Lothar Hay, Vorsitzender des Medienrates der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein und ehemaliger Innenminister von Schleswig-Holstein (SPD), drückt in einem Artikel für das Magazin M - Menschen Machen Medien sein Unverständnis darüber aus, dass in Videospielen die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (etwa Hakenkreuze) in Deutschland nicht mehr generell verboten ist.
In dem Meinungsstück widerspricht er der USK und ihrer geänderten Einreichungspraxis. »Die USK und die Games-Branche verlangen eine Gleichstellung von Computerspielen mit Filmen. Diese Gleichstellung ist nicht gerechtfertigt. Denn die Wirkung von Gewalt in Games ist erheblich problematischer«, sagt Hay und fordert eine öffentliche Debatte über die Freigabe-Entscheidung.
Wenige Wochen vor der Gamescom 2018 kam es zu der aufsehenerregenden Entscheidung, verbotene Symbole wie das Hakenkreuz oder den Hitlergruß unter Einbeziehung der Sozialadäquanzklausel in Videospielen zu erlauben.
Mehr zu den Hintergründen:USK hebt generelles Verbot von verfassungsfeindlichen Symbolen auf
Ungenaue Forderungen
Diese Regelung gilt jedoch nicht universell für jedes Spiel, sondern die USK prüft individuell, ob das eingereichte Produkt den Anforderungen der Sozialadäquanz entspricht und ob eine Glorifizierung oder Ähnliches stattfindet. So ist die Verwendung von verbotenen Symbolen erlaubt bei der »staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken.«
Diese Tatsache unterschlägt Hay in seinem Text und erweckt damit den Eindruck, als ob jedes Spiel mit Hakenkreuz und Co. automatisch eine Freigabe erhalten würde. Zudem finden sich weitere Ungenauigkeiten. »Die Steigerung der Realitätsnähe durch Hakenkreuze und andere Nazi-Symbole würde das Wirkungsrisiko zusätzlich erhöhen«, meint Hay. »Dabei ist die Forschungslage keineswegs so lückenhaft, wie oft behauptet. Aggressive Spiele verstärken aggressive Gedanken, Affekte und aggressives Verhalten.«
Eine solch pauschalisierende Aussage gibt die aktuelle Forschungslage jedoch nur sehr oberflächlich wieder. In einem ausführlichen Report für GameStar Plus untersuchten wir 2017 damals aktuelle Studien und sprachen mit Experten. Demnach stimmt es zwar, dass viele Studien und Experimente eine Steigerung der Gewaltbereitschaft bei der Nutzung von gewalthaltigen Spielen feststellen, diese Wirkung hängt jedoch auch von vielen weiteren Faktoren wie dem sozialen Umfeld ab und sollte bei einem solch komplexen Konstrukt niemals isoliert betrachtet werden. Fraglich bleibt außerdem, ob Nazi-Symbole diese Wirkung steigern können.
Deutscher Entwickler meldet sich zu Wort
Die Reaktionen auf den Artikel fallen größtenteils auch äußerst negativ aus. Die Debatte über den Sinn sowie Nutzen solcher Symbole in Videospielen wird schon längst geführt, schreiben viele Leser.
In einem ausführlichen offenen Brief wendet sich außerdem Jörg Friedrich, Game-Designer von Through the Darkest of Times, an Lothar Hay. Through the Darkest of Times erhielt als erstes Spiel mit Hakenkreuzen eine USK-Freigabe. Der Titel basiert auf wahren Begebenheiten und lässt den Spieler eine Widerstandsgruppe zur Zeit des Nationalsozialismus leiten.
»Lassen Sie mich Ihnen sagen, wie persönlich enttäuscht ich bin, dass ausgerechnet Sie als Gewerkschafter im Medienbereich nicht nach progressiven Wegen zu suchen, wie man Menschen über die Gefahren des Faschismus aufklären kann, sondern stattdessen solch einen desinformierten und desinformierenden, vorurteilsbeladenen Text veröffentlichen«, schreibt Friedrich. »Denn wenn meine Eltern eine TV-Serie und mich ein Comic-Buch über Shoa [der Holocaust, Anm. d. Red.] und Nationalsozialismus aufgeklärt haben, dann wird für meinen Sohn vielleicht einmal ein Computerspiel diese Rolle einnehmen.«
Das sagt der Anwalt - Was sich für Spiele mit Hakenkreuzen ändert
Nicht die ersten Gegenstimmen
Hays Text ist nicht die ersten Gegenreaktion zur USK-Entscheidung. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) kritisierte die neue Regelung und forderte: »Mit Hakenkreuzen spielt man nicht. Gerade in Deutschland müssen wir uns auch heute unserer besonderen historischen Verantwortung immer bewusst sein.«
In eine ähnliche Kerbe schlug die Sprecherin der Unions-Bundestagsfraktion für Recht und Verbraucherschutz, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU). Dem News-Portal Der Westen gegenüber äußerte sie Vorurteile: »Ich halte das Genre Computerspiel nicht für geeignet, sich angemessen mit dem historischen Unrecht des Nationalsozialismus und dem Leid der Opfer auseinanderzusetzen.«
Bisher bekamen drei Spiele mit derlei Symbolen eine USK-Freigabe. Neben Through the Darkest of Times gehört dazu Attentat 1942, das die Geschichte von Überlebenden der Nazi-Besatzung in der Tschechoslowakei erzählt. Im Mobile-Titel My Child Lebensborn steht ein Kind aus dem Lebensborn-Projekt der Nationalsozialisten im Vordergrund.
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