Der auf den Game Awards gezeigte Trailer zu Last Sentinel ist vor allem eines - stylisch. Blitze zischen an roten Neontafeln vorbei und erhellen in vom Regen gepeitschtes, in die Jahre gekommenes Tokio. Eine düstere Zukunftsvision, in der ein Roboter so selbstverständlich an einem bewaffneten Sondereinsatz-Kommando vorbeistapft als ginge der Nachbar am Morgen zum Brötchen holen.
Menschenechte Androidendamen (Detroit: Become Human lässt grüßen!) tun ihr Bestes, um eine Gruppe Kinder vor dem unliebsamen Eindringling zu schützen. Doch während sie zum Scheitern verdammt scheinen, übt der »Demon« gnadenlose Gerechtigkeit. Mit sonst fast nur für Anime reservierter Coolness wirft Heldin Hiromi Shoda sich von ihrem Motorrad, küsst jeden Polizisten mit einer Kugel auf die Stirn und rettet die hilflosen Zivilisten.
Das klingt nach reichlich Action und dem für Cyberpunk typischen Kampf gegen ein ungerechtes Regime - allerdings versprechen die Entwickler für ihr Open-World-Spiel auch aktuell brennende Themen wie den Klimawandel. Eine große Chance, die Last Sentinel für mich auf keinen Fall ignorieren darf.
Grafik-Kracher mit großer Chance
Last Sentinel ist das ambitionierte Erstlingswerk eines neuen Studios. Bei Lightspeed LA (Ein Ableger von Lightspeed Studios) scharen sich Triple-A-Veteranen zusammen, die vorher an GTA, Red Dead Redemption, The Last of Us oder auch Star Wars Jedi: Fallen Order gearbeitet haben.
Das klingt nach großen Namen und großen Plänen: Es soll ein Open-World-Actionspiel in der Unreal Engine 5 mit Story-Fokus werden, das in einem dystopischen Tokio spielt. Und grafisch ziemlich schick noch dazu, wie der erste Trailer zumindest hoffen lässt:
Studio-Chef Steve C. Martin war vorher bei Rockstar und verspricht bei den Game Awards vor allem eine fesselnde Story-Erfahrung mit offener Spielwelt. Hier muss sich der Titel natürlich mit Platzhirsch Cyberpunk 2077 messen, das bereits eindrucksvoll bewiesen hat, wie viele gute Geschichten im düsteren Zukunftsszenario stecken können.
Aber mich lässt ein ganz anderes Statement hellhörig werden. Last Sentinel soll wirklich in unserer Welt spielen und ein futuristisches Tokio abbilden, das dem Klimawandel zum Opfer gefallen ist. Der Meeresspiegel ist soweit angestiegen, das große Teile der Weltstadt im Wasser versinken würden - nur ein großer Schutzwall hält sie davon ab. Die sichere Oberstadt ist wie immer den Reichen und Schönen vorbehalten.
Hier wird Last Sentinel erst so richtig spannend für mich. Denn die Entwickler haben so die Chance, die Themen in den Mittelpunkt zu rücken, die uns jetzt oder in den nächsten Jahren maßgeblich beschäftigen werden.
Vom Meeresspiegel zu AI Art
Auch wenn Last Sentinel ein fiktives Werk wird - seine Spielwelt ist es nicht. Wir befinden uns in Tokio und nicht in Night City oder auf irgendeiner namenlosen, fremden Erde. Die Entwickler können das gezielt nutzen und zeigen, wie unsere Städte aussehen könnten, nachdem der Meeresspiegel unaufhaltsam angestiegen ist oder nachdem sich unser Planet sich um mehrere Grad erwärmt hat. Wo leben wir nun? Wie leben wir? Woher kommt unser Essen? Wie sieht es mit unseren Jobs, Armut und Reichtum, unserer Zukunft aus?
Cyberpunk ist so viel mehr als Hacking, fliegende Autos oder Laserwaffen. Nehmen wir zum Beispiel die künstliche Intelligenz, die schon jetzt in aller Munde ist. Humanoide Roboter, die vielleicht sogar ein Bewusstsein entwicklen, sind ein beliebtes Thema. Und auch in Last Sentinel scheinen sie dem Trailer nach eine Rolle zu spielen.
Aber auch wie KI unser aller Leben beeinflusst, wird in der Zukunft entscheidend werden. Manche Arbeit wird durch KI erleichtert, andere erschwert, manche vielleicht sogar überflüssig. Als Illustratorin sehe ich mich zum Beispiel schon jetzt mit KI-Kunst konfrontiert. Weil alles noch so neu ist, fehlen oft klare Regeln und ethische Richtlinien.
Künstler beklagen unrechtmäßig gestohlene und neu verwurstete Werke, KI-Enthusiasten wollen mit der Technik kreativ werden und Arbeitsprozesse erleichtern, große Firmen wie Riot Games sehen sich plötzlich mit Plagiatsvorwürfen aufgrund von heimlich eingereichter KI-Art konfrontiert und andere Künstler müssen auf einmal Arbeitsschritte vorlegen, um zu beweisen, dass keine Maschine die Finger im Spiel hatte. Ein Cyberpunk-Spiel kann all diese Facetten im Großen und Kleinen aufzeigen und behandeln.
Düster und voller Hoffnung
Ich wünsche mir von Last Sentinel coole Cyberpunk-Action und tiefschürfendes Storytelling, wie es mich schon bei Cyberpunk 2077 begeistert hat. Aber gleichzeitig hoffe ich auch, dass die Entwickler Mut beweisen und nicht vor aktuellen Themen zurückschrecken.
Cyberpunk ist ein unglaublich wichtiges und mächtiges Genre, weil es der Gesellschaft den Spiegel vorhalten kann. Es nimmt das, was da ist und spinnt die Fäden ein kleines bisschen weiter. Was passiert, wenn alles so bleibt, wie es jetzt ist? Wo landen wir so in fünf, zehn oder 50 Jahren?
Es geht nicht um Raumschiffe und ferne Zivilisationen wie bei anderer Science Fiction, sondern um unseren Alltag, um das, was uns alle, jeden Menschen dann tagtäglich betreffen und bewegen wird. Natürlich gibt es trotzdem die großen Verschwörungen, die Super-Hacker und Megakonzerne, die ihre eigenen Kriege dazwischen ausfechten. Das Fenster, über das wir in die dystopische Zukunft blicken, offenbart selten viel über die düstersten und hoffnungslosesten Ecken hinaus.
Auch dann wird nicht immer alles schlecht und verloren sein - genau wie jetzt auch nicht. Aber Spiele, Serien, Bücher und Filme können großartig darin sein, uns die Schattenseiten vor Augen zu führen. Und uns so daran erinnern, dass wir manchmal dafür arbeiten müssen, die guten Dinge zu sehen oder sie aktiv zu bewirken.
Deshalb wird Last Sentinel so für mich auch kein düsteres, hoffnungsloses Spiel, sondern eines, das uns beim Spielen genau die richtigen Fragen stellt und den Wunsch in uns weckt, die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen.
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Freut ihr euch auf Last Sentinel oder steht ihr dem Cyberpunk-Projekt noch skeptisch gegenüber? Was war euer persönliches Highlight der Game Awards 2023 und warum? Schreibt es mir in die Kommentare!
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