Seite 2: Hinter den Kulissen von GOG.com - Jäger der verlorenen Spiele

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Sammler und Jäger

Doch bleiben wir noch kurz bei den Technikern - und Judas. Judas, mit bürgerlichem Namen Filip Frackiewicz, ist nämlich ein Unikat. Als »Bonus Content Hunter« sieht der GOG-Mitarbeiter ein bisschen aus wie Catweazle, und man merkt, dass er elektronische Spiele liebt. Jedes einzelne. Und weil die Spieler da draußen das auch merken, schicken sie ihm alte Handbücher, Landkarten, Kopierschutzräder. Und zwar freiwillig! »Ich habe nie darum gebeten, die schicken mir das einfach.

Solche netten Briefe trudeln ständig ein: »An die Leute, die diese Gegenstände scannen werden, um sie auf gog.com als Bonusmaterial zu veröffentlichen.« Solche netten Briefe trudeln ständig ein: »An die Leute, die diese Gegenstände scannen werden, um sie auf gog.com als Bonusmaterial zu veröffentlichen.«

Neulich hat mich einer gefragt, ob er mir die 50 Handbücher, die er im Keller hat, schnell mal einscannen soll - und ob das bis Mittag reicht. Ich komme mir vor wie ein Archivar. Es ist toll!« GOG ist nicht nur ein Online-Shop, sondern zieht mit seinem Archivgedanken auch die Sammler-Community an. Viele Spieler wollen, dass ihre liebgewonnenen Klassiker in guter Erinnerung bleiben und unterstützen Judas daher nach Kräften.

Die meisten Briefe und Pakete kommen aus Deutschland, die Handbücher säuberlich in Dokumenthüllen verpackt und nummeriert. Einen deutschen Kollegen nervt Judas auch mal mitten in der Nacht, ob der vielleicht bei Ebay für Spiel XY mitbieten könne - von Polen aus kommt Judas halt nicht an ein Spiel eines deutschen Versteigerers, wenn der nicht ins Ausland verschickt. Weil von den alten Entwicklern nur ganz selten Unterstützung kommt, sind auch beim Bonusmaterial Eigenrecherche und Community gefragt.

Mit dem Ergebnis, dass man zum Beispiel beim Kauf von Wing Commander 3 nicht nur das Spiel kriegt, sondern auch Handbuch, Guide, Wallpaper, einen Roman, noch einen Guide, Tastaturbelegung, einen weiteren Guide, ein »Behind the Screens«-Video, unveröffentlichte Filmzenen, ein Raumschiff-Chart, das Drehbuch und die »Wing-Commander-Bibel«. Mehr Drumherum-Material hat vermutlich nicht mal Chris Roberts persönlich in seinem Tresor, neben all den Star-Citizen-Geldbündeln. Und GOG verdankt all diese Goodies seinen Usern.

Türöffner Baldur's Gate

Dass GOG die Klassiker gescheit aufbereitet und mit Originalmaterial versieht, ist das eine. Das andere: Alle Spiele sind frei von Kopierschutz und DRM - was in Zeiten von Steam, Origin, UPlay und Always-On-Titeln fast schon illegal klingt. Das Lustige daran: Sowohl EA als auch Ubisoft kooperieren mittlerweile mit GOG, neben anderen großen Publishern wie Activision, Square Enix und Disney. Aber wie kriegt man die Großen dazu, mit einem Download-Portal zusammenzuarbeiten, das im fernen Polen sitzt?

2002 übersetzte Iwinski Baldur's Gate 2 ins Polnische. 2002 übersetzte Iwinski Baldur's Gate 2 ins Polnische.

