KI steht für Künstliche Idiotie
Womit wir bei der C&C-Gretchenfrage wären: Nun sag, Remaster, wie hältst du's mit der Künstlichen Intelligenz? Denn KI und Wegfindung gehören traditionell zu den großen Schwächen der C&C-Serie - und das bleibt leider auch im Remaster so, die Entwickler haben die Panzer und Ernter nicht noch mal auf die Schulbank geschickt. Deshalb geschehen häufig Dinge wie diese:
- Panzer bleiben regungslos am Flußufer stehen, wenn ich sie ans andere Ufer bewegen will. Denn der Weg über eine Furt und um einen Berg herum ist ihnen zu kompliziert.
- Soldaten bleiben an Klippen hängen, statt wie befohlen den Geschützturm wenige Meter weiter zu beschießen, ich muss sie regelrecht zum Angriffsziel bugsieren.
- Feindliche Tiberium-Ernter lassen sich von der eigenen Infanterie umringen und können sich dann nicht mehr bewegen.
- Ernter fahren eine halbe Minute lang hin und her, während sie entscheiden, ob sie wirklich zur Raffinerie zurückrollen sollten.
- Wenn wir einer größeren Gruppe von Fahrzeugen einen Bewegungs- oder Angriffsbefehl erteile, fahren sie oft wild durcheinander und stehen sich gegenseitig im Weg.
- Beim Überqueren einer Brücke mit einem Panzertrupp fährt ein Teil der Vehikel erst mal in die entgegengesetzte Richtung - weil die vorausfahrenden die Brücke »blockieren«.
- Ein GDI-Raketenkreuzer, der auf einem Fluss hin und her patrouilliert, visiert verbissen eine meiner Einheiten an, die außer Reichweite ist. Alle anderen ignoriert er. So kann ich ihn ohne Gegenwehr mit Raketen-Motorrädern versenken.
Der absurdeste Moment, den ich erlebt habe, lässt sich allerdings nur mit einem Malprogramm würdig illustrieren.
Das führt dazu, dass ich Einheiten viel mehr babysitten muss als in Starcraft, Age of Empires & Co. Panzer bewege ich am besten in kleinen Gruppen und - weil es keine Wegpunkt-Funktion gibt - über möglichst kurze Strecken, damit sie sich nicht verfahren oder sich die Gruppe aufspaltet.
Beim Angriff auf Stützpunkte rücke ich mit einzelnen Einheiten Feld für Feld vor (das Terrain basiert immer noch auf einem Quadratmuster): Okay, der Mammutpanzer rollt ein Feld weiter, und danach der Raketenwerfer, damit er auf die Kaserne im Norden feuern kann. Dann rückt der andere Mammutpanzer nach, der nach Süden absichert. Das ist wie Schach, nur eben in Echtzeit.
So erzeugt C&C seine ganz eigene Art von Hektik, weil im ohnehin schon turbulenten Schlachtgeschehen nicht nur den Feind im Auge behalten muss, sondern auch meine eigenen Chaoten. Jetzt weiß ich auch, warum sich Kane das letzte Haar ausgerauft hat. In einem zeitgemäßen Strategiespiel dürften solche KI-Kapriolen nicht vorkommen.
Nach wie vor besonders
Und das ist des Pudels Kern: Command & Conquer ist kein zeitgemäßes Strategiespiel. Es ist ikonisch, sein unverwechselbarer Stil hat sich in die Spielegeschichte eingebrannt. Wer im Detail nachvollziehen möchte, was C&C damals so besonders gemacht hat (und bis heute macht), dem sei unsere vierteilige Videoserie zur Faszination C&C ans Herz gelegt, los geht's mit Teil 1:
Spielerisch aber, das ist das Problem, wehen dicke Staubwolken von Panzern und Raffinerien. Lohnt es sich dann überhaupt noch, es heute zu spielen? Ich sage: Ja, das lohnt sich.
Einerseits, um Strategiespielgeschichte zu erleben, andererseits entfaltet C&C abseits aller Nostalgie nach wie vor seine Stärken. Taktischer Anspruch gehört zwar nicht unbedingt dazu, meist genügt zum Sieg der gute, alte Tankrush mit massenhaft Panzern. Auf dem Weg dahin erlebe ich aber immer wieder tolle Missionsideen sowie wechselnde Startbedingungen und Konstellationen.
Beispielsweise die nervenaufreibenden Kommando-Einsätze von C&C 1, in denen ich keine Basis errichten darf. Also taste ich mich mal nur mit einem Scharfschützen, mal mit einer Handvoll Truppen vorsichtig über die Karte. Manchmal geht es darum, ein bestimmtes Ziel auszuschalten, manchmal soll ich einen kleine Stützpunkt erobern - und zwar unter Zeitdruck, bevor eine feindliche Offensive anrollt oder ein GDI-Luftangriff meinen wertvollen Scharfschützen abfackelt.
Diesen Zeitdruck macht C&C nicht immer offensichtlich, meist braucht eine solche Mission mehrere Anläufe, was sie aber nicht minder spannend macht. In seinen besten Momenten spielt sich C&C wie ein Puzzle: In welcher Reihenfolge schalte ich Feinde aus und wohin bewege ich meine Truppen, um das Maxmimum herauszuholen?
Denkwürdig auch die Nod-Mission, in der zwei Mammutpanzer eine Brücke bewachsen, hinter der ich meine Basis errichten muss. Mit meiner Handvoll Einheiten kann ich die Giganten nicht knacken, also beschieße ich sie mit einem Motorrad, haue ab und spiele Katz und Maus, indem ich die Mammuts im Kreis um einen Berg herum locke, während das Basis-Baufahrzeug unbehelligt über die Brücke rumpelt. Dann ziehe ich Gebäude hoch, lenke die Mammuts weiter ab, rekrutiere Raketensoldaten, wehre einen anderen GDI-Angriff ab, baue einen Geschützturm und locke die Mammuts schließlich zum Stützpunkt, um sie zu zerbröseln.
Wer noch mehr (oder weniger) Nervenkitzel möchte, darf nun auch in C&C 1 den Schwierigkeitsgrad in drei Stufen einstellen, damit Feinde mehr Schaden vertragen und austeilen. Das ging zuvor nur in Alarmstufe Rot, und auf der höchsten Stufe wird schon die vierte Nod-Mission zur Herausforderung.
Apropos: Alarmstufe Rot setzt auch in Sachen Abwechslungsreichtum noch einen drauf, beispielsweise mit Kommandomissionen in Innenräumen wie einem Atomkraftwerk. Auf Freiluftkarten spielt indes die Luftwaffe eine viel größere Rolle, außerdem darf ich erstmals Schiffe bauen und befehligen, etwa sowjetische U-Boote oder allierte Artilleriekreuzer mit ihrer unverschämt hohen Reichweite.
Weil spätere Kampagnen-und größere Addon-Missionen jeweils locker eine Stunde dauern, stecken in der C&C Remastered Collection viele Wochen Echtzeit-Schlachten, zwar getrübt von der furchtbaren KI, aber immer noch erlebenswert.
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