Was haben mein Haarausfall und der Kapitalismus gemeinsam? Beide stehen nie still. Und ich weiß, wenn ich das große 'K'-Wort hier rausposaune, klinge ich schnell wie mein Trierer Heimatkollege Karl Marx, aber ich meine das ganz sachlich-deskriptiv: Der Markt befindet sich immer in Bewegung - und das sollte man auch im Gaming nicht aus dem Blick verlieren, selbst wenn diese Bewegung in den letzten Jahren gar nicht so sichtbar war.
Nach jahrelangen Turbulenzen rund um Lootboxen, Pay2Win und Glücksspiel scheint die Welt der Mikrotransaktionen mittlerweile nämlich recht stabil. Publisher, Entwickler und wir als Gaming-Community hatten uns auf einen Kompromiss geeinigt: Service Games dürfen uns mit Battle Passes und Skin-Bundles weiterhin den Geldbeutel locker klopfen, solange alle gameplay-relevanten Neuerungen kostenlos bleiben!
Und so läuft der Hase seit etwa 2019. Richtig große Shitstorms gibt's nur noch bei klaren Verletzungen dieses ungeschriebenen Abkommens - zum Beispiel im Fall Diablo Immortal, wo klassische Mobile-Praktiken mit den Erwartungen der PC- und Konsolen-Community kollidierten und Gameplay-Vorteile tatsächlich käuflich waren.
Aber Diablo 4 zeigt mir mit seinem Shop erneut, dass der Teufel im Detail steckt. Und ich bin mir sicher: Das Schlimmste steht uns noch bevor.
Was ist denn gerade los?
Falls ihr es nicht mitbekommen habt: Viele Leute ärgern sich gerade über die teils happigen Skin-Bundles im Echtgeld-Shop von Diablo 4. Für einen speziellen Totenbeschwörer-Skin verlangt der Shop beispielsweise 25 Euro. Uff.
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Etablierte Diablo-Fans mag das verblüffen, mich als Call-of-Duty-Spieler überraschen solche Preise allerdings nicht die Bohne. Activision Blizzard setzt hier einfach die - sorry - perfiden Monetarisierungspraktiken fort, die in Modern Warfare 2 seit Monaten erprobt werden.
Und hey, ich persönlich finde das (mittlerweile) klassische Battle-Pass-Modell fair. 10 Euro pro Season für 100 kosmetische Gimmicks, damit Publisher und Entwickler neue Gameplay-Inhalte finanzieren können? Das passt für mich.
Was hingegen überhaupt nicht passt: Dass die großen Hersteller ganz bewusst manipulieren und transformieren, was wir noch okay und vertretbar finden. Ganz subtil und heimlich werden Preise erhöht, neue Pakete geschnürt, neue Wege gesucht, den Leuten so viel Geld wie möglich zu entlocken. Ich kann euch das mal am Beispiel Modern Warfare 2 durchdeklinieren:
- Zum Launch des neuen CoD war der Ingame-Shop leer. Keine Season, kein Battle Pass, nur das Endowment-Pack, ein Skin-Paket für den guten Zweck, um US-Veteranen zu unterstützen. Natürlich können internationale Reviews hier auch nicht viel kritisieren.
- Zum Start von Season 1 ein paar Wochen später kommt der Shop ins Rollen. Es gibt den Battle Pass für 10 Euro, dazu mehr und mehr Skin-Bundles, in denen ihr teils 20 Euro für einen Operator-Skin, zwei Waffen-Skins und ein bisschen Kladderadatsch drum herum zahlt.
- In Season 2 führt Call of Duty dann mehr und mehr Packs ein, die ihr nicht mehr mit Ingame-Coins kaufen könnt, sondern nur noch mit Direktüberweisungen, also harter Euro-Währung. Wer sich über die Jahre also CoD-Punkte (die Premiumwährung) angespart hat, kann sich die in den Poppes klemmen.
- Zum Start von Season 3 gibt's den nächsten
Meilenstein
: Activision führt mit dem Black Cell Battle Pass einen neuen Battle Pass mit exklusiven Skins ein ein, der sich nur noch für harte Münze kaufen lässt. 30 Euro statt 3.000 CoD-Coins. Ansparen geht also wieder nicht. Außerdem enthalten besonders teure 25-Euro-Bundles für einzelne Operatoren jetzt auch Gameplay-Vorteile für den Multiplayer-Modus DMZ.
