Der 6. Juni 1944, der Tag der Alliierten Invasion in der Normandie und Anfang vom Ende des Deutschen Reichs, ist in Strategie- und Actionspielen das mit Abstand am häufigsten thematisierte Datum. Mit Steel Division: Normandy 44 von Eugen Systems (Act of Aggression, Ruse, Wargame-Reihe) stößt jetzt ein weiteres Strategiespiel dazu - und erobert trotz der großen Konkurrenz gleich mal das Spitzenfeld. Denn der sehr taktische Echtzeit-Titel schafft den schwierigen Spagat zwischen den Hollywood-Gefechten eines Company of Heroes und dem gnadenlosen Realismus eines Combat Mission.
Steel Division inszeniert weniger die eigentliche Invasion an den fünf Strandabschnitten, als vielmehr die Gefechte im Hinterland und die Tage nach dem D-Day. Zum Beispiel in einem Einsatz, bei der die Landung auf deutscher UND alliierter Seite von KI-Truppen ausgefochten wird, während wir unsere eigenen Einheiten aus weit verstreuten Lastenseglern klauben, die deutschen Nachschublinien infiltrieren, Artilleriestellungen knacken und die berüchtigten 8,8er-Geschütze ausschalten, damit unsere verbündeten Panzer nicht schon in Strandnähe zusammengeschossen werden.
Das klingt jetzt wie Call of Duty als Strategiespiel, doch weit gefehlt: Steel Division setzt eben nicht auf Knallbumm-Gefechte (obwohl es durchaus Knall und Bumm gibt), sondern auf weitreichenden Realismus.
Deutsche Truppen
Wir weisen darauf hin, dass man in Steel Division unter anderem Einheiten der SS spielen kann, zum Beispiel die 12. SS-Panzerdivision »Hitlerjugend«, die 1943 aufgestellt wurde und aus überwiegend gerade mal 17-jährigen Soldaten bestand. Auch einzelne zumindest umstrittene Kommandanten tauchen in Infobildschirmen auf.
Kurz vor Release hat Paradox auf Anraten der USK noch den später wegen der Ermordung kanadischer Kriegsgefangener verurteilten SS-Brigadeführer Kurt Meyer entfernt und durch Fritz Witt ersetzt - einen anderen Generalmajor der Waffen-SS.
Realistisch? Ja - aber nicht übertrieben
Bleiben wir gleich bei »weitreichend«: Allein schon wegen der glaubwürdigeren Waffenreichweiten spielt sich Steel Division anders als viele seiner Genrekollegen. Hier feuern Panzer bei freiem Sichtfeld über mehrere hundert Meter. Damit fährt das Spiel zwar immer noch keine realistischen Entfernungen auf (ein echter Tiger hatte eine Kampfentfernung von bis zu zwei Kilometern, gegen stehende Ziele auch bis zu drei), aber die würden auch auf Kosten des Spielspaßes gehen - wer mag schon über mehrere Bildschirmlängen hinweg hilflos zerlegt werden?
Ein guter Kompromiss zwischen Spielbarkeit und Realismus also, der zudem eine andere Stärke des Spiels unterstreicht: Steel Division schafft es hervorragend, Strategie und Taktik zu verknüpfen. Wir können jederzeit weit aus den detaillierten Schlachtfeldern herauszoomen, um zum Beispiel größere Truppenkontingente an die Front zu holen. Und wieder hineinzoomen, um etwa einzelne Infanterietrupps überschlagend vorzurücken, Panzerabwehrstellungen auszurichten, Mörserfeuer zu koordinieren.
Achtung, nur eingeschränkte deutsche Lokalisierung!
Auch wenn auf Steam bei den Sprachangaben Deutsch aufgeführt ist, stimmt das nur zum Teil: Während das Interface fast vollständig lokalisiert wurde, sind viele Missionsbeschreibungen und Hinweise auf Englisch. Selbst die vorhandenen deutschen Texte passen gelegentlich nicht in Fenster, weil sie zu lang sind. Wer sich einigermaßen mit dem englischen Militärvokabular auskennt, kommt aber gut mit den ohnehin knapp gehaltenen Texten klar.
Hintergrund der halbfertigen Lokalisierung: Kurz vor Release hat sich der deutsche Publisher Deep Silver aus dem Projekt zurückgezogen (siehe Kasten »Deutsche Truppen«). Daher gibt es auch keine klassische Version im Laden, sondern nur die Download-Variante, etwa über Steam oder direkt über den Online-Shop von Paradox.
