Spaziersimulator, Bugfest, eines der wichtigsten Spiele der letzten zehn Jahre: Was wird DayZ nicht alles betitelt. Manches zu Recht, anderes galt nur zeitweise, aber eines ist ganz sicher: DayZ ist Wegbereiter eines ganzen Genres von Survivalspielen. Was Minecraft auf verspielte Art vorlegte, holte DayZ ins ernste Metier.
Drei Jahre nach dem Full Release - und acht Jahre nach Early-Access-Start - nähert sich die viel kritisierte Hardcore-Survivalsimulation endlich einem Stadium, das Fans sich schon lange gewünscht haben. Wir klären im (zugegeben, sehr späten) Test, ob DayZ 2021 zu Recht den Anspruch auf den Thron der Hardcore-Survivalspiele erhebt. Die Spielerzahlen auf Steam sind jedenfalls blendend: Im Januar waren so viele Spieler online wie zuletzt beim Release im Dezember 2013.
Der Autor
Christian Just ist der Survival-Experte der GameStar-Redaktion. Er begleitet DayZ schon seit beinahe einem Jahrzehnt und hat das Spiel in dieser Zeit in allen möglichen Entwicklungsstufen gesehen und gespielt. Auch mit den Entwicklern konnte er bereits ein Interview führen. Zuletzt zog ihn ein Update für DayZ wieder zurück ins Spiel.
In DayZ schreibt ihr die Story selbst
Willkommen in Chernarus! Ich starte irgendwo an der Küste dieses postsowjetischen Fantasiestaats, der auf Basis geografischer Daten einer Region des realen Tschechiens entworfen wurde.
Eine Story gibt es nicht - als Spieler erlebe ich meine eigene Geschichte. Die spielt in der Zombie-Apokalypse, enthält viel Spazierengehen, andauernden harten Überlebenskampf und höchst denkwürdige Interaktionen mit den bis zu 60 Spielern pro Server. Ich kommuniziere mit panischem Zurufen, schmiede unerwartete Allianzen oder liefere mir tödliche Feuergefechte.
Aber aller Anfang beginnt allein. Egal für wen. Wollt ihr mit Freunden spielen? Geht zusammen auf einen Server und hofft, dass ihr nahe beieinander spawnt. Orientiert euch, verabredet euch … und dann findet euch! Wie es halt so läuft in einer Apokalypse. Das kann Stunden dauern, aber so ist DayZ nun mal. Was Neulinge anfangs nerven kann, trägt zu der speziellen Magie bei, die das Survivalspiel ausmacht. Was das genau ist, das soll dieser Test ergründen.
Gute Nachrichten von der Bug- und Glitch-Front: Früher hatte DayZ etliche Bugs und teils spielzerstörende Inventarfehler. Inzwischen ist das meiste davon ausgebügelt. Das sorgt jetzt endlich für ein weitgehend störungsfreies Spielerlebnis. Zwar glitchen die Infizierten noch manchmal an falsche Orte (auf Dächer, durch Türen), aber das fällt gebeutelten Early-Access-Veteranen kaum noch auf.
Guten Morgen Welt
Meine Spielfigur trägt ein T-Shirt und eine Halbhose am Leib. Es ist kalt. Im berüchtigt fummeligen, aber funktionalen Inventar stecken ein paar Stofffetzen, um blutende Wunden zu verbinden, eine frische Birne und … ein Knicklicht. (Erinnerung an mich selbst: Rambo-Referenz einfügen!)
Ich orientiere mich grob. Und ich meine, richtig grob. Dort drüben sehe ich das offene Meer, das ist schon mal nicht der richtige Weg. Mehr Informationen, außer dessen, was ich vor meiner Nase sehe, kriege ich erstmal nicht. Ingame-Map? In DayZ? Haha. Hardcore-Nein! Vielleicht finde ich unterwegs eine Touristenkarte.
Schon beginnt mein armer Charakter, vor Kälte zu bibbern. Also schnell die Hufe schwingen, um mich etwas aufzuwärmen. Siehe da, eine Landstraße! Die führt irgendwann zu einer Stadt, wo ich mir dringend benötigte Nahrung und Wasser verspreche.
