Seite 3: World of Warcraft: Wie die MMO-Sucht meine Familie zerstört hat

GameStar Plus Logo
Weiter mit GameStar Plus

Wenn dir gute Spiele wichtig sind.

Besondere Reportagen, Analysen und Hintergründe für Rollenspiel-Helden, Hobbygeneräle und Singleplayer-Fans – von Experten, die wissen, was gespielt wird. Deine Vorteile:

Alle Artikel, Videos & Podcasts von GameStar
Frei von Banner- und Video-Werbung
Einfach online kündbar

Auch in Everquest 2 waren wir aktiv unterwegs und machten über viele Jahre hinweg Norrath unsicher. Auch in Everquest 2 waren wir aktiv unterwegs und machten über viele Jahre hinweg Norrath unsicher.

Gespannte Verhältnisse

Während die Beziehung meiner Eltern in die Brüche ging, lernte ich meine neue Freundin kennen. Als sie von England zu mir nach Deutschland zog, blieb sie über WoW mit ihrer Familie in Kontakt. Mein Vater und ich spielten ebenfalls WoW mit ihr, wenn auch nur noch online und nicht mehr bei exzessiven Wochenendbesuchen.

Er half ihr mit der Sprache und brachte ihr Crafting bei, zu dritt haben wir Dungeons und Schlachtfelder in Angriff genommen und hatten jede Menge Spaß miteinander, während im richtigen Leben alles nur noch schlimmer wurde.

Im richtigen Leben waren meine Eltern offiziell getrennt, trafen sich aber ab und zu für ein paar Stunden mit der Familie am Wochenende. Ich war nicht eingeladen. Die offizielle Erklärung war, dass ich einfach zu weit weg wohnte und dass niemand genug Geld für Sprit hatte, um mich abzuholen. Ich hatte kein Geld für die Bahn, was ich zu dem Zeitpunkt auch gar nicht weiter schlimm fand.

Ich hatte keinen Job, spielte WoW und war daran schuld, dass mein Vater spielte. Die ganze Familie war ständig gereizt. Wir flüchteten uns in Spiele und meine (ehemalige) Stiefmutter ertränkte ihre Probleme in Bacardi, weil sie nicht wusste, wie sie mit dem Schuldenberg umgehen sollte, der sich über die Jahre aufgetürmt hatte.

Oftmals geht mit der Sucht nach dem Spielen auch der Verlust jeglicher finanzieller Kontrolle einher, etwa beim Kauf von Lootboxen oder Skins. Oftmals geht mit der Sucht nach dem Spielen auch der Verlust jeglicher finanzieller Kontrolle einher, etwa beim Kauf von Lootboxen oder Skins.

Ich war pleite, hatte keine Perspektive und hasste meine Familie, die nichts mit mir zu tun haben wollte. Kam ich doch mal zu einem Treffen, flogen die Türen, alle brüllten einander an. Meine Geschwister und ich waren inzwischen junge Erwachsene, wir hatten alle genug eigene Probleme und waren auch ganz ohne das Drama zwischen unseren Eltern frustriert und gestresst genug. So richtig fand meine Familie nie wieder zusammen.

Ich wanderte aus. Meine Stiefmutter hat sich irgendeinen alten, reichen Managertypen aus dem Osten angelacht. Habe die beiden nur einmal zusammen getroffen. Sie finden, dass der Staat zu viel für Flüchtlinge ausgibt.

Mein Vater zog sich zurück, lebte allein in einer Mietwohnung und spielte immer noch WoW. In Emails prahlte er über seine 20-jährige Freundin, bei der ich mir bis heute nicht sicher bin, ob sie wirklich existiert hat.

Die Scheidung sei das Beste gewesen, was ihm je passiert war. Dass er mit ganz vielen Arbeitskollegen von früher in Kontakt sei. Er wolle mich unbedingt mal besuchen kommen, sobald es wieder richtig läuft mit der Kohle. Wir wussten beide, dass das nur leere Versprechen waren.

Mein Bruder hatte mehrmals versucht, sich mit ihm zu treffen, bekam ihn aber nie zu fassen. Irgendwann kam mein Onkel bei ihm vorbei, als sie den Strom abstellen wollten, und griff ihm finanziell unter die Arme. Lief wohl doch nicht so mit den alten Arbeitskollegen.

