Tatort Fortnite und Co: Cybergrooming ist eine große Gefahr für Kinder, das kann dagegen helfen

Vergewaltigungs-Posen in Fortnite, Sex-Rooms in Roblox. Online-Spiele sind Tummelplatz für Cybergrooming - die Fallzahlen steigen seit Jahren. Wir haben mit Experten gesprochen.

Roblox (links) und Fortnite (rechts) sind zwei bei Minderjährigen sehr beliebte Online-Spiele. Damit sind sie auch ein potenzieller Tatort für Kindesmissbrauch. Bei GameStar Plus gehen wir dem Phänomen mit Experten auf den Grund. Roblox (links) und Fortnite (rechts) sind zwei bei Minderjährigen sehr beliebte Online-Spiele. Damit sind sie auch ein potenzieller Tatort für Kindesmissbrauch. Bei GameStar Plus gehen wir dem Phänomen mit Experten auf den Grund.

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»Operation: Game Over«. Was klingt wie der Titel eines mittelmäßigen Aufbaustrategie-Spiels, war in Wahrheit aber eine durchschlagende »Säuberungsaktion« (purge) der Staatsanwaltschaft des Staates von New York. Über 3.500 Online-Konten bekannter Sexualstraftäterinnen und -Straftäter wurden dabei in Kooperation mit Großkonzernen der Spiele-Branche wie Microsoft, Blizzard Entertainment, Sony und Electronic Arts gelöscht.

Auslöser war ein Fall, der kurz vorher Schlagzeilen machte: Richard Kretovic, 19 Jahre alt, gesteht vor Gericht, einen zwölfjährigen Jungen über Xbox Live kennengelernt und über Monate dessen Vertrauen errungen zu haben. Dann lockte er ihn zu sich nach Hause. Und missbrauchte ihn.

Dieser schockierende Fall gab den Anstoß für die groß angelegte Maßnahme der US-Staatsanwaltschaft. Bezeichnend: Das Ganze passierte schon im Jahr 2012. Und prägte einen Begriff mit, der sich mittlerweile zum ausgewachsenen Problem entwickelt hat: Cybergrooming.

Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um die Manipulation von Kindern über Chat-Nachrichten mit dem Ziel des sexuellen Missbrauches. Der Text enthält Beispiele und Beschreibungen realer Verbrechen. Bei manchen Menschen können diese Themen negative Reaktionen auslösen. Bitte sei achtsam, wenn das bei dir der Fall ist.

Update vom 13. April 2023: Inzwischen hat Epic Games auf unsere Anfrage mit einem Statement zum Kinderschutz in Fortnite geantwortet.

Update 12. Juli 2023: Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit einem Cyberkriminologen entstanden und ursprünglich am 06.04.2023 als Plus-Artikel erschienen. Wir haben ihn nun für alle GameStar-User freigegeben.

Weitere Ratschläge und Tipps zur richtigen Medienerziehung von Kindern, findet ihr in unserem umfangreichen Plus-Report.

Polizeifoto von Richard Kretovic, der via Xbox Live eine Beziehung zu einem Minderjährigen aufbaute und ihn später missbrauchte (Unkenntlichmachung durch uns, Copyright: Public Domain) Polizeifoto von Richard Kretovic, der via Xbox Live eine Beziehung zu einem Minderjährigen aufbaute und ihn später missbrauchte (Unkenntlichmachung durch uns, Copyright: Public Domain)

Was ist Cybergrooming?

Aber was ist das eigentlich - Cybergrooming? Und welche rechtliche Handhabe gibt es dagegen? »Unter Cybergrooming kann juristisch das onlinebasierte Einwirken auf ein Kind mit dem Ziel der Einleitung oder Intensivierung eines sexuellen Kindesmissbrauchs verstanden werden«, erklärt Prof. Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger, Leiter des Instituts für Cyberkriminologie an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg.

»Wenn eine Täterin oder ein Täter im Internet, etwa in Online-Games, Kontakt mit einem Kind aufnimmt und mit diesem zum Beispiel zusammen spielen will, weil sie oder er sich dadurch erhofft, eine Handynummer zu bekommen in der Vorstellung, dann sexualisierte Inhalte zu übersenden oder zu bekommen oder dadurch das Kind zu einem Treffen zu bewegen, dann kann bereits das gemeinsame Spielen juristisch gesehen Cybergrooming darstellen.«

Voraussetzung sei, so Rüdiger: Es müsse ein Kind betroffen sein – also eine Person, die maximal 14 Jahre alt ist. Jugendliche würden durch die relevanten Straftatbestände §176a Abs. 1 Nr. 3 und §176b Abs.1 StGB nicht geschützt, was der Experte klar für einen Fehler hält: »Studien zeigen, dass auch Jugendliche massiv mit dem Phänomen konfrontiert werden.« Online-Spiele seien ein Nährboden für Cybergrooming, denn: »Durch das gemeinsame Spielerlebnis können TäterInnen  relativ leicht Vertrauen zu den Opfern aufbauen.«

