Wer in der Mitte steckt, hat es nicht leicht. Nicht nur in Familien, wo das mittlere Kind oft zwischen Nesthäkchen und großen Geschwistern eingepfercht ist und weniger Vorteile als beide genießt. Auch bei Geschichten erwartet mich in der Mitte nicht immer nur der große Höhepunkt - oft braucht es erst viel langwierige Hinführung bis zur bombastischen Eskalation.
Arcane schafft es vorbildlich, diese Aufbauphase trotzdem spannend zu gestalten: Auch der zweite Akt von Staffel 2 knallt ordentlich und scheut nicht vor gewaltigen Enthüllungen zurück.
Trotzdem bin ich zum ersten Mal besorgt. Denn es bleiben nur noch drei Folgen, um alle Stränge zu einem würdigen Abschluss zu bringen. Und während manche Figuren mitten in einer großen Entwicklung stecken, wurden andere auf dem Abstellgleis geparkt.
Spoilerfreies Review: Wir gehen in unserer Kritik lediglich auf die Ausgangslage ein, ohne große Entwicklungen von Akt 1 oder Akt 2 vorwegzunehmen. Ein paar Szenen und kleinere Ereignisse müssen wir für unsere Argumentation aber aufgreifen. Ihr könnt trotzdem gefahrlos lesen, außer, ihr wollt wirklich gar nichts vorab wissen.
Jinx als große Schwester
In Arcane geht es vor allem um Jinx. So wirkt es zumindest im zweiten Akt, wo alle Augen auf sie gerichtet sind. Für Zhaun ist sie Heldin und Widerstandssymbol, sie wird gebraucht, ja sogar verehrt. Sevika bittet Jinx deshalb verzweifelt, diese Rolle anzunehmen und die zerstrittene Unterstadt gegen Piltover zu vereinen. Wie es überhaupt dazu kam, lest ihr in meiner Filmkritik zum ersten Akt von Staffel 2:
Denn der Konflikt brodelt weiterhin unaufhaltsam - Caitlyn und Ambessa sind entschlossen, Jinx das Handwerk zu legen und Zhaun unter ihre Kontrolle zu bringen. Eine völlige Eskalation scheint unvermeidbar. Doch Arcane nimmt sich hier bewusst Zeit für ruhige und gefühlvolle Momente.
Denn an Jinx’ Seite ist das kleine Mädchen aus Akt 1, das zu ihr aufschaut. Sie lernt dadurch plötzlich, was es heißt, eine große Schwester zu sein und Verantwortung zu übernehmen. Arcane lässt sie langsam erwachsen werden und mich als Zuschauerin daran teilhaben.
Das ist so spannend und großartig umgesetzt, weil Arcane bewusst das Verhältnis von Powder und Vi aus Staffel 1 spiegelt. Jinx kann nicht länger ihr Leben oder ihre Stadt leichtfertig aufs Spiel setzen, weil sie jemanden beschützen muss. Die Serie macht deutlich spürbar, dass sie das innerlich nachhaltig verändert. Arcane ist hier erzählerisch unglaublich stark, weil ich ganz ohne Worte spüre und verstehe, dass Jinx dadurch Vi unterbewusst wieder näher kommt.
Wo es dann doch knirscht
Vi ist hingegen schockiert, wie sehr Caitlyn sich verändert hat. Erneut scheint ihr eine geliebte Person wie Sand durch die Finger zu rinnen, weil die frischgebackene Anführerin Piltovers nun Ambessa hörig wirkt. Sie ist blind vor Wut und will Jinx mit allen Mitteln aufhalten - und dabei über Leichen gehen, wenn es sein muss.
Auch Vi will ihrer Schwester das Handwerk legen, aber nicht um jeden Preis. Sie kehrt deshalb Piltover den Rücken und verdingt sich in brutalen Straßenkämpfen fernab von allem. Es ist verständlich, dass Vi dem Konflikt entfliehen will - immerhin läuft alles darauf hinaus, dass entweder Caitlyn oder Jinx sterben müssen, damit Frieden herrschen kann. So, wie die Scharfschützin es bereits vorhersagte: »Wenn ich sie jage, kehrt eine von uns in einem Sarg zurück.«
Aber auf der anderen Seite zeigt sich hier auch ein Problem der zweiten Staffel von Arcane. Vis Geschichte wird gewissermaßen pausiert, weil sie in den aktuellen Entwicklungen keinen Platz hat. Und genauso ergeht es auch anderen Figuren: Heimerdinger, Ekko und Jayce sind über große Teile von Akt 1 und Akt 2 hinweg schlichtweg verschwunden. Die Serie hat damit keine Zeit oder Möglichkeiten, um auch für sie einen Handlungsstrang zu etablieren.
Auch Mel wird zwischenzeitlich vermisst. All das ergibt im Rahmen der Geschichte durchaus Sinn, erweckt aber auch den Eindruck, dass Arcane in Staffel 2 nicht wirklich etwas mit ihnen anzufangen weiß.
Geht dem Meisterwerk die Zeit aus?
Was Arcane Staffel 2 mit den Figuren im Rampenlicht macht, ist trotzdem fantastisch. Der zweite Akt entlädt schließlich die Spannungen, die sich über die bisherigen sechs Folgen aufgebaut haben und endet in einem gewaltigen Feuerwerk. Und das nicht nur mit actionreichen Kämpfen.
Vi und Jinx, Vi und Caitlyn, Jinx und Caitlyn, Viktor und Jayce: Alle prallen mit regelrecht explosiver Wucht aufeinander und jeder muss entscheiden, wo er nun steht. Arcane geht hier keine Kompromisse ein und zeigt mir schonungslos: Das Ende rückt näher, also muss jeder jetzt eine Seite wählen - und sich den Konsequenzen stellen.
Damit schöpft Arcane Staffel 2 im zweiten Akt genau das voll aus, was die Serie so großartig macht: Charaktere und Beziehungen, die mir emotional beinahe so viel abverlangen, als hätte ich reale Freunde und Familienmitglieder vor mir. Allerdings eben nur für einen Bruchteil der Besetzung.
All das fesselt mich genauso wie die ersten drei Episoden der zweiten Staffel. Aber ich werde eben das Gefühl nicht los, dass ein paar Folgen mehr oder gar eine weitere Staffel hier das Potenzial voll ausgeschöpft hätten. Gerade, wenn das frühe Ende der Serie vielleicht sogar aus Budget-Gründen passiert (Arcane soll die teuerste Animationsserie aller Zeiten sein) und nicht aus erzählerischen.
Noch haben wir aber noch drei Folgen vor uns, die auch ich noch nicht gesehen habe. Gut möglich also, dass mich Arcane noch eines Besseren belehrt und all das so zusammenführt und verknüpft, dass keine Wünsche offenbleiben.
Episode 4 bis 6 von Arcane 2 sind ab dem 16. November verfügbar. Der dritte und letzte Akt folgt am 23. November. Dann teilen wir auch unser finales Urteil zur zweiten Staffel mit euch.
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