Verheerende Folgen, minderjährige Opfer
Umso drängender wird die Notwendigkeit, Kinder und Jugendliche im digitalen Raum zu schützen. Vor allem auch, weil die Folgen von Cybergrooming verheerend sein können. »Erlebnisse im Zusammenhang mit Cybergrooming können für Betroffene traumatisierend und mitunter schwer zu verarbeiten sein«, so Robert de Lubomirz-Treter.
Dabei sei es oft schwierig, Fälle von Cybergrooming aufzudecken. Auch, weil es den »typischen« Fall selten gebe, meint Rebecca Michl-Krauß von der Initiative klicksafe: »Oft nutzen Personen beim Cybergrooming Fake-Profile und geben sich beispielsweise als Gleichaltrige aus, auch wenn sie deutlich älter sind. Aber nicht jeder Cybergrooming-Fall läuft gleich ab.«
»Einige Täter verwickeln Kinder und Jugendliche schnell in sexuelle Gespräche, konfrontieren sie mit pornografischem Material oder fordern intime Aufnahmen. Andere bauen über einen längeren Zeitraum den Kontakt und das Vertrauen auf, bevor es zu sexuellen Übergriffen kommt.«
Wesentlich sei, so Michl-Krauß von klicksafe: »Meist werden sehr manipulative Strategien eingesetzt, um ein Abhängigkeitsverhältnis herzustellen. Die Betroffenen werden beispielsweise mit Komplimenten und virtuellen Geschenken überhäuft, bekommen vermittelt, da ist jemand, der mir Aufmerksamkeit schenkt, mir zuhört und mich versteht. […] Je stärker dieses Machtgefälle greift, desto wahrscheinlicher wird es, das Kind oder den Jugendlichen zu sexuellen Handlungen im digitalen Raum oder auch außerhalb des Internets bringen zu können.«
So wie im oben bereits erwähnten Fall in Wolfsburg 2019. Ein 28-jähriger Mann wird verhaftet. Über Chats in Fortnite habe der Mann Minderjährige kennengelernt und sich deren Vertrauen erschlichen. Anschließend verabredet er sich via WhatsApp oder das Playstation-Netzwerk mit ihnen und lockt sie in seine Wohnung in der Wolfsburger Innenstadt. Dort kommt es zu sexuellen Übergriffen. Von sechs Opfern im Alter zwischen zwölf und dreizehn Jahren ist die Rede.
Höchste Zeit
Seit dem Fall Richard Kretovic 2012 hat sich die digitale Entwicklung nochmal beschleunigt. Die staatlichen Schutzmechanismen vor Cybergrooming können da kaum Schritt halten. Die Internetnutzung in Deutschland steigt über alle Altersgrenzen hinweg seit Jahren an.
Waren es im Jahr 2012 noch 76 Prozent, nutzen mittlerweile rund 94 Prozent aller Deutschen das Internet. Die Pandemie hat diese Tendenz noch verschärft. Unter den 14- bis 29-Jährigen stieg der Digitalkonsum dabei sogar nochmal an – von 207 Minuten auf 257 Minuten täglich.
Der KIM-Studie 2020 zufolge stehen gerade bei Kindern unter 14 Jahren digitale Spiele und Online-Games ganz oben auf der Liste der beliebten Freizeitaktivitäten: Insgesamt 60 Prozent der Sechs- bis Dreizehnjährigen spielen mehrmals die Woche. Werktags stieg die Nutzung von 79 Minuten auf 138 Minuten, wodurch sie mehr Zeit damit verbringen als mit sozialen Medien oder anderen Formen digitaler Freizeit.
Damit spiegeln Kinder und Jugendliche die Norm, die auch in anderen Altersgruppen in Deutschland gilt: Laut game-Bundesverband spielen insgesamt über 37 Millionen Deutsche ab 6 Jahren zumindest gelegentlich - das entspricht 58 Prozent der Gesamtbevölkerung. Mit Umsätzen von rund 4,5 Milliarden Euro ist die deutsche Gamesbranche längst ein wichtiger wirtschaftlicher Motor. Aber eben auch ein potenzieller Schauplatz von Cybergrooming.
