Sie alle belügen mich, meine Höflinge, meine achtjährige Verlobte und selbst mein Kaiser, dieser von Pocken zerfressene Saufkopf! Ich schlage gegen die Wand, wieder und wieder. Dann blicke ich hinab auf meine Hand und sehe - einen Riss! Es ist, wie ich befürchtet hatte: Ich, König Kröterich I. von Bayern, bestehe aus Glas! Gottlob, denn es rettet mir das Leben.
Und vor dem Bildschirm sitzt mein anderes Ich, ein gewisser Michael Graf aus München, und grinst wie der Hoffnar nach dem Witz, dass Herzog Gerhard II. von Oberlothringen nicht nur seine Seele baumeln lässt. Ihr wisst schon, Herzog Gerhard II., der Nudist.
Über 30 Stunden lang habe ich Crusader Kings 3 nun gespielt, und der gläserne König ist einer meiner Höhepunkte. Freilich nicht der einzige, wie sein Vorgänger Crusader Kings 2 sprudelt Paradox' Mittelalter-Strategiespiel geradezu über vor grandiosen Geschichten, die ich sofort allen Redakteurskollegen an der Kaffeemaschine erzählen will. Doch weil Letztere in Zeiten der Corona-Heimarbeit verwaist herumsteht, muss ich mir den ganzen Irrsinn eben hier von der Seele schreiben.
Wichtiger Hinweis: Bis zum Release am 1. September 2020 wird Paradox weiter an Crusader Kings 3 feilen. Die von uns geknipsten Screenshot spiegeln also nicht nicht unbedingt die finale Grafikqualität wider, auch am Interface kann sich noch einiges ändern.
Umso besser, dann kann ich euch auch gleich erklären, was an Crusader Kings 3 bereits sehr gut funktioniert, was alte Crusader-Kings-Fans vermissen, und wo Paradox dringend noch Hand anlegen muss. Das Schöne an der Glasgeschichte ist dabei, dass sie illustriert, wie flexibel die komplexe Spielmechanik von Crusader Kings 3 ist.
Denn mein König Kröterich mag wahnsinnig sein (aus gutem Grund, ich habe ihn schließlich wahnsinnig gemacht), aber Wahnsinn kann in Crusader Kings auch Gutes bedeuten. Denn Kröterich leidet an schwerem Übergewicht und steht schon mit einem Bein im Jenseits. Doch nach der Glas-Halluzination achtet er mehr auf seine Gesundheit und lebt noch viele wahnsinnige Jahre, bis ihn beim Kreuzzug nach Jerusalem ein Scherge von Emir Ra'uf ibn Azid vom Pferd stochert.
Macht aber nichts, denn nur wenige Jahrzehnte später wird sein Sohn Greulich II. nach der Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches greifen und damit nach dem Ziel, das ich mir in Crusader Kings 3 gesetzt habe: Als bescheidener Graf von München (Wer denn sonst?), starte ich im Jahre 1066 meine Mission, irgendwann Kaiser zu werden anstelle des Kaisers. Natürlich erst mehrere Generationen später, ein Schritt nach dem anderen. Erstmal möchte mein eigener Halbbruder vergiftet werden
Es wird ein wilder Ritt. Und eines sage ich euch ehrlich: Wenn ich böse wäre (und das bin ich zuweilen, Stichwort Brudermord), dann könnte ich Crusader Kings 3 ein Remaster von Crusader Kings 2 schimpfen: schöner, gefälliger, nachvollziehbarer, im Kern aber dasselbe Spiel abzüglich einiger Features aus den DLCs von Crusader Kings 2.
Aber eines sage ich euch auch ehrlich: Ich hatte lange nicht mehr so viel Spaß mit einem neuen Strategiespiel, zumal Crusader Kings 3 ein Feature mitbringt, das in Zukunft Pflicht sein muss für jedes Strategiespiel, in dem ich ganze Reiche verwalte. Welches Feature? Gemach, das verrate ich euch gleich. Oder klickt hier, wenn ihr ungeduldig seid.
Zunächst müssen wir Genredefinitionen sprengen. Denn Crusader Kings 3 ist doch überhaupt kein Strategiespiel.
Graf Michael von München entdeckt sein Liebe zur mittelalterlichen Globalstrategie, als ihm ein Schulfreund im Jahr 2002 ein ominöses »Königsspiel« ausleiht. Es ist Medieval: Total War, das Micha fortan rauf und runter spielt: rauf nach Dänemark, runter nach Italien. Im selben Jahr findet er dank Hearts of Iron 2 erstmals zu Paradox. Folgerichtig testet er ab 2003 alles für GameStar, was auch nur ansatzweise nach Mittelalter und Strategiespiel aussieht, zum Beispiel Medieval 2: Total War. Nur ein Spiel ignoriert er sträflich: Als er Paradox anno 2012 in Schweden besucht, stehen dort andere Titel im Rampenlicht, etwa das »Mittelalter-Battlefield« War of the Roses. Dabei schnurren im Nebenzimmer ein paar einsame Anspielrechner mit Crusader Kings 2! Fast alle Journalisten lassen sie links liegen, Micha leider auch. Erst Jahre später bekehrt ihn das famose Strategiespiel vollends zum Feudalherrn.
Im Herzen ein Rollenspiel
Die Kernstärke von Crusader Kings 3 (und Crusader Kings 2) besteht nicht darin, dass ich einen mittelalterlichen Feudalherrn spiele, das bekomme ich auch woanders, siehe unsere Plus-Titelstory zu Knights of Honor 2. Die Kernstärke der Paradox-Titel besteht darin, dass ich schon nach wenigen Spielminuten anfange, wie ein Feudalherr zudenken.
Ich meine, klar, mein Halbbruder ist ein verfressener, arroganter Gotteslästerer, aber auch mein loyaler Verbündeter. Nur hilft mir das wenig, wenn ich die Grafschaft München um das benachbarte Frontenhausen erweitern will, das aktuell ihm untersteht. Und, rein theoretisch gedacht:Fallsihm etwas zustoßen sollte, würde ihn seine achtjährige Tochter beerben. Die Ärmste freut sich doch sicherlich, wenn ihr Onkel Micha und seine Besatzungstruppen die Last des Herrschens von den Schultern nehmen, oder?
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