Warsaw im Test: Beklemmendes Hardcore-Rollenspiel im Zweiten Weltkrieg

Warsaw soll laut der Entwickler nicht nur den Warschauer Aufstand gebührend darstellen, sondern in erster Linie auch als taktisches Rollenspiel funktionieren. Ob die Rechnung aufgeht, zeigt unser Test.

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Warsaw spielt im Warschau während des Zweiten Weltkriegs, und lässt uns eine Gruppe von Widerständlern in einen verzweifelten Kampf führen. Warsaw spielt im Warschau während des Zweiten Weltkriegs, und lässt uns eine Gruppe von Widerständlern in einen verzweifelten Kampf führen.

Wir brauchen dringend Munition. Seit zwei Tagen durchforstet unser Trupp aus einer Handvoll Widerständler schon das Warschauer Stadtviertel Wola. Die Häuser liegen in Schutt und Asche, hinter jeder Ecke könnte eine Nazi-Patroullie lauern. Da entdecken wir auf einer Kreuzung einen aufgebrochenen Lastwagen. Darin genug Munition, um die nächsten Tage zu überleben. Zögerlich geben wir den Marschbefehl, pirschen uns von Häuserwand zu Häuserwand. Der Laster ist nur noch wenige Meter entfernt. Gleich haben wir es geschafft. Plötzlich schallt ein Ruf aus einer rauen Kehle an unser Ohr: »HALT!« Wir wurden entdeckt.

In Warsaw sind wir für das Überleben einer polnischen Widerstandsgruppe im Zweiten Weltkrieg verantwortlich. Die Mischung aus Rollenspiel und Rundenstrategie will eine historische Geschichte erzählen und damit Aufmerksamkeit für eine 63 Tage andauernde Schlacht schaffen, über die im globalen Kontext eines der größten Kriege aller Zeiten selten gesprochen wird: den Warschauer Aufstand.

Dafür scheuen sich die Entwickler auch nicht, bildlich so authentisch zu werden, wie sie es für notwendig halten. Warsaw wird in Deutschland komplett ungeschnitten erscheinen und das betrifft in diesem Fall vor allem die in Videospielen noch seltene Darstellungen von Hakenkreuzen. Doch dieses Symbol der NS-Herrschaft ist nur eines von vielen Details die Pixelated Milk für notwendig hält, um uns ein Bild von dem Warschauer Aufstand zu vermitteln.

»Hakenkreuze sind historische Tatsachen« - Warum das Taktik-Rollenspiel Warsaw Nazi-Symbole zeigt Video starten PLUS 15:15 »Hakenkreuze sind historische Tatsachen« - Warum das Taktik-Rollenspiel Warsaw Nazi-Symbole zeigt

Der Weltkrieg als Comic

Dass Warsaw dabei noch immer Spiel bleibt, verdankt es seiner Optik. Ähnlich wie bei Valiant Hearts setzt Warsaw auf einen comichaften Look, durch den besonders die Spielfiguren ein sehr markantes Äußeres erlangen, was ihre Persönlichkeit und Rolle während des Widerstands klar macht. Wir erkennen sofort, dass Jadwiga eine Sanitäterin ist und Krysztof ein entschlossener Soldat.

Die Augen der Nazis und Wehrmachtssoldaten liegen dafür im Schatten. Wir sehen nur die kantigen Gesichter und humorlosen Münder. Mit diesen Menschen ist nicht zu spaßen. Die Bildsprache ist einfach zu verstehen, ohne dabei simpel zu wirken. Die abwechslungsreichen Kampfhintergründe runden das sehr atmosphärische Gesamtbild ab. Am Ende finden die Gefechte zwischen Nazis und Widerständler entsprechend nur noch in rauchenden Ruinen statt.

Von mondsilbrigen Parkanlagen, bis zu den Ruinen der Warschauer Innenstadt: kein Kampfhintergrund ähnelt dem anderen.

Die Wurzel des Widerstands

Unsere zentrale Anlaufstelle ist das Hauptquartier des Widerstands. Hier verwalten wir unsere Heldengruppe, leveln Charaktere auf und managen Ressourcen. Am wichtigsten ist allerdings der Stadtplan von Warschau, der uns einen Überblick über die sechs Stadtviertel gibt.

Anfangs werden alle Viertel vom Widerstand gehalten, doch je länger die Schlacht dauert, umso mehr entgleitet uns die Kontrolle. Sind alle Distrikte verloren, sehen wir einen Game-Over-Bildschirm und müssen von vorne anfangen.

Um das zu verhindern, bereiten wir Einsätze in die einzelnen Distrikte vor. Wir stellen eine vierköpfige Gruppe aus Widerständlern zusammen, geben ihnen genug Munition auf den Weg und entscheiden, welcher Distrikt die Hilfe am nötigsten hat. Danach wechselt Warsaw auf einen etwas detaillierteren Stadtplan des jeweiligen Viertels, auf dem unsere Gruppe als rundes Symbol dargestellt wird.

In unserem Hauptquartier verwalten wir unser Inventar, leveln die Charaktere auf und planen unsere nächste Mission. In unserem Hauptquartier verwalten wir unser Inventar, leveln die Charaktere auf und planen unsere nächste Mission.

Warschau von oben

Anders als bei den Kampfhintergründen, sehen die Viertel in der Kartenansicht alle sehr gleich aus. Auch, da es sich um eine recht akkurate Nachbildung einer Stadtkarte von 1944 handeln soll. Das passt gut ins Setting, etwas mehr Orientierungshilfen hätten aber trotzdem gutgetan - und sei es nur durch Farbe. Stattdessen laufen wir selbst beim fünften Mal noch ziellos umher, indem wir unsere Gruppe mit der Maus über die Karte ziehen, und verschwenden damit wertvolle Bewegungspunkte.