Veränderung in kleinen Schritten
Immerhin tut sich etwas. Denn: Bis 2021 galt ein Jugendmedienschutz, der im Kern aus dem Jahr 2002 stammt. Da waren Online-Spiele, Streaming-Plattformen und soziale Netzwerke noch Zukunftsmusik. Doch auch nach dem Inkrafttreten des neuen Jugendschutzgesetzes im Mai 2021, das unter anderem auch vor »Kommunikations- und Interaktionsrisiken«, also etwa vor Cybergrooming, schützen soll, gab es Kritik: Die Formulierungen seien zu vage, zu verhalten und zu unverbindlich.
Auch Cyberkriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger kritisiert den Status Quo: »Es gibt kaum verpflichtende Regularien zum effektiven Kinderschutz. So sind Online-Spiele nicht im Netzwerkdurchsetzungsgesetz aufgenommen, was dazu führt, dass es keine verpflichtende Meldefunktionen gibt.« Sein Fazit: »Insgesamt kann man sagen, dass gerade der Bereich der Online-Spiele beim Schutz von Kindern relativ schlecht aufgestellt ist.«
Auch die Polizeiarbeit in Deutschland gehe bislang noch zu oft an der Lebens- und Gaming-Realität der Betroffenen vorbei: »Die Plattformen, die die Polizei bedient, sind solche, die eher weniger von Minderjährigen genutzt werden«, schreibt Rüdiger etwa in der Fachzeitschrift pvt. Andere Länder sind da schneller. Wie etwa die USA schon 2012 in der Aktion »Operation: Game Over« oder die dänische Polizei.
Die unterhält seit April 2022 eine Polizeipatrouille, die speziell dafür ausgebildet und zuständig ist, sich undercover im digitalen Wendekreis von Fortnite, Twitch, Discord, Steam, Minecraft und Co. zu bewegen, um Übergriffe frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Immerhin: Die deutsche Gesetzgebung zieht nach.
»Im Jahr 2020 wurde die sogenannte Versuchsstrafbarkeit eingeführt, um die Gesetzeslage zu verschärfen« so Rebecca Michl-Krauß von der EU-Initiative klicksafe. »Mit der Änderung werden nunmehr auch solche Fälle juristisch verfolgt, in denen Tatverdächtige glauben, auf ein Kind einzuwirken, während sie tatsächlich jedoch mit Erwachsenen kommunizieren.« Etwa mit verdeckten Ermittlerinnen und Ermittlern. Das erlaube ein effizienteres Durchgreifen, so Michl-Krauß.
Auch dem Branchenverband game ist das Thema wichtig: »Als Games-Branche nehmen wir unsere Verantwortung gegenüber Kindern und Jugendlichen besonders ernst,« so game-Geschäftsführer Felix Falk auf Nachfrage. Falk war zuvor Geschäftsführer der Jugendschutzeinrichtung USK, hat also Einblick in die Thematik.
»Unsere Mitglieder setzen sich stark gegen Online-Risiken ein, zu denen auch Cybergrooming zählt, beispielsweise durch technische Maßnahmen in den Spielen, durch Meldesysteme oder Elternkontroll-Funktionen«, erklärt Falk. »Darüber hinaus spielen neue digitale Nutzungsrisiken auch bei der USK eine wichtige Rolle, die für die Jugendschutzprüfung von Computer- und Videospielen zuständig ist. Mit Projekten wie dem Elternratgeber leistet sie zudem wichtige Aufklärungsarbeit.«
Die ist ganz zentral, denn: »Interaktionsrisiken lassen sich technisch und regulatorisch nicht vollständig ausschließen. Darum ist der Aufbau von Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen besonders wichtig. Für ein gesundes Aufwachsen mit digitalen Medien geht es um das gute Zusammenspiel von Unternehmen, Politik und Behörden sowie Eltern.«
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