääää-dä-dä-dä-dä …

Sören Diedrich
Sören Diedrich

Sören ist einer dieser Marvel-Fans, die heutzutage das Gefühl haben, sich für ihre Leidenschaft entschuldigen zu müssen, weil das MCU einfach uncool geworden ist. Dabei ist auch er nicht blind für Kritik: Das fürchterliche Secret Invasion würde er am liebsten ungeschehen machen, Thor 4 war für ihn pubertärer Klamauk und mit der Tonalität von Spider-Man: Far From Home wird er bis heute nicht warm. Umso mehr freut er sich, dass Captain America 4 echt unterhaltsam geworden ist.

Um was geht es in Captain America: Brave New World?

Sam Wilson (Anthony Mackie) ist inzwischen in seiner von Steve Rogers übernommenen Rolle als Captain America angekommen und arbeitet wieder mit der Regierung der USA zusammen, genauer gesagt: mit dem frisch ins Amt gewählten Präsidenten Thaddeus Thunderbolt Ross (Harrison Ford).

Der Beinahe-Schwiegerpapa von Bruce Banner und langjährige Kritiker der Avengers lädt Sam, dessen neuen Sidekick Joaquín Torres (Danny Ramirez) sowie den rehabilitierten Supersoldaten Isaiah Bradley (Carl Lumbly) sogar ins Weiße Haus ein. Dort enthüllt Ross den versammelten Nationen feierlich das jüngst im Inneren des erstarrten Eternals Tiamut entdeckte Metall Adamantium.

Kurz zuvor eröffnete Ross Sam in einem Vier-Augen-Gespräch, dass er die Avengers wieder ins Leben rufen möchte. Klingt alles prima, doch kurz darauf gerät die Situation außer Kontrolle, als ein Anschlag auf den Präsidenten nur um ein Haar fehlschlägt. Der scheinbare Täter: Isaiah Bradley, der sich an nichts erinnern kann.

Captain America: Im neuen Trailer zu Brave New World legt sich Sam Wilson mit dem US-Präsidenten an Video starten 1:30 Captain America: Im neuen Trailer zu Brave New World legt sich Sam Wilson mit dem US-Präsidenten an

Was folgt, ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Sam muss herausfinden, wer der Strippenzieher hinter dem Attentat ist und die Unschuld seines Freundes beweisen. Präsident Ross muss den Anspruch der USA im internationalen Tauziehen um das kostbare Adamantium behaupten, ohne einen Weltkrieg vom Zaun zu brechen. Außerdem tobt in ihm ein Kampf gegen seine inneren Dämonen - und noch etwas anderes.

Für wen ist Captain America: Brave New World interessant?

Ihr müsst die Disney-Plus-Serie The Falcon and the Winter Soldier nicht gesehen haben, um der Handlung von Brave New World folgen zu können. Das ist löblich, bedeutet aber auch, dass vor allem zu Beginn des Films viel Exposition von den Charakteren geradezu heruntergeleiert wird.

Es wirkt so, als möchte der Film die Serie bewusst ausklammern, damit auch Marvel-Fans durchblicken, die nur ins Kino gehen und kein Disney Plus haben. Das würde unterstreichen, was die Verantwortlichen vor nicht allzu langer Zeit bereits angekündigt haben:

Brave New World gelingt es deutlich besser als vielen anderen MCU-Filmen der letzten Jahre, im Rahmen seiner Prämisse auf eigenen Beinen zu stehen und sich gleichzeitig wie ein Teil des großen Ganzen anzufühlen. Anspielungen auf andere Filme und Ereignisse gibt es zwar nur wenige, die wirken dafür aber nicht aufgesetzt, sondern sinnvoll in die Handlung verwoben.

Die Tonalität des Films ist für Marvel-Verhältnisse angenehm ernst. Sie erreicht nie die nervenzerreißende Spannung eines The Winter Soldier, verkommt aber auch nicht zur kindischen Witzorgie wie Thor: Love and Thunder. Im Gegenteil: Vor allem im Mittelteil spüren wir als Zuschauer, dass es gerade um viel geht. Zudem setzt Brave New World auf überraschend viele (und gute) Dialoge und weniger Action, als wir im Vorfeld erwartet hätten. Genug CGI-Spektakel gibt es natürlich trotzdem …

Was uns an Captain America: Brave New World gefallen hat

  • Die Dialoge: Dass wir das mal wieder bei einem Marvel-Film schreiben können! Aber es stimmt: Bis auf wenige Ausnahmen sind die Gespräche in Brave New World glaubhaft geschrieben und wirken nicht gestelzt. Vor allem die Unterhaltungen zwischen Sam Wilson und seinen Weggefährten wie Isaiah Bradley werden von einigen echt guten Dialogzeilen getragen.
  • Thaddeus Ross: Im Filmtitel steht Captain America, doch die Hauptfigur von Brave New World ist in unseren Augen Thaddeus Ross. Der inzwischen von Harrison Ford gespielte und bis dato vom verstorbenen Schauspieler William Hurt verkörperte Ex-Soldat und Politiker ist einer der ältesten Antagonisten des MCU, sogar noch älter als Publikumsliebling Loki (Tom Hiddleston). Während Thors (adoptierter) Bruder bereits einen tollen Abschluss für seine Charakterentwicklung durchlaufen hat, zieht Ross nun mit Brave New World nach. Der Film bündelt stimmig die 2008 mit The Incredible Hulk losgetretenen Handlungsstränge rund um Thaddeus und führt sie zu einem Ende, das uns emotional berührt. Der Mann hat viele Fehler begangen, aber auch immer zumindest aus seiner Sicht nachvollziehbare Motivation gehabt - das macht die besten Schurken des MCU aus.

