Ein knallorangener Affe blickt euch durch Gitterstäbe entgegen, im Hintergrund knistert und rauscht es, während irgendwo in einem Aufnahmestudio ein Schlagzeuger über Becken und Snare wischt. Noch wird nicht offensichtlich, dass das Top-Down-Actionspiel Ape Out - übersetzt in etwa »Durchdrehen« - seinen Titel wörtlich meint. Denn ähnlich wie im jazzigen, aus tausenden Schlagzeug- und Percussion-Samples zusammenimprovisierten Soundtrack stellt das Hotline-Miami-Like kontrolliertes Ausrasten in den Mittelpunkt.
Über den genauen Grund dafür lässt euch das Spiel zwar im Dunkeln, aber für viel Exposition ist ohnehin keine Zeit. Sobald ihr als Gorilla das erste Mal eure Käfigtür in einem unterirdischen Labor aufstoßt und die nächstbeste Wache mit sattem Klatschen gegen die Wand schleudert, lautet die Devise Flucht in die Freiheit - und der Weg dorthin führt vorbei an atemlosen Schlagzeugsoli durch 32 zufällig generierte Level.
Diese sind trotz ihrer relativen Kürze enorm abwechslungsreich, aber dennoch mit einem roten Faden verbunden. Ob ihr über ein Containerschiff hetzt oder im Bürohochhaus Spezialeinheiten gegen Schrotflintenträger ausspielt: Der Retro-Filmposter-Look à la Saul Bass hält die kurzweiligen Levelhappen zusammen.
Der passt mit seinen kräftigen Farben, blockiger Formgebung und Rauscheffekt auf den minimalistischen Texturen zur leicht trashigen 60er-Jahre-Ästhetik und schafft ein solides Fundament. Darauf walzen Gabe Cuzzillo, Harmonix-Chefdesigner Matt Boch und QWOP-Erfinder Bennett Foddy ihre Anarcho-Version eines Musikspiels aus und exerzieren sie bis ins letzte Detail durch.
Ein spielerisches Rundum-sorglos-Paket
Das fängt schon bei der Levelauswahl im Menü an. Statt eine Spielwelt auszusuchen, werden euch die vier Spielumgebungen als Jazz-Album mit je acht Songs beziehungsweise Levels präsentiert. Dazu gehören auch schicke Albumcover und die dazugehörige Geräuschkulisse, wenn ihr das Levelpaket auswählt und damit quasi eine neue Platte auf den Plattenspieler legt.
Diese enge Verknüpfung mit der Welt des Jazz passt auch zur zentralen Erkenntnis, die euch die gesamten zwei intensiven Stunden begleitet: Improvisation ist hier alles. Deswegen fühlt sich das Spiel auch mit wenigen Interaktionsmöglichkeiten erfrischend vielseitig an.
So wie der Schlagzeuger im Soundtrack mit minimalem Setup maximal körperlichen Free Jazz durch die Boxen drischt, der sich dynamisch an die Ereignisdichte im Spiel anpasst, so vielfältig sind eure Taktikmöglichkeiten. So könnt ihr eure Gegner zwar prinzipiell nur von euch weg und im Idealfall gegen die nächste Wand schubsen, wo sie herrlich comichaft zerplatzen, oder sie als Schild benutzen.
Aber mit dem daraus resultierenden »emergent gameplay« lassen sich großartige Situationen und Geschichten erzeugen. Greift ihr euch beispielsweise einen Gegner, feuert er erst mal seine Waffe ab und erledigt damit potenziell noch weitere Widersacher, und ein gezielter Schubs in die richtige Richtung kann für regelrechte Gliedmaßen-Explosionen sorgen - gut, dass ihr den Schlamassel nicht aufräumen müsst.
Einer gegen alle
Diese taktische Varianz füttert eine enorm befriedigende Gameplayschleife an, die euch kaum zur Ruhe kommen lässt. Selbst, wenn ihr nach vier Treffern das Zeitliche segnet, wirft euch das Spiel direkt wieder ins Chaos und den Loop aus Sprinten, Ausweichen, Greifen, Schubsen und kombinieren. Nichts erzeugt ein wohligeres Kribbeln in der Großhirnrinde als ein besonders gelungener Lauf.
Ein Beispiel: Ihr greift euch einen Elitesoldaten mit Maschinengewehr und benutzt ihn als Schutzschild, während der seine Kollegen niedermäht. Hinter euch schleicht sich ein Gewehrschütze an, ihr lasst eure erste Beute los, wirbelt herum und klatscht die neue Bedrohung gegen die nächstbeste Mauer. Ihr wirbelt noch mal herum, packt euch den Soldaten von vorhin und schleudert ihn in ein explosives Fass, das direkt auch die umstehenden Gegner mit über den Jordan schickt. Und jeder Bildschirmtod, jede Explosion wird in Echtzeit durch ein krachendes Becken, einen Schlag auf die Snare oder ein Percussion-Element untermalt - ein herrliches audiovisuelles Gesamtkonstrukt.
Für weitere Abwechslung sorgen die unterschiedlichen Gegnertypen, die unterschiedlich viel aushalten. Die bulligen Schrotflintenträger haben beispielsweise eine Körperpanzerung und zerplatzen nur, wenn man sie gegen ähnliche fleischige Kontrahenten oder Mauern klatscht, während die mit Pistolen bewaffneten Gegner zuerst vor euch fliehen, um euch dann in einem unbedachten Moment zu beharken.
Die einzigen unfaire Gegner sind diejenigen, die einen Raketenwerfer mit sich herumtragen. Das passt zwar zur herrlich überzogenen Ästhetik des Spiels, sorgt aber aufgrund der unnatürlichen Präzision der Schützen öfter mal für Frust.
Die Tücken des Zufalls
Auch Spielereien im Leveldesign sorgen dafür, dass der Gameplay-Loop kurzweilig bleibt. Fällt zum Beispiel der Strom aus, seid ihr schwerer zu entdecken, wisst aber aufgrund des Lichtkegels der Taschenlampen eurer Gegner auch nur grob, wo sich diese befinden. Im letzten Drittel des Dschungellevel-Pakets hagelt es hingegen Bomben, die sowohl euch als auch eure Gegner das Bildschirmleben kosten können.
Das kann böse enden, wenn euch das Spiel dank der zufallsgenerierten Level ein besonders fieses Zusammenspiel aus Architektur und übermäßiges Gegnerplatzierung vorsetzt. Vor allem weil die Tastatursteuerung an manchen Stellen etwas störrisch reagiert. Aber durch den schnellen Wiedereinstieg und die kurzen Sitzungen fällt das nicht weiter ins Gewicht.
Die Werkzeuge, die euch Ape Out an die Hand gibt, sind weder originell noch vielfältig und auch der zeitbasierte Arcade-Modus und die Möglichkeit, einen höheren Schwierigkeitsgrad einzustellen, erhöht den Wiederspielwert nicht merklich. Der chaotische Chor aus Bild und Ton, aus Jazz und Retro-Ästhetik, aus Improvisation und lückenlosem Spielfluss machen das Spiel dennoch zu einem packenden und unschlagbar unterhaltsamen Erlebnis.
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