Marcin Iwinski, der 2002 CD-Projekt Red (The Witcher) mitbegründete und 2008 GOG, erinnert sich an die Pionierarbeit, die er schon 2001 geleistet hat. »Damals wollten wir unbedingt Baldur's Gate 2 ins Polnische übersetzen. Mein Vater war Dokumentarfilmer, wir haben professionelle Sprecher organisiert, um die 1.500 Seiten Text zu vertonen. Wir mussten 3.000 Spiele verkaufen, um in die schwarzen Zahlen zu kommen. Startkapital hatten wir kaum, ich habe rund 1.500 Euro beigesteuert, mein Geschäftspartner hatte etwas Land geerbt und verkauft. Doch es hat sich gelohnt: Statt 3.000 Mal haben wir Baldur's Gate 2 18.000 Mal abgesetzt, wir mussten wie die Wilden nachproduzieren.«

Schon früh machen Iwinski & Co. also erste Erfahrungen, wie man mit Publishern umgeht - und knüpfen Kontakte zu Interplay. Nicht umsonst stammt vom Publisher auch der allererste Titel, der 2008 auf GOG erscheint: das abgedrehte Actionspiel MDK. Bis heute konkurrieren die Polen beim Spieleverkauf natürlich mit der - vor allem in Osteuropa starken - Raubkopiererszene. Wer kopierschutzfreie Spiele verkauft, lädt Software-Piraten ja geradezu dazu ein, sie über Torrents und Tauschbörsen weiterzureichen.

Rock around the clock: Die Abteilung Business Development fahndet weltweit nach den alten Rechteinhabern. Eine Mischung aus Puzzle- und Detektivarbeit, Rock around the clock: Die Abteilung Business Development fahndet weltweit nach den alten Rechteinhabern. Eine Mischung aus Puzzle- und Detektivarbeit,

Der Trick sei, sagt Iwinski, das Motto »Spielekaufen ist für Loser« umzuwandeln in »Spielekaufen macht Spaß«. Statt sich mit fehlerhaften und anleitungslosen Raubkopien rumzuärgern, merken die Kunden offensichtlich schnell, dass sich der legale Kauf lohnt. Und weil sich ältere Spiele eben in erster Linie an ältere Spieler richten, haben die schlicht keine Lust, stundenlang an alten Autoexec.bat-Dateien zu schrauben - dafür aber das Geld, sich eine »restaurierte« Version zu kaufen, mit all dem Drumherum von früher.

»Die Raubkopien gibt's doch schon!«

Mag Pixel auch auf Stoff: GOG-Mitgründer und CEO Marcin Iwinsky. Mag Pixel auch auf Stoff: GOG-Mitgründer und CEO Marcin Iwinsky.

Und die Publisher? Die haben natürlich Bedenken, erzählt Iwinski: »Kein Kopierschutz für mein Spiel? Neinnein, dann wird das ja raubkopiert!« Die Standardantwort des GOG-Mitgründers: »Ist es doch schon längst. Google es mal!« Trotzdem kann es Jahre dauern, bis ein Publisher-Deal steht. Bei EA sind die GOG-Manager von Pontius zu Pilatus gelaufen, haben sich die Hierarchie hochgearbeitet, bis sie in der Zentrale im kalifornischen Redwood City endlich an den Director of Licensing herankamen - und offene Türen einrannten.

Seitdem klappt die Zusammenarbeit offensichtlich ganz hervorragend. Zum Beispiel verschenkt EA auf seiner Origin-Plattform den Krankenhaussimulator Theme Hospital. Und zwar die Version, die zuvor von den GOG-Technikern für aktuelle PCs generalüberholt wurde.

Anderes Beispiel: Anderthalb Jahre lang verhandelt GOG mit Lucas Arts, viermal fliegt GOG-Chef Marcin Iwinski nach San Francisco, um vor Ort Gespräche zu führen - jedes Mal mit anderen Managern, weil die gerade munter kommen und gehen. Als der Deal endlich unter Dach und Fach ist, kauft Disney LucasArts, und alles geht von vorne los. Doch diesmal klappt's zum Glück schneller, die LucasArts-Klassiker stehen ganz oben in der Beliebtheitsskala der Kunden. Wobei Disney GOG aber auch an der Marketing-Front sehr gut unterstützt, weil es zu vielen Spielen noch ordentliches Begleitmaterial gibt.

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