Alle feiern Hunt: Showdown, aber über die wichtigste Stärke wird nie geredet

Schüsse, Explosionen, das Grollen der Geschütze. Shooter-Spieler lieben es, wenn's richtig kracht. Doch es müssen nicht immer die Waffen sein, mit denen ein Shooter punktet. Hunt: Showdown beweist für mich genau das.

In Hunt: Showdown ist es extrem wichtig, die Lauscher zu spitzen. Sonst fangt ihr euch schnell eine Kugel ... oder mehrere. In Hunt: Showdown ist es extrem wichtig, die Lauscher zu spitzen. Sonst fangt ihr euch schnell eine Kugel ... oder mehrere.

Nach 25 Lebensjahren und zwei Uniabschlüssen bin ich zu der brillanten Erkenntnis gelangt: Leute ballern in Shootern gerne. Sie lieben dicke Waffen, die Löcher in Wände reißen, sie feiern rasante Actionfeuerwerke, in denen sie sich in letzter Sekunde aus explodierenden Häusern werfen. Aber wisst ihr was? Der beste Shooter der Welt lebt vor allem von maximal unspektakulären Geräuschen. Gackernden Enten, krächzenden Raben und ja, von prasselndem Regen. Wir müssen über Klang reden. Aber bevor ihr jetzt alle weglauft, hört mir doch erstmal zu.

Gutes Sounddesign ist für die Atmosphäre von Spielen extrem wichtig, denn es hilft mir, mich in die Spielwelt hineinzuversetzen. Doch obwohl das so ist, haben Geräusche gerade in Shootern bisher kaum einen taktischen Nutzen. Schleiche ich in Far Cry durch ein Gebüsch, dann höre ich zwar das Knacken der Äste - meine Gegner allerdings nicht. Und würde man aus einem Battlefield oder Call of Duty zehn, 20 Umgebungsgeräusche streichen, dann würden es die meisten Spieler höchstwahrscheinlich nicht einmal bemerken. Was für ein verschenktes Potenzial!

Jesko Buchs
Jesko Buchs

Jesko ist eigentlich kein Fan taktischer Shooter, seine liebsten Genrevertreter sind Halo oder Star Wars Battlefront 2. Doch in Hunt: Showdown hat er sich verbissen. Die Kopfgeldjagd im Bayou macht teuflisch Spaß - und klingt verdammt gut. Die geschärften Ohren bringen Jesko aber auch Nachteile: Zurzeit macht ihn Dimis Rumgeklicke im Büro nervös, wenn er wieder die Revolverattrappe von News-Lead Phil Elsner klaut.

Wie es richtig gemacht wird, zeigt ein deutscher Shooter: Hunt: Showdown. Das aktuelle Event »Tide of Shadows« lässt die Spielerzahlen auf Rekordniveau klettern und spendiert einem Spiel mit ohnehin schon meisterhaftem Sound den beeindruckendsten Regen, den ihr je in einem Spiel prasseln gehört habt.

Der heimliche Star

Ein Beispiel: Neulich saß ich abends mit zwei Kollegen bei einer gepflegten Runde Hunt. Das gegnerische Team hatte den Boss bereits gefunden und sich mit der Trophäe in einem verfallenen Bauernhof verschanzt. Für diejenigen unter euch, die hier nur Bahnhof verstehen: In dem Extraction-Shooter müsst ihr Jagd auf verschiedene Bossmonster machen und euch am Ende der Runde mit dessen Trophäe aus dem Staub machen, während gegnerische Spielerinnen und Spieler euch jagen.

Während wir uns langsam an die Gegner anschleichen, bricht ein tosendes Gewitter los. Blitze zucken über den Nachthimmel, es schüttet in Strömen. Perfekte Gruselstimmung. »Na, schön«, denke ich. »Dann wage ich mich näher ran. Die hören mich bei dem Wetter doch eh nicht kommen.«

Hunt: Showdown - Der Trailer zum regnerischen Event Tide of Shadows Video starten 1:13 Hunt: Showdown - Der Trailer zum regnerischen Event Tide of Shadows

Dachte sich anscheinend auch einer der Gegner, denn plötzlich knackt es neben mir - und zack, hat mein Jäger eine Kugel im Kopf. Ich habe den Gegner einfach zu spät gehört.

