Eines vorneweg: Spider-Man: Homecoming hat wahrscheinlich den schlechtesten Schulhof-Grobian der Filmgeschichte. Wer immer sich diese Inkarnation von Peter Parkers Schul-Erzfeind Flash Thompson ausgedacht hat, war wohl noch nie in seinem Leben in einer öffentlichen Schule. »Penis-Parker« ist tatsächlich die gefährlichste Wortschöpfung, die ihm einfällt.
Gut, der Flash Thompson von Spider-Man: Homecoming ist auch eigentlich gar kein Schläger, sondern ein recht unsportlicher, reicher Streber, der sogar am United States Academic Decathlon (einem intellektuellen Wettstreit auf nationaler Ebene) teilnimmt. Umso schlimmer, dass ihm nichts besseres als »Penis-Parker« einfällt. Dass ich das hier direkt am Anfang erzähle, hat zwei Gründe. Erstens: Auf diese Art von »Wir tauschen alte Spider-Man-Figuren durch neue, möglichst coole, alternative Konzepte aus« müssen Sie sich in Spider-Man: Homecoming gewöhnen. Und zweitens: Mit dieser Marschroute tut sich der Film schwer.
Spider-Mans Tante May ist jetzt eine attraktive, jüngere Frau als in der Vorlage, was ihr im Lauf des Films ein paar schlüpfrige Sprüche von links und rechts einbringt, ohne irgendeine Bewandtnis für die Story zu haben. Ansonsten bleibt sie als Charakter ein unwichtiger Beobachter am Spielfeldrand. Peter Parkers Angebetete heißt weder MJ noch Gwen Stacy und hat weniger Persönlichkeit als beide kombiniert.
Die Liebesgeschichte von Homecoming wirkt aufgesetzt und existiert eigentlich nur, um einige Handlungspunkte auf den Weg zu bringen - die ich hier natürlich nicht spoilern will. Und Spideys bester Freund ist (wie jeder von Marvels Support-Sidekicks) eigentlich nur dafür da, das Geschehen zu kommentieren und sich zum Affen zu machen.
Spoilerfreie Filmkritik: Wie immer vermeide ich bei der Filmkritik Spoiler und gehe bestenfalls auf Inhalte ein, die in den Trailern ausführlich dargestellt werden. Sollten Sie aber absolut gar nichts über Spider-Man: Homecoming wissen wollen, springen Sie am besten zum Fazit. Oder gehen vorher ins Kino.
Ein zynischer Einstieg
Dieser Artikeleinstieg, meine Damen und Herren, war ein Einblick, wie zynisch und distanziert man Spider-Man: Homecoming in die Mangel nehmen kann. Diese Deutungsebene gibt der Film durchaus her - wer sich an der Marvel-Formel sowas von satt gesehen hat, kann an diesem Film dieselben Kritikpunkte festmachen wie an vielen anderen Superhelden-Streifen: Vorhersehbarer Handlungsverlauf, lahmer Schurke, inhaltlich belangloser Support-Cast, kaum richtige Fallhöhen.
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Dass der Geier als Schurke plastischer wirkt als die austauschbaren Fieslinge anderer Marvel-Streifen, liegt einzig und allein am großartigen Michael Keaton (der nach Batman und Birdman jetzt zum dritten Mal einen geflügelten Comic-Charakter spielt). In der Summe tritt der Geier als Schurke aber genauso ins Marvel-Formel-Fettnäpfchen wie die anderen erwähnten Schwachstellen des Films.
Pfeifen Sie auf die Schwächen
Aber ich halte dagegen, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass so eine distanzierte Kritik den meisten Kinozuschauern herzlich egal sein wird. Denn es ist sehr leicht, mit Spider-Man: Homecoming extrem viel Spaß zu haben, wenn Sie ein humorvolles Herz haben. Und das verdankt der Film vor allem einer Person: Tom Holland, dem Darsteller von Peter Parker. Der Kerl macht einen fantastischen Job als Teenager-Spidey.
