Die Gaming-Entlassungswelle: Wenn der Traumjob zum Albtraum wird

Petra Fröhlich von GamesWirtschaft analysiert die aktuellen Massenentlassungen bei Microsoft, Riot & Co. und die möglichen Folgen für eine ganze Branche.

GamesWirtschaft-Chefredakteurin Petra Fröhlich kommentiert die aktuelle Entlassungswelle in der Games-Branche. GamesWirtschaft-Chefredakteurin Petra Fröhlich kommentiert die aktuelle Entlassungswelle in der Games-Branche.

Mein Journalisten-Kollege und GameStar-Autor Paul Kautz hat es gestern in gewohnt unnachahmlicher Weise auf den Punkt gebracht, als er eine Meldung auf der GamesWirtschaft-Facebook-Seite folgendermaßen kommentierte: »Ich glaube, mittlerweile wäre es einfacher, über die Spielefirmen zu berichten, die aktuell nicht einen Großteil ihrer Angestellten vor die Tür setzen.«

Denn mit einem Aderlass von 1.900 Beschäftigten bildete Microsoft den vorläufigen Höhe- (besser: Tief-)Punkt mehrerer schlimmen Wochen. Dass der US-Konzern nach der letztlich geglückten 70-Milliarden-Dollar-Übernahme von Activision Blizzard mögliche Synergien hebt, wird niemanden ernsthaft überrascht haben – am wenigsten die Beschäftigten. Dass dies so schnell und so heftig geschieht, vielleicht schon.

Petra Fröhlich
Petra Fröhlich

Petra Fröhlich war über 22 Jahre durchgehend Bestandteil der Redaktion von PC Games - von 2000 bis 2014 im Amt der Chefredakteurin. Im Juli 2016 startete Fröhlich das Nachrichtenmagazin GamesWirtschaft, inzwischen eines der führenden deutschsprachigen B2B-Angebote mit Schwerpunkt Computerspiele.

Dieser Artikel erschien zuerst bei GamesWirtschaft.de, wir veröffentlichen ihn mit freundlicher Genehmigung.

Dabei sah es vielversprechend aus. Im Oktober hatte Microsofts Gaming-Boss Phil Spencer ein warmes Willkommens-PDF an die massiv gewachsene Truppe geschickt: »We couldn’t be more excited that Activision Blizzard employees are our colleagues, co-workers, and teammates.«

Nur drei Monate später informiert der selbe Phil Spencer die selbe Belegschaft auf dem selben Dienstweg über die »schmerzhafte Entscheidung«, dass dringend die Kostenstruktur angepasst werden müsse: »Die Menschen, die von diesen Reduzierungen betroffen sind, haben allesamt einen wichtigen Beitrag geleistet für den Erfolg von Activision Blizzard, Zenimax und Xbox – und sie sollten stolz auf all das sein, was sie erreicht haben. Wir sind dankbar für all die Kreativität, Leidenschaft und Hingabe, die sie unseren Spielen, unseren Spielern und unseren Kollegen entgegen gebracht haben.«

Warum brennt die Spieleindustrie? Video starten 1:31:39 Warum brennt die Spieleindustrie?

Gefolgt von Haben’s-uns-echt-nicht-leicht-gemacht-aber-trotzdem-ciao – Details zum Abfindungsprozedere anbei. Was man halt so schreibt, wenn einem bewusst ist, finanziell schon lange aus dem Gröbsten raus zu sein.

Parallel haben die Kapitalmärkte diese frohe Botschaft zum Anlass genommen, um Aktienkurs und Marktkapitalisierung auf ein neues Rekord-Hoch zu jazzen: Sagenhafte 3 Billionen Dollar ist Microsoft jetzt wert.

Familien-Prosa, die nichts mehr wert ist

Die aktuelle Unwucht durchzieht die komplette Industrie – aufstrebende Startups sind genauso betroffen wie große Publisher und Töchter internationaler Holdings, an der US-Westküste genauso wie im Schwarzwald. Denn die vielen Vorzüge, die Konzern-Strukturen in guten Zeiten bieten, verkehren sich in Krisen-Phasen ins exakte Gegenteil.

Die Alle-eine-große-Familie-Prosa-Kränze, die bei Übernahmen und Fusionen geflochten werden, sind dann, wenn es wirklich darauf ankommt, nichts wert. Denn in diesem Stadium geht es nur noch um die Frage, wann man das Pflaster abreißt – sprich: ob man die Hiobsbotschaften vor oder nach Neuheiten-Livestreams platziert.

Recap der großen Xbox Show: Alle Spiele der Developer Direct von Avowed bis Indiana Jones Video starten 1:28 Recap der großen Xbox Show: Alle Spiele der Developer Direct von Avowed bis Indiana Jones

Eine Tür geht zu – die nächste öffnet sich, heißt es dann oft. Das Problem: Derzeit gehen sehr viele Türen zu – ohne dass sich neue öffnen würden.