Zum Launch hätten alleine die käuflichen Ingame-Vorteile für DMZ zum Aufschrei geführt. Aber fünf Monate nach Release? Die meisten Leute sind eh fertig mit Modern Warfare 2, die aktive DMZ-Community besteht aus gefühlt fünf Leuten (und mir), also wen schert's?
Und niemand kann mir erzählen, dass Activision das nicht bewusst kalkuliert.
Klage gegen Activision Blizzard
Activision Blizzard sieht sich aktuell einer Klage wegen Sexismus und ungleicher Behandlung von weiblichen Mitarbeitern ausgesetzt. Falls die Missstände für eure Kaufentscheidung eine Rolle spielen, haben wir für euch alle Infos zur Sexismus-Klage in einem ausführlichen Artikel zusammengefasst. Unsere Haltung und Konsequenzen zu den Vorgängen könnt ihr in einem Leitartikel zum Blizzard-Skandal von GameStar-Chefredakteur Heiko Klinge nachlesen.
Monetarisierung wie Wasser
Moderne Ingame-Monetarisierung ist wie Wasser. Sie setzt sich in jede erdenkliche Ritze, baut sanften, aber konstanten Druck auf, findet immer neue Winkel, passt sich jeder neuen Form an. Sie versteckt hinter dem Aber nur kosmetisch
-Mantra teils zermürbend dreiste Tricks, die Leute zum Kauf zu bewegen.
Dass im CoD-Shop regelmäßig kleine Embleme verschenkt werden, ist ja keine Nettigkeits-Aktion. Ich soll motiviert werden, mich durch den Shop zu scrollen. Welch Überraschung, dass sich die Geschenke immer ziemlich weit unten im Shop verbergen. Absolut gar nichts an solchen Angeboten passiert zufällig.
Und ich bin überzeugt: Genau das blüht auch Diablo 4, weil es gerade überall passiert. Nicht nur in Call of Duty, sondern auch in Rainbow Six: Siege, in Halo: Infinite, wo ich selbst für irgendeinen lahmen Schnee-Effekt 20 Euro auf den Tisch legen soll.
Publisher kontrollieren in jedem Spiel ihre eigenen Mikromärkte. Diablo 4 kann so lange Zeitersparnisse, Skins und was weiß ich verkaufen, wie die Leute den Spaß mitmachen. 300 Euro für irgendwelche Immortal-Edelsteine? Solange kein Shitstorm passiert, müssen bloß drei Wale zugreifen und das Zeug hat sich refinanziert.
Was können wir tun?
Ich bin nicht gegen Mikrotransaktionen. Dev-Teams sollen fair entlohnt werden und es gibt genügend Spiele wie beispielsweise Hunt: Showdown, die ohne ihre Skin-Shops schon lange von der Bildfläche verschwunden wären. Aber umgekehrt darf das Nur kosmetisch
-Label nicht missbraucht werden, um wichtige Debatten abzuwürgen.
Denn diese Skin-Packs verkaufen sich. Wenn nicht bei dir oder bei mir, dann bei den 12- und 13jährigen, die Mama und Papa anbetteln, ihnen den coolen Totenbeschwörer zu kaufen. In Modern Warfare 2 sehe ich haufenweise Osterhasen rumlaufen. Wisst ihr, wie viel ein Osterhasen-Kostüm in CoD kostet? Über 20 Euro.
Natürlich kann mir das egal sein. Der Osterhase schießt nicht besser als mein Standard-Operator - im Gegenteil: Osterhasen sind sogar ziemlich sichtbare Ziele, also erkaufen sich die Leute quasi Nachteile. Natürlich kann mir egal sein, ob Necro-Fans sich 25-Euro-Bundles für den Totenbeschwörer kaufen, wenn es ingame auch haufenweise coole Outfits zu erspielen gibt.
Aber will ich umgekehrt still am Spielfeldrand stehen, wenn meine Spiele allmählich zu kleinen Manipulationsfabriken werden, die mich mit immer mehr Anreizen in ihre Shops locken wollen? Nein. Hier wird ganz bewusst subtil an unseren Hemm- und Toleranzschwellen geschraubt, bis wir irgendwann an den Punkt kommen, einen Skin für 20 Euro okay zu finden. Nur 19,99 Euro? Sogar recht günstig.
Natürlich gibt's hier keine radikal neue Lösung - wir kontrollieren den Markt mit unserem Geldbeutel und unserer Stimme. Aber es lohnt sich in meinen Augen trotzdem, auch bei Diablo 4 nochmal drauf hinzuweisen: Wir müssen unbequem bleiben. Sonst verändern sich die Spiele, ohne dass wir es mitbekommen.
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