Das ist in dem Moment zwar blöd gelaufen, steht aber symptomatisch für etwas, was Hunt gut kann: Der Sound ist der heimliche Star des Spiels und er verlangt, dass man ihn klug nutzt! Denn in Hunt habt ihr keine HUD-Unterstützung - also keine Minimap, keine roten Markierungen oder Spielertags über feindlichen Köpfen wie in anderen Shootern. Ihr habt nur eure Augen und Ohren. Und Augen sind in den nebligen Sümpfen von Louisiana oft sehr wenig wert. Achtet ihr hier nicht ausreichend auf Geräusche, habt ihr eigentlich schon verloren.

Geräusche überall

Der Sound ist in Hunt eine wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste Spielmechanik. Einfach alles, was ihr in diesem Spiel tut, macht ein Geräusch. Das reicht von alltäglichen Dingen wie dem Laufen und Rennen - die andere Spiele zugegebenermaßen auch beherrschen - bis hin zum Atmen anderer Jäger oder herunterfallenden Patronenhülsen. All das könnt ihr hören und daraus punktgenau ableiten, wo der Gegner gerade steht, welche Waffe er benutzt und so weiter. Und das noch viel präziser, als beispielsweise bei Rainbow Six Siege.

Wenn ihr versucht, möglichst leise zu spielen - was in Hunt definitiv ratsam ist - macht euch das Spiel mit Soundfallen das Leben schwer. Hier knackt ein Ast, da wiehert ein Pferd, ein anderes Mal schreckt ihr mit eurem Getrampel einen Schwarm Krähen auf. Für einen selbst ist das natürlich maximal nervig - wenn jedoch ein unvorsichtiger Gegner das Geflügel verrückt macht, hilft es euch, den Tunichtgut vorzeitig zu entdecken. In keinem anderen Spiel sind Raben und Enten für so viele Spielertode verantwortlich.

Die Hunde im roten Käfig machen gehörig Krach, wenn sie uns erwischen. Fackeln wir sie ab, halten sie die Schnauze. Die Hunde im roten Käfig machen gehörig Krach, wenn sie uns erwischen. Fackeln wir sie ab, halten sie die Schnauze.

Manche Geräusche in Hunt führen euch aber auch in die Irre. Der eingangs erwähnte Regen überdeckt mit seinem Rauschen Schritte und sorgt regelmäßig dafür, dass Raben in der Nähe aufschrecken. Hier spielt Crytek gekonnt mit den antrainierten Mustern der Hunt-Veteranen - denn die lassen sich davon aus der Fassung bringen. 

Um zu gewinnen, müsst ihr taktisch mit Sound arbeiten: Hinhören, leise sein, und in den richtigen Momenten rennen oder nachladen. Wer es schafft, den Sound von Hunt zu meistern, kann Gegner durch Wände wegpusten, ohne sie zu sehen. Glaubt ihr nicht? Shooter-Profi Fabian Siegismund macht’s euch in diesem Guide vor.

Krach könnt ihr natürlich auch ganz bewusst gegen eure Feinde einsetzen. Mit Ködern oder ein paar Schüssen hier und da könnt ihr Kämpfe vortäuschen, um Gegner zu verwirren oder zum Angriff zu verleiten. Solche Funktionen sind sonst eher aus Schleichspielen bekannt, wo Gegner nicht nur Augen, sondern auch Ohren haben. Doch auch da endet die Komplexität dieser Mechanik meist beim berühmten Flaschenwurf, der einen Gegner um die nächste Ecke lockt.

Was können andere Studios von Crytek lernen?

Diesen hohen taktischen Wert von Geräuschen, die wahre Meisterschaft beim Sounddesign, diese Dinge könnten sich meiner Meinung nach auch andere Shooter bei Hunt abgucken. Denn es geht bei Shootern eben nicht nur immer um bombastische Grafik, sondern auch um Klang. Auch wenn viele andere Spiele einen beeindruckenden Sound haben, dann spielt er trotzdem selten so eine essenzielle Rolle wie in Hunt!