Diese Beobachtung hat auch Rami Ismail gemacht, der Startups und Indie-Studios berät. Er schrieb auf X: »Das Schlimmste an diesen Entlassungen: Auf jeden Kündigungs-Tweet folgte 2023 eine Flut an Reaktionen anderer Studios, die Stellen ausgeschrieben hatten. Jetzt, da die Situation von 2023 ihre Fortsetzung findet, sind kaum noch ›andere Studios‹ übrig. Sie sind ebenfalls von der Bildfläche verschwunden – oder können derzeit niemanden einstellen.«

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle findest du einen externen Inhalt von Twitter, der den Artikel ergänzt.
Du kannst ihn dir mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von Twitter angezeigt werden.

Personenbezogene Daten können an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Link zum Twitter-Inhalt

Mancher Veteran käme dann auf die Idee, aus Frust den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen, notiert Ismail. Doch im augenblicklichen Umfeld sei es noch schwerer als sonst, Investitionszusagen zu bekommen – selbst das gängige »Fünf AAA-Typen und ihr Hund gründen ein Studio mit null unternehmerischer Erfahrung«-Narrativ verfängt nicht.

Mindestens kurzfristig dürfte der nationale wie internationale Arbeitsmarkt noch stärker unter Druck geraten, weil sehr viele Menschen auf sehr wenige Stellen treffen – da genügt ein Blick in die ausgedünnten Karriere-Rubriken der größeren Betriebe.

Dabei ist es noch nicht allzu lange her, da hat die Spiele-Branche sehr verzweifelt um Talente und Fachkräfte geworben, im In- und Ausland. Oft wurde begehrtes Personal mit großen Versprechungen und noch größeren Vergütungen gelockt – ganze Familien hat man in der Corona-Boom-Phase umgetopft. Jetzt drohen Visa-Dramen, sollte sich nicht schnell eine Anschlussverwendung finden.

Wenig Aussicht auf schnelle Besserung

Im Lichte der deprimierenden Nachrichtenlage wird sich zudem manche Nachwuchskraft die Frage stellen: Sollte man überhaupt was mit Games machen? Eine Ausbildung starten? Studieren? Gründen? Investieren? Und auf Angestellten-Seite: einen gefühlt sicheren Job aufgeben? Oder doch beim jetzigen Arbeitgeber überwintern, trotz ungünstiger Konditionen?

Um mal ein Ergebnis der GamesWirtschaftsWeisen-Umfrage 2024 zu zitieren: Nur jeder fünfte Experte glaubt daran, dass die zehn größten Studios in Deutschland zum Jahresende mehr Menschen beschäftigen als zu Jahresbeginn. Zum Vergleich: Anfang 2022 fielen die Abstimmungsergebnisse exakt umgekehrt aus.

Jene Fragestellung ist seit Anbeginn der Aktion fester Bestandteil des WirtschaftsWeisen-Tipp-Scheins. So niedrig wie jetzt war der Wert zuletzt Anfang 2017 – damals unter dem Eindruck eines brutalen Kahlschlags bei den Hamburger Goodgame Studios (die zuvor 1.200 Leute angeworben hatten), dazu veritable Krisen bei Crytek, Daedalic und weiteren Entwicklern. Immerhin: Schon ein Jahr später – im Januar 2018 – war der Optimismus messbar zurückgekehrt.

Mutmachende Beispiele aus Deutschland

So schnell wird es diesmal wohl nicht gehen. Bevor es (hoffentlich) wieder aufwärts geht, drohen erstmal weitere bittere Nachrichten. Und doch gibt es sie auch in diesen wilden Zeiten, die mutmachenden Beispiele – in Ingelheim am Rhein bei Envision Entertainment (Pioneers of Pagonia), in Frankfurt bei Keen Games (Enshrouded), in Hamburg bei Rockfish Games (Everspace 2).

Enshrouded - Test-Video zum Survival-Spiel im Early Access Video starten 13:02 Enshrouded - Test-Video zum Survival-Spiel im Early Access

Geholfen hat, dass all diese Studios rechtzeitig Fördermittel in Millionenhöhe beim Bund beantragt (und erhalten) haben. An ihnen liegt es nun auch, die Effizienz und Nachhaltigkeit staatlicher Investments unter Beweis zu stellen. Denn just diese Belege fehlen noch: Der erst vor wenigen Wochen vorgelegte Zwischenbericht des Wirtschaftsministeriums war schon bei seiner Vorstellung Makulatur.

Einfach deshalb, weil die Kündigungsschreiben, Projektstopps und Studioschließungen der vergangenen 13 Monate gar nicht eingepreist sind. Erfolg oder Misserfolg sind eben immer auch eine Frage des Betrachtungszeitraums.

In der Zwischenzeit nehme ich einfach mal die Anregung von Paul Kautz wörtlich – nämlich als Vorsatz, noch viel öfter »über Spielefirmen zu berichten, die aktuell nicht einen Großteil ihrer Angestellten vor die Tür setzen«.

zu den Kommentaren (160)

Kommentare(152)
Kommentar-Regeln von GameStar
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.