Stresstest für Strategen
Weil taktisches Vorgehen so wichtig ist und wir oft an mehreren Stellen gleichzeitig kämpfen, sind wir in Steel Division immer wieder unter Dauerstress. Ständig müssen wir agieren und reagieren, optimieren, entscheiden. Das Spiel gibt uns dabei sehr viel Spielraum, wir können bei einem Infanterietrupp zum Beispiel festlegen, dass er seine Gewehre einsetzen darf, nicht aber die MPs - so sparen wir beim Vorrücken auf ein besetztes Dorf Munition für den späteren Nahkampf mit automatischen Waffen. Das ist zwar nicht immer zwingend nötig, aber wer gerne alles unter Kontrolle hat, wird damit natürlich glücklich.
Richtig wichtig ist hingegen das Moralsystem. Verluste, nahe Explosionen, Beschuss im offenen Gelände - als das zerrt an den Nerven der Soldaten. Steel Division ist eines der wenigen Spiele, in denen Soldaten sich nicht nur panisch zurückziehen, sondern sogar ergeben, wenn wir nahe genug herankommen. Das wiederum lässt sich prima nutzen, um aufgegebene Munitionstransporter zu erbeuten, etwa dann, wenn wir vorhin doch munter mit Gewehren und MPs gefeuert haben, statt Munition zu sparen.
Auch klasse: Jede der beiden Kriegsparteien hat eine eigene Kontrollzone, erkennbar an der blauen und roten Unterlegung der jeweiligen Map, die sich flüssig-dynamisch verschiebt. Wenn wir etwa mit Panzern oder Infanterie vorrücken, wandert unser Territorium mit ihnen. Ein Späher oder ein Jagdflugzeug hingegen verschieben diese Grenze nicht. Durch geschicktes Vorstoßen können wir Gegner schwächen, denn auf feindlichem Gebiet sinkt ihre Moral zusätzlich, bis hin zur Kapitulation. Das klappt aber nicht immer: Fallschirmjäger zum Beispiel sind es gewohnt, hinter den feindlichen Linien zu operieren, denen macht das nix.
Wir bauen uns eine Armee
Bei so viel Realismus gibt's natürlich auch keinen Basisbau, um mal schnell ein paar Shermans nachzuproduzieren. Stattdessen arbeiten wir mit Punkten, die wir großzügig in die Startarmee eines Einsatzes pumpen können - oder nur sparsam, um dafür später situationsbedingt gezielt Verstärkung zu ordern. Denn jeder Einsatz ist in drei Zeitphasen unterteilt (Aufklärung, erste Gefechte, eigentliche Schlacht), und wir dürfen nicht in jeder Phase alle Truppentypen reinschicken, viele Panzer sind zum Beispiel erst in Phase B oder sogar C erlaubt.
Das verlangt auch wieder viel Taktieren: Zu Missionsbeginn nur in zwei Spähtrupps investieren, um später umso geballter zuzuschlagen? Oder doch gleich auf mehrere Infanterietrupps setzen, um Dörfer schnell zu erobern und sich zu verschanzen? Das sorgt vor allem in Multiplayer-Schlachten mit gut koordinierten Spielern für hochspannende Matches. Die Aufteilung in Phasen ist eine der größten Neuerungen im Vergleich zur Wargame-Reihe, neben dem Weltkriegs-Szenario natürlich.
Vergleichsweise schwach finden wir hingegen die drei Kampagnen, die lediglich je vier Einsätze trocken aneinanderreihen. Immerhin gibt's hier immer wieder Nebenziele, etwa das Abfangen feindlicher Nachschubkonvois. Spannender sind wiederum die selbst zusammenstellbaren Einzelszenarios mit KI-Verbündetem und -Gegnern, zumal wir jedem KI-Team eine eigene KI-Stärke verpassen können. Ein richtiger Strategenbaukasten, sozusagen.
Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.
Dein Kommentar wurde nicht gespeichert. Dies kann folgende Ursachen haben:
1. Der Kommentar ist länger als 4000 Zeichen.
2. Du hast versucht, einen Kommentar innerhalb der 10-Sekunden-Schreibsperre zu senden.
3. Dein Kommentar wurde als Spam identifiziert. Bitte beachte unsere Richtlinien zum Erstellen von Kommentaren.
4. Du verfügst nicht über die nötigen Schreibrechte bzw. wurdest gebannt.
Bei Fragen oder Problemen nutze bitte das Kontakt-Formular.
Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.
Nur angemeldete Plus-Mitglieder können Plus-Inhalte kommentieren und bewerten.