Es gab mal eine Zeit, da lag jedem neu gekauften Spiel eine gedruckte Anleitung bei. Darin wurden die grundlegende Steuerung, Spielmechanik und manchmal noch die Hintergrundgeschichte erklärt. Heutzutage spart man sich das Papier, weil viele ihre Spiele auf digitalen Verkaufsplattformen wie Steam kaufen. Handbücher scheinen aber sowieso ihren Nutzen verloren zu haben. Ingame-Tutorials decken das gröbste ab und die Branche wird immer besser darin, Neulinge wie Fachkundige gleichermaßen anzusprechen.
Gary Grigsby's War in the East 2 steht derlei neumodischen Trends, gelinde gesagt, eher skeptisch gegenüber. Wer sich die physische Version des rundenbasierten Strategiespiels für über 90 Euro gönnen möchte, bekommt ein 520-Seiten langes Handbuch mitgeliefert. Zum Vergleich: Der erste Band von Stephen Kings »Dunkler Turm«-Reihe umfasst je nach Ausgabe etwa 300 bis 350 Seiten.
Im Schmöker des Entwicklerstudios 2By3 Games und Publisher Slitherine kann man sich beispielsweise darüber informieren, wie die Zusammensetzung der Luft den Feuchtigkeitsgehalt eines Hexfeldes beeinflusst oder welche Fortschritte die Panzerentwicklung zwischen 1941 bis 1944 erzielte.
Wenig überraschend hört sich War in the East 2 nicht nur wie ein steifer Geschichtsvortrag der Schulklasse 10B an, die von klassischen Brettspielen inspirierte Kriegssimulation präsentiert sich auch so. Die vielen Icons, Untermenüs und das gleichförmige Rastermuster sehen aus, als hätte jemand eine fertig gespielte Partie Minesweeper ausgedruckt und darauf eine Steuererklärung gekritzelt.
War in the East 2 ist kein gewöhnliches Strategiespiel von Blizzard oder Firaxis, die einem behutsam die Spielregeln erklären und vorsichtig den Komplexitätsregler nach rechts drehen. Stattdessen müssen Spieler und Spielerinnen ab der ersten Minute den Willen zum Lernen und eine hohe Frusttoleranz mitbringen.
Damit ist der Liebhabertitel in guter Gesellschaft. Wer einmal abseits der üblichen Verdächtigen nach stärkerem Taktiktobak sucht, findet eine ganze Reihe von schwerfällig anmutenden Strategiekolossen, die mit einer schier endlosen Anzahl an tiefen Mechaniken versuchen, Krieg, Diplomatie und Wirtschaftskreisläufe so detailreich wie möglich abzubilden.
Trotz ihrer Sperrigkeit haben sie aber ein Publikum, das bereitwillig all die Hürden in Kauf nimmt. Für diesen Artikel haben wir mit Entwicklerstudios, Fans und anderen Experten gesprochen, um eine Antwort darauf zu finden, warum es sich dieses Untergenre leisten kann, scheinbar gegen jede Game-Design-Weisheit zu verstoßen.
Grenzenlose Macht
Die erste Adresse auf unserer Suche nach Antworten ist YouTube. Hier findet man schnell Leute, die sich auf ausufernde Strategiespiele spezialisiert haben. Einer davon ist Chris alias »Medicus«. Auf seinem Kanal spielt er unter anderem Zeitfresser wie Hearts of Iron 4, Strategic Command oder auch das eingangs erwähnte War in the East 2. Er sagt:
"Ein Strategiespiel gibt dir ein besonderes Problem und wenn es ein komplexes Strategiespiel ist, gibt es dir eine ganze Reihe von Möglichkeiten, das Problem zu bearbeiten. Je mehr Möglichkeiten du hast, es zu bearbeiten, desto interessanter ist es für mich."
Bruce Shelley, neben Sid Meier einer der Urväter von Civilization, nannte einen seiner zentralen Designleitlinien einmal die »umgekehrte Pyramide der Entscheidungsfindung«. Am Anfang einer Civilization-Partie haben wir eine sehr übersichtliche Auswahl an Optionen. Es gibt mit dem Siedler nur eine einzige Einheit, die bewegt werden muss, um eine Stadt zu gründen. Mit jeder weiteren Runde kommen neue Problemfelder hinzu, die sich natürlich aus der vorherigen Entscheidung ergeben.
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