Wenn man den geistigen Nachfolger zu Planescape: Torment macht, dann ist die Grenze zwischen Selbstbewusstsein und Selbstüberschätzung fließend. Schließlich gilt das Original neben Baldur's Gate 2 als krönender Höhepunkt der goldenen 90er-Rollenspieljahre, als beste Geschichte, die jemals in diesem Medium (oder irgendeinem anderen, wie eingefleischte Fans nun möglicherweise einwenden würden) erzählt wurde. Wer also behauptet, die Messlatte für einen Nachfolger - und sei es »bloß« ein Nachfolger im Geiste - läge ziemlich hoch, der könnte ebenso gut argumentieren, dass es in Sibirien gelegentlich mal ein bisschen abkühlt.
»Wenn du schon ein Spiel machst«, sagt Colin McComb, »warum nicht gleich das beste? Greif nach den Sternen. Warum mit ›gut genug‹ zufrieden sein?« Colin McComb sollte wissen, wovon er spricht, immerhin war er einer der verantwortlichen Designer von Planescape: Torment, hat also unter anderem an der besten Geschichte mitgeschrieben, die jemals in diesem Medium (oder irgendeinem anderen, wie eingefleischte Fans nun möglicherweise einwenden würden) erzählt wurde. Bei Tides of Numenera hat der Fantasy- und ehemalige Dungeons & Dragons-Autor die kreative Leitung übernommen, die Story und die meisten Figuren stammen aus seiner Feder.
Der Wert eines Lebens
Im Mittelpunkt der Handlung steht »der letzte Verstoßene«, die finale Inkarnation eines uralten Wesens, das auf eine perfide Weise Unsterblichkeit erlangt hat: Sein Bewusstsein wird ständig in neuen Körpern wiedergeboren. Dieses Wesen - auch als »der wechselhafte Gott« bekannt - ahnt allerdings nicht, dass die missbrauchten Körper mit einem eigenen Bewusstsein und ohne Erinnerung an ihre Vergangenheit erwachen, sobald der wechselhafte Gott sie wieder verstoßen hat.
Die zentrale Frage in Planescape: Torment lautete: Was kann das Wesen eines Menschen verändern? In Tides of Numenera lautet sie: Was ist ein einzelnes Leben wert? Zumal dieses Leben im Falle des letzten Verstoßenen vergleichsweise kurz ausfallen könnte, denn die Taten des wechselhaften Gottes haben die Aufmerksamkeit eines noch mächtigeren Wesen geweckt - und das will den wechselhaften Gott mitsamt seinen Schöpfungen endgültig vernichten.
Eine Geschichte im Fluss
Seit dem Ende der Kickstarter-Kampagne vor rund einem Jahr hat sich die Prämisse der Handlung zwar nicht wesentlich verändert, aber alle Hände voll zu tun hatte Colin McComb trotzdem. »In den letzten zwölf Monaten haben wir die Geschichte laufend überarbeitet und verbessert«, sagt er. »Obwohl ich die erste Version wirklich cool fand, hat ihr irgendwie der Antrieb gefehlt. Es war mehr so ein ›geh hierhin und mach jenes‹. Die Story hat dich nicht angetrieben, und du hast sie nicht angetrieben. Jetzt ist es eine richtige Story. Nein, lass es mich anders formulieren: Es war die ganze Zeit eine richtige Story, aber jetzt ist es eine aufregende Story, ein Abenteuer.«
Bei diesen Revisionen blieben auch manche Elemente auf der Strecke, die ursprünglich eine wichtige Rolle in der Handlung spielen sollten. So war beispielsweise geplant, dass es sich bei einem der insgesamt acht Begleiter des Spielers in Wirklichkeit um einen zentralen Antagonisten handeln sollte, der die Gruppe um den letzten Verstoßenen gewissermaßen infiltriert. »Das wäre ein cooles Ablenkungsmanöver gewesen«, erzählt Colin McComb, »aber es hätte die Beziehungen zu deinen anderen Gefährten entwertet.«
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