Hogwarts Legacy, Diablo 4 & Co.: Wie wir mit kontrovers diskutierten Spielen umgehen

GameStar-Chefredakteur Heiko Klinge über die Rolle von Gaming-Medien in aufgeheizten Debatten über Computerspiele, die eine problematische Entwicklungsgeschichte haben.

Es ist Fakt, dass sich J.K. Rowling, die Schöpferin von Harry Potter, wiederholt transfeindlich geäußert hat und in Großbritannien aktiv eine Anti-Trans-Politik unterstützt. Es ist Fakt, dass der ehemalige Lead Designer von Hogwarts Legacy Troy Leavitt auf seinem YouTube-Kanal wiederholt antifeministische Pro-Gamergate-Videos veröffentlicht hat.

Es ist Fakt, dass es beim Diablo-Entwickler Blizzard jahrelang zu sexistischem und toxischem Fehlverhalten gekommen ist. Eine Klageschrift der kalifornischen Equal Employment Opportunity Commission dokumentiert über 700 Fälle von Belästigung und Diskriminierung. Über 20 Mitarbeiter wurden im Zuge der Belästigungsklage entlassen, darunter führende Entwickler aus dem Diablo-4-Team wie Game Director Luis Barriga und Lead Designer Jesse McCree.

Heiko Klinge
Heiko Klinge

Heiko Klinge ist Chefredakteur von GameStar und somit quasi schon von Berufs wegen dazu verpflichtet, alles zu spielen, was ihm unter die Finger kommt – egal ob Strategie-, Renn-, Sport-, Action- oder Rollenspiele. Zum Team gehört er bereits seit November 2000, hat sich in der all der Zeit aber kaum verändert. Behauptet er jedenfalls, wir empfehlen den Kontrollblick in alte Raumschiff-GameStar-Folgen.

Es ist Fakt, dass zu den Investoren des Atomic-Heart-Entwicklers der russische Fonds GEM Capital gehört. Es ist Fakt, dass Robert Bagratuni, einer der Gründer des Entwicklerstudios Mundfish, zuvor ein Topmanager beim russischen Konzern Mail.ru war.

Die Frage für uns als Konsumenten ist, wie wir mit diesen Fakten umgehen und welche Rolle dabei die Medien einnehmen.

Jeder Konsum ist auch eine moralische Entscheidung

Als Konsumenten treffen wir jeden Tag Entscheidungen. Diese Entscheidungen hängen von unzähligen Faktoren und Informationen ab, die uns mal mehr mal weniger bekannt sind und beeinflussen.

Ich höre zum Beispiel meine Musik fast ausschließlich auf Spotify, im vollen Bewusstsein, dass meine Lieblings-Künstlerinnen und -Künstler fast nichts daran verdienen. Das versuche ich zu kompensieren, indem ich auf möglichst viele Konzerte gehe, was sich in den Corona-Jahren allerdings mehr schlecht als recht umsetzen ließ.

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Ich esse (noch) regelmäßig Fleisch, bemühe mich aber um hochwertige regionale Produkte – allerdings auch, weil ich es mir leisten kann. Ich bestelle ziemlich häufig bei Amazon, trotz meines Wissens, wie sie teilweise mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgehen. Als Gaming- und Technik-Geek hängen bei mir daheim unzählige energiefressende Geräte am Netz. Mein ökologischer Fußabdruck dürfte trotzdem ziemlich gut aussehen, weil ich kaum heizen muss und kein Auto besitze. Aber ich wohne eben auch in einer Neubauwohnung mitten in der Großstadt.

Und auf Spiele bezogen: Hogwarts Legacy und Atomic Heart könnte ich jenseits professioneller Notwendigkeiten problemlos boykottieren, einfach weil sie mich kaum interessieren. Bei Diablo 4 würde es mir bedeutend schwerer fallen, bewusst darauf zu verzichten. Und ich will wirklich nicht wissen, wie viele Spiele ich schon konsumiert habe, die unter miserablen Bedingungen für die Angestellten entstanden sind!

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Diese persönliche Liste an Konsumentscheidungen ließe sich endlos weiterführen. Selbstverständlich vergleiche ich hier massiv Äpfel mit Birnen. Und ebenso selbstverständlich kann man das eine lassen, obwohl man das andere noch macht. Jeder Schritt zählt, und mag er noch so klein sein und nur für den persönlichen Blick in den moralischen Spiegel zählen.

Was aber all diese Entscheidungen vereint: Ich versuche, sie bewusst zu treffen und so gut es geht auf Basis von fundierten Informationen aus seriösen Quellen. Und genau hier sehe ich im Spiele-Kontext die Aufgabe einer GameStar.

Warum es um mehr geht als »nur« Spielen

Um beim Beispiel Hogwarts Legacy zu bleiben: Ich persönlich finde es eine vollkommen legitime Entscheidung, dieses Spiel zu boykottieren, weil man J.K. Rowling nicht unterstützen möchte. Genauso würde ich aber auch niemanden für einen schlechten Menschen halten, nur weil sie oder er sich Hogwarts Legacy kauft und damit viel Freude hat. Gleiches gilt logischerweise für alle anderen Spiele, die kontrovers diskutiert werden.

Wir bei GameStar sehen es als unsere Aufgabe, euch bei eurer ganz persönlichen Entscheidungsfindung mit bestmöglich recherchierten Informationen zu unterstützen. Natürlich indem wir euch in unseren Tests darüber informieren, was diese Spiele qualitativ auf dem Kasten haben. Aber eben auch, indem wir euch zusätzlichen Kontext liefern.

