Als Eivor das Langhaus betritt, begrüßt Maus sie schwanzwedelnd, um sich ein paar Streicheleinheiten zu sichern. Okay, verwirrend, nochmal von vorne: Maus ist kein zutraulicher kleiner Nager, sondern eine zahme Wölfin. Und ich freue mich jedes Mal, wenn ich in Assassin's Creed Valhalla in meine Siedlung zurückkehre. Allein schon, weil Maus auf mich wartet, nachdem ich sie aus einem Käfig befreit und adoptiert habe.
Im Spiel entspinnen sich dort zig solcher kleiner Geschichten. Mal helfe ich einem Bäcker dabei, seiner turbulenten Vergangenheit zu entfliehen, und erfahre, warum er jetzt lieber Brot backt. Ein anderes Mal begleite ich eine Jägerin und begegne völlig verblüfft einem sprechenden Hirsch. Diese Abenteuer sind ernst, humorvoll, schräg oder rührend und erzählen für mich überraschenderweise mit Abstand die besten Geschichten in der Open World von Valhalla.
Die Autorin:
Elena lässt sich in Open-World-Spielen am liebsten treiben, um auf eigene Faust neue Geschichten oder versteckte Geheimnisse zu entdecken. Da der Humor der World Events bei ihr nicht zündet, war sie trotz der dichten Atmosphäre schnell ernüchtert von der Spielwelt und konzentrierte sich lieber auf die Hauptgeschichte von AC Valhalla. Die Siedlung hat sie dann aber doch mit dem Spiel versöhnt, da ihr die Bewohner durch die kleinen Abenteuer um sie allesamt ans Herz gewachsen sind.
Fischers Fritz erzählt gute Geschichten
Die Geschichten funktionieren so gut, weil die Siedlung im Spiel mein Baby ist. Ich stecke mühsam aus Klöstern geplünderten Reichtümer und Materialien sofort in neue Gebäude. Wo eben noch ein klappriges Zelt stand, wächst dann plötzlich eine Fischerhütte empor, gesäumt von Holzgestellen, an denen die frischen Fänge zum Trocknen hängen, einem Tisch zum Ausweiden und vielen weiteren Details. Der Fischer und sein kleiner Enkel nehmen fortan meine Angelausbeute entgegen und belohnen mich dafür.
Der spielerische Vorteil freut mich, fühlt sich aber weit weniger bedeutsam an, als die Tagebuchseiten in der Hütte. Da erfahre ich mehr über das Verhältnis der beiden: Der kleine Junge war schon immer zu zart gebaut für einen Wikinger, scheinbar nutzlos, zum Kämpfen nicht zu gebrauchen. Wenn er geschickt Seemannsknoten knüpft oder das Verhalten der Fische mit fast übersinnlicher Genauigkeit voraussagt, beeindruckt er aber das ganze Dorf.
Aus dem Knaben wird doch mal was, steht da und ich muss ab jetzt immer daran denken, wenn ich die beide beim emsigen Werkeln beobachte. Die paar Zettel haben schon ausgereicht, damit Fischer und Junge sich viel echter anfühlen als die meisten anderen Figuren in der Open World.
Wikinger mit Herz statt Everybody's Darling
Die Nebengeschichten vertiefen dieses Gefühl noch. Eivor kommt hier nicht zufällig vorbei und greift in das Leben von Fremden ein. Sie hilft ihren Freunden und Nachbarn, ist persönlich involviert. Ganz ähnlich wie zum Beispiel in Red Dead Redemption 2, wo das Lager zum Mittelpunkt wird, weil dort meine Verbündeten warten und ich fleißig Tierpelze oder Geld abgebe, um das raue Leben der Outlaw-Bande zu verbessern.
Und genau diese Vertrautheit merke ich Eivor beim Spielen an. Bei der Mission rund um die Wölfin Maus locken die Kinder der Siedlung sie zum Beispiel zu einem Haus, weil dort ein eingesperrtes Tier heult. Sie wissen, dass die starke Wikingerin ein gutes Herz hat und helfen kann, also gibt die Heldin zähneknirschend nach und befreit den Wolf.
Im Selbstgespräch schickt sie dabei Stoßgebete zu Odin, das wilde Geschöpf nicht vor den Augen der Kinder töten zu müssen. Doch alles geht gut. Der Wolf begleitet uns zurück ins Dorf und verteidigt die jungen Abenteurer sogar gegen ein angreifendes Rudel.
Viel passiert nicht in der Mission und spielerisch gestaltet sie sich ähnlich anspruchslos wie die überall verteilten World Events. Aber das »Wie« ist entscheidend.
Mit wenigen, gezielten Pinselstrichen malen die Entwickler ein Bild von Eivor, das ich ihnen abkaufe: Eine harte Kriegerin mit einem weichen Kern, die das beschützen will, was sie aufgebaut hat. Das zieht sich durch sämtliche Aufgaben rund um die Siedlung. Im Gegensatz zur Hauptstory, wo Eivor meist so auftritt, wie die Handlung es gerade von ihr braucht.
Das kritisiert auch Kollege Peter in seiner Kolumne bei GameStar Plus. Für ihn muss sich Assassin's Creed nach Valhalla wieder neu erfinden, idealerweise mit einer starken Hauptfigur:
So fühlt sich eine Spielwelt lebendig an
Die Geschichten und Ereignisse rund um die Siedlung passen außerdem deutlich besser zur oft düsteren Atmosphäre der Open World als die albernen World Events. Was nicht heißt, dass es immer bierernst zugehen muss - siehe den sprechenden Hirsch.
Aber wenn der Stallbursche und der Maler sich in die Haare kriegen, weil einem Pferd die Mähne abrasiert wurde, um daraus Pinsel zu herzustellen (Haha - in die Haare kriegen!), dann fühlt sich das glaubwürdiger an als eine Frau, die Schlangeneier von mir möchte, damit sie richtig einen fahren lassen kann.
Eivor darf hier sogar entscheiden, wer der beiden Streithähne im Recht ist und am Ende kenne ich zwei Figuren aus meiner Siedlung etwas besser. Immer, wenn ich zurückkomme, gibt es etwas zu tun. Es werden Feste gefeiert, Gebäude dekoriert oder jemand trauert um einen Verstorbenen und fragt mich, ob wir gemeinsam das Grab besuchen. Die World Events fühlen sich im Vergleich wie Fremdkörper an, losgelöst vom Rest der Welt.
Hier greifen Spielwelt und Story aber perfekt ineinander. Meine Siedlung lebt. Sie verändert sich und bietet jedes Mal, wenn ich zurückkomme, wieder neue Geschichten, Begegnungen und Erlebnisse zu entdecken, von denen sich zukünftige Open Worlds eine Scheibe abschneiden können.
Mehr über die Open World, ihre Stärken und auch ihre Schwächen lest ihr übrigens in unserem Test zu Assassin's Creed Valhalla oder schaut sie euch selbst im Testvideo mit haufenweise Gameplay an:
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