Dabei drängt sich der Vergleich mit dem Ur-Spider-Man-Darsteller Tobey Maguire gar nicht erst auf: Hollands Interpretation der freundlichen Spinne fühlt sich komplett anders an, jünger, spritziger und vor allem witziger. Beide Spidey-Ikonen können nebeneinander stehen, ohne sich gegenseitig ein Stück vom Kuchen wegzunehmen. Die ursprüngliche, erste Verfilmung von Spider-Man setzt einen schwermütigeren Fokus, Homecoming geht in eine komplett andere Richtung.
Der Grund dafür verbirgt sich im Quellenmaterial: Spider-Man: Homecoming orientiert sich bei der Comic-Vorlage Ultimate Spider-Man, die quer durch die 2000er-Jahre parallel zur eigentlichen Spidey-Heftserie eine moderne Neuinterpretation von Peter, MJ und Co. verwirklichte. Das Geschehen von Ultimate bleibt konstant in den Teenager-Jahren von Spider-Man, wohingegen die normale Heftserie Peter Parker nach einer Weile ins College schickt und danach in die Arbeitswelt entlässt. Ultimate Spider-Man fühlt sich entsprechend jünger an, und genau in die gleiche Kerbe schlägt auch Spider-Man: Homecoming. Zum Glück.
Die Highschool-Spinne
Dass die Handlung des Films im Highschool-Milieu angesiedelt ist, passt wunderbar zu Spider-Mans Story-Schwerpunkten. Im Gegensatz zu Iron Man und Co. zeichnete sich Spidey immer schon dadurch aus, dass er neben dem Helden-Dasein auch sein Privatleben in den Griff kriegen muss. Peters größte Konflikte in den Comics drehen sich meistens um die Menschen, die er liebt - und deshalb gehören MJ, Tante May, Gwen Stacy und Co. auch zu den bekanntesten Nebenfiguren der Comic-Geschichte.
Die Konflikte des jungen Peter sind in Homecoming so viel greifbarer als bei den großen Avengers-Kollegen. Klar, der Support-Cast rund um Tante May und Co. fällt im Detail flacher aus als früher, aber trotzdem kauft man Tom Holland seine Fürsorge ab. Außerdem bleiben auch abseits der Rettungsaktionen genügend nachvollziehbare Alltagsprobleme: Peter Parker muss seinen Schulalltag, seinen pubertierenden Hormonhaushalt und sein Superhelden-Handwerk in Einklang bringen - und gleichzeitig seinem Mentor Tony Stark gerecht werden, der um jeden Preis verhindern will, dass Spidey mit seinen Fähigkeiten zu viel Chaos anrichtet.
Homecoming rückt dieses in Captain America: Civil War auf den Weg gebrachte Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Tony Stark und Parker mehr denn je in den Fokus und schenkt sich im selben Moment die alte Herkunftsgeschichte rund um den Spinnenbiss, Onkel Bens Tod und so weiter.
Zum Vergleich: Captain America: Civil War in unserer Filmkritik
Das entpuppt sich als sehr gute Entscheidung, weil wirklich niemand noch ein drittes Mal Onkel Bens tragischen Tod sehen will. Homecoming spielt gezielt mit den Erwartungen der Zuschauer und geht davon aus, dass sie im letzten Jahrzehnt mindestens einmal »Aus großer Kraft folgt große Verantwortung« gehört haben. Permanent gibt es ironische Anspielungen auf die Kinovergangenheit von Spidey, allerdings mangelt es diesen Referenzen nie an Respekt.
Tom Hollands Spider-Man hat diese ganze innere Selbstfindungs-Krise von Tobey Maguires Netzschwinger schlicht hinter sich: Er verfügt über Superkräfte, also will er natürlich ein Superheld sein wie die Avengers - in Homecoming entsteht Spannung in der Regel dadurch, dass der Teenie-Spidey sich dabei anstellt wie ein unbeholfener Depp.
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