Um eine Mission abzuschließen, müssen wir in der Regel eine gewisse Anzahl an Markern finden. Das können Kisten voller Ressourcen und Munition sein, aber ebenso besondere Ereignisse oder sogar Feinde. Gehen uns unterwegs die Bewegungspunkte aus, gilt die Mission als gescheitert.

Ganz egal, für welche Mission wir uns entscheiden, das Abklappern der Marker fühlt sich immer recht gleich an. Spielerische Spannung kommt aber trotzdem auf, da wir jedes Mal zum Abwägen gezwungen werden. Die Straßen von Warschau werden stets von feindlichen Einheiten patrouilliert, die wir aber auch umgehen können. Das kostet uns wiederum Bewegungspunkte. Verwickeln wir die Gegner in einen Kampf, riskieren wir dafür das Leben unserer Widerständler, und die sind in Warsaw kostbar.

Die rote Zone zeigt die Wahrnehmung der Nazi-Patrouillen an. Bei geöffnetem Auge ist die Zone tabu, ist es geschlossen, können wir sie durchqueren. Die rote Zone zeigt die Wahrnehmung der Nazi-Patrouillen an. Bei geöffnetem Auge ist die Zone tabu, ist es geschlossen, können wir sie durchqueren.

Das Erkunden von Warschau wird dadurch zu einem sehr interessanten Ablauf aus Schleichen, Suchen und Taktieren. Riskieren wir den direkten Weg zum Ziel oder gehen wir lieber auf Nummer sicher? Reicht die Munition, um diesen Gestapo-General zu überwältigen, oder opfern wir lieber ein paar Bewegungspunkte bis zur nächste Ressourcenkiste? Unser Urteil entscheidet über Erfolg oder Misserfolg des ganzen Widerstandes.

Intensive Taktik-Kämpfe

Kämpfe werden wie in Darkest Dungeon aus einer seitlichen 2D-Perspektive geschlagen und laufen rundenbasiert ab. Es gibt keine Initiativleiste, immer, wenn wir dran sind, entscheiden wir uns, welcher Held agieren soll.

Jede Aktion kostet Ausdauer, Angriffe zudem noch Munition eines bestimmten Typs. Haben wir eines von beidem nicht mehr, kann der Charakter nicht mehr agieren. Stirbt einer unserer Helden, ist er für immer verloren. So entstehen äußerst intensive Gefechte, in denen die richtige Gruppenkonstellation und ein gutes Verständnis der feindlichen Einheiten über Sieg und Niederlage entscheiden.

Unsere Widerständler treffen nicht nur auf Infanterie, sondern liefern sich auch Bosskämpfe gegen Geschütze und Panzer. Unsere Widerständler treffen nicht nur auf Infanterie, sondern liefern sich auch Bosskämpfe gegen Geschütze und Panzer.

Das hat nicht nur Einfluss auf den unmittelbaren Kampf, sondern sogar auf das gesamte Spiel. Verschwenden wir zu viel Munition oder verlieren zu viele Helden in einer Auseinandersetzung, kann uns das langfristig das Genick brechen.

Geht uns etwa die Munition aus, ist es unmöglich einen Kampf zu gewinnen - selbst wenn wir noch alle Helden haben und die Gegner nur einen einzigen Soldaten. Wir müssen den Kampf also abbrechen, was immer auch eine gescheiterte Mission bedeutet - und davon verträgt der Widerstand nur eine Handvoll. Außerdem kommt jeder Angriff mit einer Trefferwahrscheinlichkeit, das Glück spielt also eine bedeutende Rolle, was zu extrem frustrierenden Sackgassen führen kann.

Neue Helden braucht die Stadt

Sobald wir eine Mission abgeschlossen haben, kehren wir in unsere Basis zurück. Dort machen wir uns erneut an die Vorbereitung. Abzeichen nutzen wir dabei, um unsere Helden aufzuleveln und neue Skills freizuschalten. Manchmal schließen sich uns sogar neue Helden an, doch wer und wann, ist wieder vom Zufall abhängig. Dadurch entstehen erneut frustrierende Momente, etwa wenn unser Doktor das Zeitliche gesegnet hat und wir keine andere Heilerklasse als Ersatz bekommen.

Beförderungen schalten neue Fähigkeiten frei, wir müssen uns aber immer für einen Helden entscheiden. Beförderungen schalten neue Fähigkeiten frei, wir müssen uns aber immer für einen Helden entscheiden.

Wer also das Ende von Warsaw sehen will, muss ein dickes Fell haben. Vorher warten nämlich zahlreiche Charaktertode und frustrierende Sackgassen auf euch. Fast stündlich grüßt zudem der Game-Over-Schriftzug. Dass wir trotzdem immer wieder nach Warschau zurückgekehrt sind, liegt an der stimmungsvollen Aufbereitung und dem ungewöhnlichen Setting für ein taktisches Rollenspiel.

Das ewige Abwägen, die Spannung, wenn wir versuchen einer Patrouille aus dem Weg zu gehen und das deutliche Verlustgefühl, wenn einer unserer Charaktere im Kampf fällt, erzeugen exakt die richtigen Emotionen. Wir sind eben keine Alleskönner oder unaufhaltbare Feldherren, sondern führen eine verzweifelte Gruppe gegen einen übermächtigen Gegner. Und dieses Gefühl ist in Warsaw an jeder Ecke spürbar.

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