Seite 4: Wo ist der Witz? - Warum gibt es so wenig humorvolle Spiele?

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Vom Wert der Witze

Humorfreie Spiele haben solche Stolpersteine nicht zu fürchten. Entsprechend gilt Witzigkeit Vielen als Produktionsrisiko. Dabei steckt in kalkulierter Komik eine Wirkungskraft, die alle Bedenken aufwiegt.

Lachen ist eine außergewöhnlich positive Erfahrung. Wer sich gut amüsiert, der verbindet automatisch wohlwollende Erinnerungen mit der Quelle dieses Spaßes. Humor emotionalisiert, und emotionale Erfahrungen prägen sich ein. Die meisten Menschen erinnern sich sofort an die letzte Gelegenheit, bei der sie Tränen gelacht haben, und an die Einzelheiten der Situation: Wer war dabei, worum ging’s? Darunter liegt eine fundamentale Dankbarkeit. Kaum ein Spielelement kann auf so einfache Art und Weise eine so starke Verbindung zum Spieler herstellen wie treffsichere Komik. Humor besitzt emotionale Steuerungsmacht; er baut in Running Gags Erwartung und Vorfreude auf, er löst im Actionfilm angestaute Spannung durch comic relief auf, den flotten Bond-Spruch nach dem Feuergefecht. Noch heute ist der One-Liner »Hail to the king, baby!« untrennbar mit der Duke Nukem-Serie verbunden.

Dazu kommt eine angenehme Eigendynamik: Humor macht gute Geschichten. Ein gelungener Witz, ein kurioses Erlebnis will weitererzählt werden. Automatisch verbreitet sich damit die Kunde vom Produkt. Ich halte jede Wette, dass jeder in der Spielebranche davon gehört hat, wie brillant das Ende von Portal ist, wahrscheinlich direkt von einem Freund oder Kollegen. Ohne den Computer Glados wäre Portal ein originelles Knobelspiel. Dank Glados ist es ein Meisterwerk.

Dieser emotionalisierende Effekt wird verstärkt durch die Tatsache, dass sich Spieler mit der Figur identifizieren, die sie steuern. Deren Handeln und Erleben wird als Verlängerung des eigenen Willens begriffen -- und entsprechend strahlt die Schlagfertigkeit des Spielehelden auf den Spieler zurück. Witz macht witzig. »So wie Actionspiele dem Nutzer Waffen oder Superkräfte geben, kann man ihm auch die Möglichkeit verleihen, wortgewandt und lustig zu sein«, sagt Tim Schafer, der kreative Kopf hinter Grim Fandango und Psychonauts: »Es ist so, als ob man immer sein eigenes Autorenteam dabei hätte, das sich ständig neue Sprüche für einen einfallen lässt.«

Einzigartigkeiten

Humor hat die Macht, Einzigartigkeit zu erschaffen. Starke Figuren wie Guybrush Threepwood beziehen ihre Faszination aus ihrer Witzigkeit, und in der Folge haben sie Ikonen-Status erreicht. Die Beleidigungs-Duelle aus Monkey Island waren eine so einmalige Idee, dass sie Kult geworden sind. Aus einem vergessenswerten Shooter wie No One Lives Forever 2 überlebt die Erinnerung an die Verfolgungsjagd, in der Cate Archer auf dem Dreirad Pantomimen jagt. Kein Mensch, der Psychonauts gespielt hat, wird die Milchmann-Verschwörung oder Lungenfisch-City vergessen. Witzige Spiele haben die besten Ein-Satz-Beschreibungen: »Psi-Junge reist in die Gehirne von Verrückten«, »Rosa Würmer sprengen sich mit Bananenbomben in die Luft«, »Gewaltbereiter Hund und Hase jagen als freischaffende Polizisten Verbrecher« -- so was macht neugierig.

Und abgesehen von all dem haben humorgetragene Spiele nach wie vor Seltenheitswert, vor allem abseits des Adventure-Genres. Ein Alleinstellungsmerkmal ist damit quasi garantiert. Es ist schier unbegreiflich, warum seit No One Lives Forever kein witziger Shooter mehr erschienen ist.
Wir brauchen mehr Mut zum souveränen Witz, der den Spieler für sein Handeln belohnt. Wir brauchen mehr Spiele wie Jagged Alliance 2, in dem man der jähzornigen Diktatorin Deidranna rote Rosen schicken darf, wir brauchen mehr sympathische Spitzen wie in You don’t know Jack, wo das Überspringen der Einleitung mit »Booooah, Leertaste gedrückt. Mutig, mutig!« kommentiert wird, wir brauchen mehr coole Konsequenz wie in Sam & Max, wo man Verkehrsteilnehmern das Rücklicht zerschießen kann, um sie dann anzuhalten und anzuschnauzen, weil ihr Rücklicht kaputt ist.

Next-Gen-Comedy

Es ist höchste Zeit für eine neue Wertschätzung des Humors. Dazu gehört die Einsicht, dass Comedy weit mehr Aufwand bedeutet, als ein paar lustige One-Liner zu verfassen und dem Helden zweimal pro Kapitel Scherereien mit einem dusseligen Gnom/Goblin/Roboter aufzuhalsen. Dazu gehört vor allem die Erkenntnis, dass die Spieler in einem interaktiven Medium von allein auf die Suche nach amüsanter Unterhaltung gehen, wenn man sie nur lässt -- umso mehr, wenn auch noch die Möglichkeit besteht, diese eigene Kreativität mit anderen zu teilen. In diesem Gedanken schlummert der Keim für eine neue Form von interaktiver Comedy, eine Art digitales Improvisationstheater. Wer es schafft, sie zum Kern eines Spiels zu machen, dem prophezeie ich umwälzenden Erfolg.
Ich würde dann freilich um eine Gewinnbeteiligung bitten. Irgendwo hört der Spaß ja auch auf. (cs)

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