So wie wir es seinerzeit bei Kingdom Come gemacht haben, dem seinerzeit das Propagieren eines verklärten Geschichtsbildes vorgeworfen wurde, was wir von Historikern prüfen ließen:

So wie wir die Missbrauchsvorwürfe im Fall Blizzard seit dem Aufkommen umfassend begleiten und diskutieren:

Wird der Blizzard-Schock endlich was ändern? Video starten 56:56 Wird der Blizzard-Schock endlich was ändern?

Und so, wie wir den Vorwürfen gegenüber dem deutschen Publisher Kalypso nachgegangen sind, toxische Arbeitsbedingungen zu haben.

Ich lese in den Kommentaren immer wieder, dass wir doch bitteschön die Politik aus dem Gaming raushalten sollen. Und ja, GameStar ist kein politisches Magazin und wird es auch in Zukunft nicht werden. Das können andere besser als wir.

Aber wer Spiele als Kunstform sieht, muss eben gleichzeitig anerkennen, dass sie wie jede andere Kunstform selbstverständlich eine politische Dimension haben – mal mehr, mal weniger ausgeprägt. Und wer diese Kunst wirklich verstehen und durchdringen möchte, muss sich auch mit der Entstehung der Kunst sowie den Künstlerinnen und Künstlern dahinter auseinandersetzen. Deshalb ist diese politische Dimension automatisch Teil des Diskurses und damit auch Teil unseres redaktionellen Aufgabenbereichs.

Unsere Recherchen, unsere Regeln, eure Entscheidung

Was bedeuten diese Vorüberlegungen für die redaktionelle Berichterstattung von GameStar? Im Grunde genommen eigentlich nur, dass wir bei kontrovers diskutierten Spielen genauso weitermachen wie bisher:

  • Berichterstattung über das Spiel selbst: So lange wir in unserer Community und bei unseren Zielgruppen ein Interesse an einem Spiel sehen, so lange werden wir auch bestmöglich und sorgfältig recherchiert über das Spiel berichten. Problematische Begleitumstände bleiben weiterhin nicht wertungsrelevant, so sie sich nicht im Spiel manifestieren und damit auch den Spielspaß beeinträchtigen.
    Es mag zynisch klingen, aber wenn wir anfangen würden, toxische Arbeitsbedingungen oder etwaige Entgleisungen der beteiligten Personen in unsere Beurteilungen einzubeziehen, dann öffnen wir die Büchse der Pandora. Ab wann ist ein Fehlverhalten wertungsrelevant? Werten wir im Nachhinein ab, sobald etwas rauskommt? So viele Fragen, auf die wir schlicht keine konsequenten Antworten hätten.

Die zahlreichen entworfenen (und wieder verworfenen) Wertungssysteme zeigen: Wir haben es uns noch nie einfach gemacht, Spiele fair, aber kritisch zu bewerten. Und das wird auch so bleiben. Die zahlreichen entworfenen (und wieder verworfenen) Wertungssysteme zeigen: Wir haben es uns noch nie einfach gemacht, Spiele fair, aber kritisch zu bewerten. Und das wird auch so bleiben.

  • Berichterstattung über die Begleitumstände: Ja, wir sagen euch, wie viel Spaß Hogwarts Legacy macht. Und ja, ihr könnt von uns auch alles andere erwarten, weshalb ihr auf der Suche nach ebenso seriöser wie unterhaltsamer Spiele-Berichterstattung unsere Seite aufruft – egal ob News, Guides oder Kolumnen.
    Aber ihr könnt euch ebenso drauf verlassen, dass wir genauso bei den Begleitumständen am Ball bleiben und diese in der »klassischen« Berichterstattung konsequent verlinken. Nicht nur zum Release, sondern selbstverständlich auch noch in den folgenden Wochen und Monaten. Wenn jemand nach Diablo 4 bei uns sucht, dann wollen wir, dass sie oder er auch die Möglichkeit hat, sich über die problematischen Aspekte in dessen Entwicklungsgeschichte zu informieren.

Was ebenfalls unumstößlich bleibt: Obwohl wir uns nicht als politisches Magazin definieren, haben wir für uns und unsere Community dennoch eine ganz klare Haltung, was das Miteinander im Gaming angeht. Spiele sollen uns zusammenbringen, nicht trennen. Wir halten Werte wie Toleranz, Menschlichkeit und Respekt für die Grundpfeiler unseres Zusammenlebens und unserer Arbeit. Wer trans Menschen ihr Existenzrecht abspricht, rassistisch gefärbte Vorurteile postet oder sexistische Sprüche raushaut, hat auf keinem unserer Kanäle etwas verloren.

GameStar war, ist und bleibt eine Plattform für offene, freundschaftliche und respektvolle Diskussionen. Sehr gern mit unterschiedlichen Meinungen. Aber ganz sicher nicht mit Hass und Diskriminierung, auch und gerade bei Spielen mit problematischer Entwicklungsgeschichte.

Egal um welches Spiel es geht: Unser Job ist nicht, euch zu sagen, wie ihr damit umzugehen habt. Unser Job ist, euch alle relevanten Informationen an die Hand zu geben, die ihr für eure ganz persönliche fundierte Entscheidung benötigt. Wie immer die auch aussehen mag.

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