Tipps für Kinder & Eltern von den befragten Expertinnen und Experten

  • Für die ersten Schritte im Netz: Kinder brauchen sichere (Surf)Räume, die dabei helfen, sich online überhaupt zurechtzufinden. Eltern sollten ihre Kinder im Netz begleiten und gemeinsam altersgerechte Angebote aussuchen .
  • Auch mit älteren Kindern und Jugendlichen: Im Gespräch bleiben! Die Realität ist oft, dass Heranwachsende mit ihrer Mediennutzung allein gelassen werden, auch, weil sich die Eltern selbst unsicher fühlen. Hier gilt es, am Ball zu bleiben. Und das Kind (und sich selbst) in Medienkompetenz zu schulen.
  • Das heißt auch, das Kind für Fragen zu sensibilisieren, wie: Welche technischen Möglichkeiten habe ich, um mein Profil zu schützen? Wie kann ich ungewollte Kontakte blockieren und melden? Auf welche Warnsignale sollte ich achten? Wo finde ich Hilfe?
  • Eltern sollten bei allen Themen und Fragen eine vertrauensvolle Anlaufstelle bleiben.
  • Das heißt vor allem auch: Verständnis zeigen und Räume lassen, sich auszuprobieren. Kontrolle, Verbote und Strafen führen dazu, dass Kinder sich verschließen, Dinge im Verborgenen tun und im schlimmsten Fall den Bezugspersonen nichts von Übergriffen zu erzählen, weil sie Bestrafung fürchten.
  • Übergriffe zur Anzeige bringen - bei der nächsten Polizeiwache oder alternativ über eine Anzeige bei einer Internetwache. 
  • Die wichtigste Regel für Eltern lautet: Egal was passiert ist, die Betroffenen von Cybergrooming trifft keine Schuld!

Anlaufstellen:

Für Kinder

Für Eltern und Bezugspersonen

  • Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch: Hier bekommen Bezugspersonen Unterstützung bei den nächsten Schritten. Etwa bei der Frage, ob und wie Anzeige erstattet werden kann und welche Unterstützung das betroffene Kind jetzt am besten braucht. 
  • Bei der Internet-Beschwerdestelle oder jugendschutz.net können sich Bezugspersonen melden, wenn beispielsweise intime oder kinderpornografische Aufnahmen des Kindes veröffentlicht wurden.
  • Verdachtsfälle von Cybergrooming können unter https://www.fragzebra.de/cybergrooming direkt gemeldet werden. Ein Team von Juristinnen und Juristen der Landesanstalt für Medien NRW prüft den gemeldeten Verdacht und leitet diesen – soweit er begründet ist – an die ZAC NRW weiter (Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen, eingerichtet bei der Staatsanwaltschaft in Köln).
  • ZEBRA (www.fragzebra.de) ist auch die Anlaufstelle, bei der Fragen zum Thema Cybergrooming gestellt werden können.
  • Auch unter www.klicksafe.de/cybergrooming finden Eltern unterschiedliche Materialien zum Thema Cybergrooming.

Tatort Fortnite

Spiele wie der Koop-Survival-Shooter Fortnite und Spieleplattform Roblox sind ein Tummelplatz für potentielle Täterinnen und Täter, weil sie vor allem bei Kindern und Jugendlichen beliebt sind. Das weiß auch Rebecca Michl-Krauß. Sie ist Referentin für Medienkompetenz bei der EU-Initiative klicksafe.

»Online-Games wie Fortnite werden im Kontext von Cybergrooming gezielt genutzt, um in Kontakt mit Kindern und Jugendlichen zu kommen.«

Häufig dienten diese als Einstieg, um den sexuellen Kontakt anzubahnen und zu intensivieren - »bis zur Vorbereitung eines sexuellen Missbrauchs, da häufig reale Treffen vom Tatbegehenden gefordert werden.«

Roblox und Fortnite sind die Platzhirsche unter den Spielen, die vor allem Kinder und Jugendliche begeistern. Allein Roblox soll täglich rund 40 Millionen aktive Spielerinnen und Spieler auf seine Server locken. Die Altersgruppe unter 13 Jahren macht dabei den größten Teil aus: 29 Prozent der Spieler sind zwischen 9 und 12 Jahren alt, 25 Prozent sind jünger als neun Jahre.

Auch Fortnite spricht offensichtlich jüngere Zielgruppen an: Über 60 Prozent der Spielerinnen und Spieler sind zwischen 18 und 24 Jahren alt. In den USA machen Minderjährige 26 Prozent der Spielerschaft aus, und auch in Deutschland gilt Fortnite als beliebtestes Online-Spiel unter Minderjährigen.

Es verwundert also kaum, dass eben diese Spiele potenzielle Täterinnen und Täter besonders anziehen. In einem Fall in Berlin, so Cyberkriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger, soll ein 29-jähriger Mann aus Wolfsburg, der sich als 15-jähriger ausgegeben hat, über das Spiel Fortnite Kontakt zu sechs Jungen im Alter zwischen 8 und 12 Jahren aufgenommen haben.

Prof. Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger ist Leiter des Instituts für Cyberkriminologie an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Prof. Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger ist Leiter des Instituts für Cyberkriminologie an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg.

In einem anderen Fall, schildert Rüdiger, »hat sich ein 57-jähriger Mann durch Software als junges Mädchen ausgegeben und damit 600 minderjährige Jungen zu digitalen sexuellen Handlungen gebracht«. 600 Opfer auf nur einen Täter - »sowas ist in dieser Form vermutlich nur durch digitale Mechanismen möglich«.

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