Stellt euch doch nur mal vor, wie viel spielerische Tiefe beispielsweise ein Far Cry gewinnen könnte, wenn ihr nicht einfach nur hört, dass da halt ein Gegner schießt, sondern auch noch dessen Waffe allein am Schussgeräusch identifizieren könnt.

Soll ich schleichen... Manchmal ist es klug, Gegner vorüberziehen zu lassen: Im hohen Gras und unter Brücken könnt ihr euch verstecken.

oder schießen? Der Kollege da hinten hat euch noch nicht gehört. Mit der Armbrust könnt ihr ihn (fast) lautlos kaltmachen.

In Hunt könnt ihr zusätzlich auch noch genau heraushören, wie weit die Ballerei entfernt ist und ob sich mein Gegner sich drinnen oder draußen verkrochen hat. Hat der Fiesling eine Shotgun im Gepäck, dann ist der Nahkampf vielleicht nicht gerade eure beste Option.

Das Ganze könnte natürlich auch umgekehrt laufen: Bisher schlagen Feinde in vielen Shootern erst Alarm, wenn sie uns in ihrem Sichtfeld haben. Wenn KI-Gegner nun auch auf unsere Schritte achten würden, dann wäre gleich viel mehr Realismus mit im Spiel. Das erste Thief leistete hier schon 1998 Pionierarbeit, wenn Bodenfliesen lautere Trittgeräusche verursachen als moosiger Untergrund.

Hunt verzichtet zudem fast vollständig auf HUD-Anzeigen. Ihr müsst also eure Ohren benutzen, um Gefahren einzuschätzen und darauf zu reagieren. Klar ist das anfangs herausfordernd - es macht aber unglaublich viel Laune. Es gibt nicht ohne Grund Leute, die bei Ghost Recon die Interface-Hilfen ausschalten. Ein geübtes Gehör kann altgediente Features wie eine Detektiv-Sicht in Spielen schlicht ersetzen. Und genau deswegen würde ich mir diese taktische Nutzung von Sound in viel mehr Shootern wünschen.

Von der Liebe zum Detail

Hunt: Showdown geht beim Sounddesign mit unglaublich viel Liebe zum Detail zu Werke. Mal plätschert Regen sanft vor sich hin, mal prasselt er ohrenbetäubend auf euch herab. Jede Oberfläche klingt unterschiedlich unter euren Stiefeln; Scherben knirschen unangenehm, Blech ist dröhnend laut, eine Wiese dagegen flüsterleise.  

Dass das alles so unglaublich realistisch klingt, liegt auch an der besonderen Art der Audio-Abmischung von Hunt. Das Spiel setzt auf sogenanntes binaurales Audio.

Alle Geräusche werden dazu mit zwei Mikrofonen in Stereo aufgenommen, um einen perfekten 3D-Effekt zu erzeugen. Damit steht Hunt bis heute allein auf dem Shootermarkt, obwohl das Spiel schon fünf Jahre alt ist. Ich würde mir mehr Entwickler wünschen, die bei solchen Innovationen nachziehen. Denn genau durch solche Elemente wird ein Shooter richtig gut.

Was ich damit sagen will: Es lohnt sich, mehr Fokus auf den Klang eines Shooters zu legen. Denn ein guter Sound ist nicht nur fürs Ohr ein Genuss, er kann auch echte taktische Tiefe ins Spiel bringen. 

Leider finden Innovationen bei Shootern seit Jahren bestenfalls im Match-Design statt. Aber gerade der Sound wäre ein inhaltlicher Weg, auch für Singleplayer-Shooter, um eine neue Art von Atmosphäre-Shootern zu schaffen. Hunt hat schließlich keinen Singleplayer. Wenn sich jetzt andere Entwickler von Cryteks Arbeitsaufwand ein Stück abschneiden würden, dann hätte das Shooter-Genre als Ganzes an Qualität gewonnen. Denn beim Sound liegt noch massig Potenzial begraben.

zu den Kommentaren (54)

Kommentare(50)
Kommentar-Regeln von GameStar
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.