Videospielen wird im Vergleich zu Filmen und Büchern gerne vorgeworfen, keine guten Geschichten zu erzählen. Zumindest in diesem Punkt muss sich Daedalics Die Säulen der Erde keine Sorgen machen. Das Point&Click-Adventure orientiert sich eng am gleichnamigen Erfolgsroman von Ken Follet von 1989 und packt dessen umfangreiche Geschichte in drei Episoden, die über je sieben Kapitel eine Spielzeit von rund zwölf bis 15 Stunden bieten. Nach unserem Test der ersten Episode im November 2017 liefern wir nun die Wertung und unser Fazit der Roman-Adaption nach.
Im Mittelpunkt der Handlung steht der Baumeister Tom Builder und die Ereignisse rund um die Errichtung einer Kathedrale im fiktiven Kingsbridge im England des 12. Jahrhunderts. Wir steuern drei Personen aus Toms näherem Umfeld: Jack, Aliena und Philip. Jack ist ein ehemaliger Outsider, der im Laufe der Geschichte zu Toms Ziehsohn wird. Aliena ist eine Adelige, die nach dem Verrat ihres Vaters am König aus der Stadt vertrieben und sich nun als Wollhändlerin verdingt und bei Philip handelt es sich um einen Ordensbruder, der als Prior von Kingsbridge den Bau der Kathedrale in Auftrag gibt.
Mehr Hörspiel als Adventure
Welche der drei Figuren wir jeweils steuern, entscheidet die mit Rückblenden und Zeitsprüngen arbeitende Erzählform. Wie auch das Buch umfasst die Story einen Zeitraum von über 50 Jahren - so spielen wir beispielsweise Jack mal als 12-jährigen Waldbewohner, mal als jungen Steinmetz in der Lehre und schlussendlich auch als alten Mann.
Wie in einem klassischen Point&Click-Adventure bewegen wir die Figur per Mausklick und lassen sie mit der Umgebung interagieren. Ein Rechtsklick sorgt dafür, dass der Charakter Dinge betrachtet und dabei über sie nachdenkt. Wer das Spiel lieber auf dem Sofa genießen möchte, freut sich über die gelungene Gamepad-Steuerung, mit der sich die Figuren direkt per Analogstick bewegen lassen. Die eingebaute Hilfe sorgt in beiden Steuerungsarten auf Knopfdruck dafür, dass interaktive Objekte sichtbar hervorgehoben werden. Außerdem finden die Figuren Hinweise in Form von symbolisierten Schriftrollen, die wir wie Gegenstände mit anderen Personen benutzen können, um ein Gespräch zu beginnen. Genreliebhaber sollten sich darauf einstellen, dass zwar die gesamte Aufmachung und Handhabe des Spiels »Adventure« ruft, es aber keine klassischen Rätsel gibt. Die Säulen der Erde ist mehr interaktive Erzählung als Spiel und wird auch als solche vermarktet. Der Reiz liegt nicht im Lösen von Puzzles, sondern im Erleben der Entwicklung der Charaktere.
Konstant ansteigende Dramatik
Bis Neulinge mit der Vielzahl an Figuren warm werden und das anfangs schleppende Erzähltempo in Fahrt kommt, vergehen allerdings mehrere Stunden. Das Tempo und die Dramatik ziehen bis zum Ende der dritten Episode jedoch konstant an und können für die zähe erste Episode zumindest teilweise entschädigen. Insgesamt betrachtet bleibt das Spiel aber dennoch über weite Strecken langatmig und lässt sich eher als bebildertes Hörspiel begreifen. Die Vorteile des interaktiven Mediums nutzen die drei Episoden von Die Säulen der Erde nur begrenzt und wenig einfallsreich.
Stimmungsvoll umgesetzt sind das über Dialoge realisierte Handeln und Feilschen mit den Marktmenschen sowie optionale Nebenaufgaben, die nicht storyrelevant sind, aber mit Achievements und charmanten Situationen belohnt werden. Das universell eingesetzte und bereits aus der ersten Episode bekannte Minispiel (»Klicke im richtigen Moment auf den grünen Balken«) macht weiterhin keinen Spaß und wirkt wie ein Fremdkörper in der Narration.
Positiv wirkt sich dagegen der Zeitdruck bei einigen Dialogen aus und die Möglichkeit, die Charaktere unterschiedliche Entscheidungen treffen zu lassen. Für Kenner der Romanvorlage gibt es auf diese Weise einige optionale, wenn auch marginale Abweichungen vom Buch, die sich in der dritten Episode besonders bemerkbar machen. Storypfade, die wir in den vorherigen beiden Episoden eingeschlagen haben, haben spürbare Konsequenzen und fallen für einige der Nebencharaktere nicht immer rosig aus. Zwar können wir durch Aktionen auch Hauptcharaktere sterben lassen, allerdings lädt das Spiel daraufhin den letzten Speicherpunkt neu - gravierende Abweichungen zum Buch sind also nicht zu erwarten.
Statisch, aber schön
Der Illustrationsstil und die audiovisuelle Umsetzung sind ganz klar das Highlight dieser ungewöhnlichen Visual Novel. Alle Figuren sind handgezeichnet und animiert und agieren vor abwechslungsreichen Hintergrundgrafiken, die mit vielen Details punkten. Daedalic ist es gelungen, auch ernste Themen wie Verlust, die oft raue Brutalität und das Leid der Figuren grafisch gut einzufangen und ihnen Persönlichkeit zu verleihen. Allerdings wurde für unseren Geschmack zu stark an den Animationsphasen gespart. Die oft mehrere Minuten andauernden Gespräche sind extrem statisch und wirken dadurch steif und unnatürlich. Meist bewegt sich bis auf ein paar Münder, Hände oder Flammen am Lagerfeuer fast nichts auf dem Bildschirm. Noch dazu fehlt bei der ansonsten hochprofessionellen deutschen Vertonung die Lippensynchronität. Das fällt besonders störend auf, weil man sich ein Großteil der Spieldauer in Gesprächssituationen befindet.
Trotz der Kritik können wir Die Säulen der Erde vor allem Fans der Buchvorlage empfehlen, die ihre Lieblingscharaktere in bestimmten Schlüsselszenen anders als im Original agieren lassen wollen. Mit kleineren Einschränkungen eignet sich das Spiel auch für Lesemuffel, die Lust auf eine Mittelalterwelt und eine Geschichte voller Intrigen und Verrat erleben wollen - vorausgesetzt, man bringt etwas Geduld mit und legt wenig Wert auf spielerische Herausforderungen. Das langsame Erzähltempo und der quasi nicht vorhandene Schwierigkeitsgrad machen die Roman-Adaption besonders für Neulinge und ungeübte Spieler interessant.
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