Denn während ich noch die wunderschöne Landschaftsgestaltung und den pfeifenden Wind genieße, nähert sich das Durst-o-Meter am unteren Bildrand schon dem gefährlichen Bereich. Wenn ich also nicht bald einen Brunnen oder eine Dose Pipsi finde, verdurste ich binnen Minuten.
An dieser gnadenlosen Skalierung scheiden sich in der Community die Geister: Ich muss den Charakter ständig füttern wie ein Tamagotchi. Da können Fehler schnell fatal enden: Ich Depp habe ein Huhn geschlachtet und mit blutigen Händen Brunnenwasser geschöpft. Zack, ich bin krank.
Jetzt kotzt mein Charakter im Strahl, sobald ich etwas zu viel Wasser oder Nahrung zu mir nehme, was sofort tödlichen Hunger und Durst auslöst. Ein Teufelskreis. Also nippe ich alle zwei Minuten an meiner Wasserflasche, während ich die zombieverseuchte Landschaft nach einem Krankenhaus durchkämme. Das alles erklärt das Spiel nicht, ohne Wiki wäre ich aufgeschmissen.
Allerdings ist das alles von Entwickler Bohemia so gewollt, um den Spieler ständig auf Trab zu halten und ein Gefühl von Hilflosigkeit zu erzeugen. Und dieses Kalkül geht auf und trägt dazu bei, dass sich »dieses DayZ-Gefühl« einstellt. Denn diverse Designentscheidungen machen DayZ in seiner Form einmalig.
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Der Wert des Lebens
Das omninöse DayZ-Gefühl ist ein geflügeltes Wort. Etwas, woran sich für viele Spieler ein gutes Hardcore-Survivalspiel erkennen lässt. Wir wagen einen Erklärungsversuch, was dahinterstecken könnte.
Der Loot in DayZ, eines meiner liebsten Hassthemen, spielt dabei eine wichtige Rolle. Gute Waffen sind rar gesät. Die Freude über eine gefundene MP5 kann sich schnell in Frust verwandeln, wenn ich durch Pech in den nächsten vier Stunden einfach kein passendes Magazin finde.
Bessere Ausrüstung, die rettenden Tabletten… es betrifft jedes Spielelement. Diablo überschüttet mich mit Loot. Alle zehn Sekunden ein kleines Glücksgefühl. DayZ … ja. Es gibt Loot. Aber weniger. Viel, viel weniger.
Was anfangs anstrengend ist, akzeptiere ich schon bald als Teil dieser Spielerfahrung. Ich merke, dass es das Gameplay aufwertet. Es wird dadurch wichtiger, planvoll zu agieren, geduldig zu sein, Risiken abzuwägen. Beute zu finden, davon hängt mein virtuelles Leben ab!
Zudem spawne ich immer im Randgebiet mit schlechtem Loot. Die Herausforderung einer Partie besteht darin, mit dem zu überleben, was man hat. Das ist eine Grundphilosophie von Survival. Auf dem Wenigen muss ich aufbauen, mich in ferne Gebiete mit besserer Beute vorkämpfen, dort stärker werden.
Ich kann nicht mit meinen Freunden spawnen? Bescheuert! Oder doch nicht? Denn immerhin ziehen nur selten große Gruppen marodierend über die Server und verhageln allen Solisten den Spielspaß. Eine schlagkräftige Truppe ist wie alles in DayZ: mit harter Arbeit verbunden.
Ein voll ausgerüsteter, bis an die Zähne bewaffneter DayZ-Charakter ist meist das Ergebnis etlicher Stunden grimmiger Hingabe. Das erzeugt auch extreme Spannung, wenn mal ein anderer Spieler ein gieriges Auge auf meinen vollen Rucksack wirft. Dieses Gefühl gäbe es nicht, wenn ich einfach zufällig irgendwo spawnen, locker flockig zur nächsten Militärbasis joggen und mich binnen 20 Minuten voll ausrüsten könnte.
Wo wir schon zu den anderen Spielern kommen: Hier liegt eine große Faszination von DayZ. Teilen wir doch mal drei typische Erlebnisse in die Kategorien gut, schlecht und furchtbar ein.
Die anderen Spieler …
Unserer Erfahrung nach kommt es in DayZ immer wieder zu drei typischen Spielsituationen. Darauf solltet ihr vorbereitet sein, wenn ihr andere Spieler trefft.
