Star Wars: Andor verändert gerade, wie ich Imperium und Rebellen sehe

Andors größte Errungenschaft gelingt wenigen modernen Serien: Es findet neue Blickwinkel, ohne das Alte kaputtzumachen.

Moment, gibt's hier Spoiler? Ich spoilere keinerlei Details zur Story von Andor, aber erwähne natürlich einige Figuren und spreche ganz allgemein über das, was Andor auf einer Meta-Ebene bewirkt. Jetzt wisst ihr Bescheid.

Heutzutage wird ja ganz, ganz viel erklärt. Wenn selbst Cruella de Vil mittlerweile einen eigenen Kinofilm mit einer Hintergrundgeschichte bekommt, nach der absolut niemand gefragt hat, dann wette ich mit euch: In spätestens zehn Jahren fabriziert Disney die Prequel-Show Palpatine: The Early Years, wo der junge Lord der Sith erstmals die Schulbank auf Naboo drückt und von Captain Panakas späterem Onkel so oft mit der Unterhose am Jackenständer aufgehängt wird, dass er auf die finstere Bahn gerät.

Und dann können die Fans wild Aaw, wenn die nur wüssten! johlen, wenn Jungspund-Palpatine im Physikkurs zum ersten Mal mit Blitzableitern experimentiert. Oder laut Das ist eine Anspielung! krakeelen, wenn Palpi für seine erste Jugendfreundin mit der Macht einen Apfel schält. Hach, Young Palpatine ... mir kräuseln sich schon beim Gedanken die Nackenhaare.

Wer ein Prequel oder Spin-Off in die Welt setzt, sollte auch was zu erzählen haben! Und deshalb liebe ich Andor. Ja, die Serie läuft im Vergleich zu The Mandalorian unter dem Radar, ja, sie wirkt bisweilen langsam und gemächlich, aber bei Dookus Zwirbelbärtchen, Andor bereichert das Star-Wars-Universum so enorm! Und es verändert, wie ich über Imperium und Rebellen nachdenke.

Dimitry Halley
Dimitry Halley

Redaktionsleiter Dimi hatte auf Andor ursprünglich so viel Lust wie auf die jährliche Zahnkontrolle: Wieder eine neue Serie zwischen Episode 3 und 4, wieder Imperium gegen Rebellen ... und dann auch noch mit einer Hauptfigur, die er schon in Rogue One eher langweilig fand. Aber hey, wo er im Gaming mit Battlefield 2042 und Gotham Knights neuerdings meist negativ überrascht wird, gibt's zumindest hier ein wunderbar positives Wow-Erlebnis!

Das Imperium

Star Wars greift in den letzten Jahren meistens in die Bantha-Poodoo-Tüte, wenn es dem Imperium ein Gesicht geben will. Entweder sind Imperiale wie bei Star Wars: Battlefront 2 oder Kenobi eigentlich missverstandene, edelmütige Glücksbärchis, die bloß auf den richtigen Weg finden müssen ... oder sie suhlen sich in Boshaftigkeit, damit ich als Zuschauer ein paar coole Schockeffekte bekomme wie bei Mandalorians Moff Gideon. Beide Pfade erzählen im Krieg der Sterne nichts Neues.

Die wenigen positiven Ausnahmen wie Tarkin (im Roman Tarkin), Thrawn, Orson Krennic in Rogue One oder eben Andor haben eine Wunderwaffe im Gepäck: Leerstellen. Klar, klingt nicht so fancy wie Todesstern oder Darksaber, aber Leerstellen erlauben einer Figur, nahbar zu sein, ohne dass ich sie sympathisch finden muss.

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Rogue One muss mir nicht erklären, dass Orson Krennic eigentlich als missverstandener Idealist mit dem Todesstern-Laser bloß Weltraumwürmer aus Asteroiden rausballern will, um die Hyperraumrouten sicherer zu machen. Wahrscheinlich fände ich Krennics Überzeugungen durch die Bank abstoßend, aber trotzdem fühlt ein Teil von mir mit ihm, wenn er vor Vader am Boden kriecht, weil seine Situation eben nahbar ist: Krennic werkelt sich als typische Führungskraft im mittleren Management den Hintern wund, bekommt dafür weder von oben, noch von unten Respekt, weil ihm Charisma und Herzlichkeit fehlen. Ein bisschen wie The Office in einer weit, weit entfernten Galaxis.

Andor setzt genau da an. Dedra Meero arbeitet als Supervisorin im Imperialen Sicherheitsbüro, also quasi mitten im Herzen dessen, was das Imperium zum Terrorregime macht. Möglicherweise ist sie ein widerwärtiger, abstoßender Mensch (die Serie hält sich hier noch vage), aber sie ringt eben auch mit engstirnigen, hinterhältigen Kollegen und brilliert in erster Linie durch smarte Leistung - also sehr nahbare Qualitäten.

Und auch das alltägliche Treiben im Imperium hätte so schrecklich plump dargestellt werden können. Sturmtruppen, die Leute mit dem Gewehrkolben in Reihe und Glied halten. Stattdessen fehlt von den weißen Schurken bisher nahezu jede Spur! Der größte Trick des Teufels: Die Leute glauben lassen, dass er nicht existiert. Das Imperium besteht aus Millionen kleiner Ungerechtigkeiten, die so schnell vonstatten gehen, dass die einzelne Person gar nicht mitbekommt, in was für einem Regime sie lebt. Oder wie Karis Nemik sagt:

Es ist leichter, sich hinter 40 Gräueltaten zu verstecken, anstatt nur einer.

Das Imperium reguliert den Leidensdruck, die Grenze, ab der die Leute wirklich zur Rebellion aufrufen. Das ist der große Trick dieser Diktatur. Das Imperium ist sowohl als Ganzes, als auch im Alltag der einzelnen Leute und insbesondere durch Figuren wie Dedra oder Syril Karn manchmal erschreckend profan - und Andor bringt das meisterhaft auf den Punkt!

Die Rebellen

Wie geht man mit einem Feind um, der so vorgeht? Die Rebellen in Andor können nicht einfach Kampfstationen in die Luft jagen und gut ist. Maxi Mustermann auf Coruscant greift nicht zum E11-Blaster und schießt auf TIE-Fighter, nur weil Sturmtruppen am anderen Ende der Galaxis Leute ausbeuten. Andor zeigt, wie verflucht heikel der Widerstand gegen eine Regime ist, das Tausende von Welten kontrolliert.

Es gibt eiskalte Strategen wie Luthen, die die Grausamkeit des Imperiums sogar vergrößern, damit die Leute zur Gegenwehr gezwungen werden! Es gibt Extremisten wie Saw Gerrera, die vor keiner Gräueltat zurückschrecken, um dem Feind zu schaden. Es gibt Mon Mothma, die immer wieder an den Weg der Vernunft und Überzeugung glaubt. Und es gibt Cassian Andor selbst, der so weit von einem Strahlehelden entfernt ist wie die Skywalkers von zwei gesunden Händen. Mehr dazu in Tillmanns Loblied, wieso er den unsympathischen Haufen von Andor so fantastisch findet.

Andor macht als Serie nichts kaputt. Weder verharmlost es das Imperium, noch macht es aus den Rebellen einen Haufen desillusionierter Alienmilch-Trinker. Andor schafft neue Kontexte, skizziert neue Schattierungen, verleiht dem Kampf zwischen Imperium und Rebellen neue Tiefe. Ich hatte keine Ahnung, dass ausgerechnet Andor die Star-Wars-Serie sein würde, die mich 2022 am meisten begeistert.

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