Alles ist anders

Als die Polizei anrief, sprach sie von einer »natürlichen Todesursache.« Mein Vater war Diabetiker und hatte seit mehr als einem Jahr seine Medizin nicht genommen. Oder gearbeitet. Oder Miete gezahlt. Er hatte vollkommen abgeschaltet.

Bei der Beerdigung sprach mich jemand an, den kannte ich überhaupt nicht. Weil er nicht zur Familie gehörte. Er spielte WoW mit meinem Vater. Total verrückt! Jemand, mit dem er virtuell Abenteuer erlebt hatte, kam im richtigen Leben vorbei, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Jetzt steckt mein Vater in einem winzigen Urnengrab mit einer gammeligen kleinen Steintafel obendrauf.

Ich spiele Starbound mit meinem Sohn, der einfach nur will, dass ich eine Hose anziehe. Das kann er vergessen. Ich spiele Starbound mit meinem Sohn, der einfach nur will, dass ich eine Hose anziehe. Das kann er vergessen.

World of Warcraft rührte ich eine ganze Weile nicht an. Als ich es doch mal wieder startete, war Rotbart bereits von meiner Freundesliste verschwunden. Keine Ahnung, wie das bei Blizzard funktioniert. Vielleicht hatte ein Gildenkollege gemeldet, dass er gestorben war und das Konto wurde gelöscht. Vielleicht hat einer seiner Freunde den Account übernommen und alle Kontakte entfernt.

Es war deprimierend. Ich lief vorbei an den Toren von Ironforge, das jetzt Eisenschmiede heißt. Früher habe ich mich dort mit Rotbart duelliert. Früher bekam ich auch ständige Meldungen und Pop-Ups, wenn mein alter Herr mal wieder durch sämtliche Chars gewechselt hat, weil er Handel und Handwerk betrieben hat wie gestört.

Keine Meldungen. Keine Nachricht im Chat, ob ich Lust auf ein paar Dungeons habe. Flug nach Sturmwind, die Musik wie ein Schlag in den Magen.

Abschied aus Azeroth

Zu meiner Stiefmutter habe ich seit Jahren keinen Kontakt mehr. Mein Bruder, der seine Version von WoW weiterverkauft hatte, war für ein paar Jahre Pro-Gamer in CS. So richtig einer dieser Typen, die mit verschränkten Armen auf der Packung irgendwelcher Gaming-Hardware posieren.

Er hat das Spielen inzwischen komplett an den Nagel gehängt. Er nörgelt bis heute gerne noch an mir rum, weil er findet, dass mein Sohn und ich zu viel zocken. Er meint es ja nur gut.

Mein Stiefbruder hat seit der Beerdigung nicht mehr mit mir gesprochen, aber inzwischen ist er wohl ebenso mit Beruf und Familie beschäftigt wie der Rest von uns. Soweit ich weiß, hat sich das mit dem Spielen für ihn auch schon lange erledigt.

Mit der Familie meiner Freundin spiele ich bis heute Rennen und Heists in GTA Online. Mit der Familie meiner Freundin spiele ich bis heute Rennen und Heists in GTA Online.

Die Familie meiner Freundin hat mit WoW nie aufgehört. Sie kaufen bis heute regelmäßig die Erweiterungen, spielen sämtliche Inhalte gemeinsam und gehen nebenher trotzdem arbeiten und drehen nicht durch. Ich glaube, Onlinespiele eignen sich großartig dazu, miteinander in Kontakt zu bleiben und Freundschaften und Beziehungen zu stärken.

Für mich hat sich WoW endgültig erledigt. Ich bereue unsere Zeit dort nicht, auch wenn sie unserer Familie so geschadet hat. Wie könnte ich auch? Azeroth war der einzige Ort, an der ich eine Art Vater-Sohn-Beziehung hatte, an dem wir gemeinsam etwas unternommen und so viel erlebt hatten.

Wenn ich könnte, würde ich ihm irgendwo um Loch Modan herum ein kleines Denkmal aufstellen, ihn irgendwie dort verewigen. Immer noch besser als ein ungeschmücktes, mickriges Urnengrab, an dem ihn kein Mensch besucht. Du fehlst mir.

3 von 3


zu den Kommentaren (206)

Kommentare(197)
Kommentar-Regeln von GameStar
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.