Captain America: Brave New World - Marvel lässt euch schon jetzt hinter die Kulissen blicken Video starten 1:32 Captain America: Brave New World - Marvel lässt euch schon jetzt hinter die Kulissen blicken

  • Der Superheld Captain America: Sobald es zur Sache geht, hat Sam Wilson in seiner neuen Rolle eine ganze Reihe an neuen Tricks auf Lager. Trotz seines Verzichts auf das Superserum kann er sich dank seines Trainings und zahlreicher Gadgets selbst gegen zahlreiche Gegner zur Wehr setzen. Sobald Sam in der Cap-Montur zu sehen ist, wirkt es, als fühle er sich inzwischen in seiner Superhelden-Haut wohl. Es gibt jedoch ein großes Aber, dem wir uns gleich bei den Negativpunkten widmen.
  • Das Tempo: In Anbetracht der vielen Nachdrehs hätte Brave New World in Sachen Tempo ein unausgegorenes Schnittwerk sein können - ist es aber nicht. Vom ersten bis zum dritten Akt wechselt der Film in einem angenehmen Rhythmus zwischen Gas und Bremse hin und her. Dadurch kommen vor allem die vorhin gelobten Dialoge gut zur Geltung und gehen nicht sofort im CGI-Feuerwerk unter.

Sam Wilson ist nicht zuletzt dank seiner aus Vibranium gefertigten Flügel auch ohne Superkräfte eine echte Hausnummer. Bild: DisneyMarvel Sam Wilson ist nicht zuletzt dank seiner aus Vibranium gefertigten Flügel auch ohne Superkräfte eine echte Hausnummer. Bild: Disney/Marvel

Was uns an Captain America: Brave New World nicht gefallen hat

  • Das CGI: Ach, wo wir gerade davon sprechen, lasst uns den Punkt gleich abhaken. Ja, das CGI bleibt auch in Brave New World Marvel-typisch ein Mix aus Oh je! und Och, ganz hübsch!. Vor allem die aufwendig inszenierten Kämpfe in der Luft sehen aus, als sei den CGI-Artists die Zeit ausgegangen. Top hingegen sieht Red Hulk aus und auch der finale Kampf kommt ohne grobe visuelle Schnitzer aus. Unterm Strich sieht Brave New World aber immer dann am besten aus, wenn kein CGI zu sehen ist - das sagt alles.
  • Der Mensch Sam Wilson: Während die Persona Captain America überzeugen kann, tut es der Mensch dahinter weniger. Sam bekommt im Film charakterlich wenig zu tun. Immer, wenn er den Tag rettet, macht er das als Captain America. Außerhalb der blau-weißen Uniform sehen wir den gleichen zögernden, unsicher wirkenden Mann, der schon in Avengers: Endgame daran zweifelte, ob er der Richtige für die Nachfolge von Steve Rogers ist. Hier merkt man besonders deutlich, dass die Filmemacher vor allem das Ende der Disney-Plus-Serie unter den Tisch kehren.
  • Die Action: Wir loben die Dialoge und kritisieren die Action in einem MCU-Streifen, richtig gelesen. Ist aber so: Immer dann, wenn Captain America mit seinen Fäusten austeilt, sieht das Geschehen einfach falsch aus. Sam und seine Gegner bewegen sich stets einen Ticken zu langsam, wodurch die schwerfällige Choreografie der Schlagabtausche unschön an der Immersion rüttelt. Wir hätten lieber mehr von den ruhigen Dialogmomenten gehabt, als dieses gestelzte Herumgehampel.
  • Zeitgefühl und Exposition: Wie vorhin schon erwähnt, kommt Brave New World nicht ohne einen ganzen Schwung an Exposition aus. Das wäre nur halb so schlimm, wenn sie wenigstens stimmig im Rahmen der Erzählung an uns Zuschauer vermittelt werden würde, doch stattdessen kommt die unschöne, aber altbewährte Marvel-Methode Mitten ins Gesicht zum Einsatz. Zudem geht vor allem in der zweiten Filmhälfte oft das Gefühl für Zeit und Raum verloren. Wo befinden sich die Figuren jetzt gerade? Wie gelangen sie von einem Ort zum anderen und in welcher Zeitspanne? Diese Fragen werdet ihr euch mehr als einmal stellen. Da hilft nur: Hirn aus, unterhalten lassen.

1 von 2

nächste Seite


zu den Kommentaren (55)

Kommentare(55)
Kommentar-Regeln von GameStar
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.