Schlecht
Ich bin frisch gespawnt und treffe einen Typen. Ich winke, er fängt an zu sprechen … und da bekomme ich schon ein mulmiges Gefühl. Die Worte erzählen von Freundschaft, aber der Tonfall klingt nach Gewalt. Vielleicht täusche ich mich. Siehe da, er legt mir eine leere Waffe hin, nett … Ich bedanke mich artig, drehe mich um und ziele mit der Waffe weg vom Spieler, um sie zu testen, ohne bedrohlich zu wirken. Da erschlägt er mich von hinten mit einem Brecheisen. Ich hab's trotzdem irgendwie kommen sehen.
Hier stellen sich die Fragen: Wem vertraue ich? Wie gut sind meine Instinkte? Und was nehme ich aus dieser Erfahrung für den nächsten Durchlauf mit? Werde ich zynisch und greife einfach jeden Spieler an oder bleibe ich bei meiner freundschaftlichen Grundhaltung?
Gut
Gerade bin ich noch dem Tod von der Schippe gesprungen. Ich fand kurz vorm Verhungern etwas Nahrung. Doch gegen den brennenden Durst habe ich nichts gefunden. Also torkele ich nachts völlig geschwächt durch Kamychowo, auf der Suche nach einem Getränk. Meine Lebensanzeige ist fast leer, mein Charakter humpelt nur noch mühsam. Als verzweifeltes Notsignal aktivierte ich mein weithin sichtbares Knicklicht.
Binnen Sekunden rennt mir eine Dreiergruppe Spieler entgegen, eine Horde Zombies im Schlepptau. Einer ruft: »Geh ins Haus! Vielleicht können wir dir helfen.« Ich folge dem Ratschlag, einer rückt mir mit einer gezückten Bandage auf die Pelle, fragt, was ich brauche. Ich schreie fast: »Trinken, Trinken!« Schon lässt er zwei Coladosen fallen, ich schnappe eine und als ich sie gerade zum Mund führen will, wird der Bildschirm schwarz … tot. Verdurstet, mit der Cola in der Hand.
»Danke für die Mühe«, sage ich mit ehrlicher Rührung dafür, dass ich mal wieder jemandem von dem guten Schlag DayZ-Spieler begegnet bin.
Furchtbar
Leider gibt es auch PvP-Situationen, die eigentlich keine sind. Wenn beim gemütlichen Joggen zwischen Gorka und Stary Sobor plötzlich der Bildschirm schwarz wird, hat vermutlich ein Scharfschütze den Treffer seines Lebens gelandet. Das fühlt sich nach Stunden harter Arbeit an wie ein Schlag in die Magengrube, aber es trägt zu der ständigen Spannung in DayZ bei.
Hinweis: DayZ ist für seine aktive Modding-Szene bekannt. So lässt sich das Spiel auf privaten Servern nach eigenen Wünschen gestalten. Wer zum Beispiel dem harten PvP-Kampf abgeneigt ist, findet entsprechende Rollenspiel-Server, die das Töten anderer Spieler ohne vorherige friedliche Kontaktaufnahme explizit verbieten.
Präziser Fernkampf, klobiger Nahkampf
Das Kampfsystem von DayZ im Nahkampf funktioniert eher mäßig. Schläge sind gefühlt schwer vorhersehbar, ein Nahkampf artet schnell in eine Klickorgie aus. Hellroter Blutnebel als Treffer-Feedback erinnert visuell an Spiele von vor 2010.
Die Handhabe der Schusswaffen dagegen fühlt sich gut an. M4, AK, AS Wal, Makarow und Co. treffen präzise, erzeugen ein glaubhaft authentisches Gefühl, etwa durch reduziertes Mündungsfeuer bei Schalldämpfern, die im Dauerfeuer dann bloß noch Schmauch ausspucken. Oder durch Ladehemmungen, die bei beschädigten Schießeisen auftreten.
Viele Aufsätze und damit das Zusammenbauen von eigenen Waffen-Builds sind vertreten, sofern man sich tief genug ins Spiel fuchst, um überhaupt so weit zu kommen. Denn richtige Sturmgewehre mit viel Munition kennzeichnen einen Endgame-Charakter oder verdammt viel Glück.
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