Noch vor wenigen Jahren gilt Rundenstrategie als praktisch tot. Von einer Handvoll größerer Studios wie Firaxis (Civilization) abgesehen, halten nur noch Indie-Entwickler dem Zug-um-Zug-Prinzip die Treue. Dabei gehören die Denkspiele zu den ältesten Genres überhaupt. Sie entstehen bereits in den 70er Jahren zunächst als Umsetzungen bekannter Brettspiele wie Risiko oder obskurer »Wargames«, die mit fingerdicken Handbüchern und Hunderten Pappmarken oder Zinnfiguren historische Gefechte nachstellen. hre Glanzzeit feiern die Kriegsspiele, die meist auf Schlachtfeldern aus Quadraten oder Waben (Hexfelder) ausgetragen werden, in den 80er und den frühen 90ern. Namen wie SSI (Panzer General), Sirtech (Jagged Alliance), Blue Byte (Battle Isle), Microprose (Master of Orion) oder New World Computing (Heroes of Might & Magic) lassen die Augen von Genre-Veteranen noch heute leuchten.
Der Niedergang deutet sich 1992 mit Dune 2 von den Westwood Studios an, 1995 dann verhilft Westwood mit dem legendären Command & Conquer dem neuen Strategiespielstil endgültig zum Durchbruch: Plötzlich begeistert sich alle Welt für Echtzeitscharmützel, Basenbau und Ressourcenabbau. Der Echtzeitablauf erscheint als logische Evolution des Rundenprinzips: mehr Action, keine Pausen, spannendere Multiplayer-Duelle. Immer neue Innovationen erweitern und verfeinern das Genre: komfortable Steuerung, zeitgemäße 3D-Grafik, Rollenspielanleihen, abwechslungsreiche Missionen, cineastische Inszenierung. Dazu kommen Ableger für jeden Geschmack. Taktiker spielen Sudden Strike oder Codename: Panzers, für Fantasy-und Sci-Fi-Fans gibt es Warcraft oder Dawn of War, Empire Earth bringt Forschung à la Civilization ins Spiel.
Die seit Jahren praktisch unveränderte Rundenkonkurrenz sieht im Vergleich ganz schön alt aus. Schnell verschwinden Hexfelder und Schachbretter in der Nische. Inzwischen hat sich die Situation gedreht. Allein die Titanen StarCraft und Command & Conquer halten noch die Echtzeitfahne hoch - zumindest für Solo-Generäle. Andere Entwickler haben sich entweder auf das Multiplayer-Geschäft verlegt oder ganz zurückgezogen. Die Runden-Rivalen erleben dagegen ihren zweiten Frühling. Erstmals seit Ewigkeiten widmen sich wieder größere Studios dem Thema und landen Verkaufs-Hits, wovon auch die Indieszene profitiert. Woher kommt dieser plötzliche Umschwung? Wir befragen Entwickler und analysieren die Lage.
Wer das Revival der Runden-Strategie aufarbeitet, findet keine Initialzündung in Form eines Mega-Hits analog zum Echtzeit-Boom nach Command & Conquer. Vielmehr befeuert eine ganze Reihe von Titeln die Wiedergeburt. Einen der ersten Achtungserfolge in der Flaute landet 2008 King's Bounty: The Legend, das mit seinem Mix aus Rollenspiel-Quests und Hexfeld-Schlachten begeistert. In den Verkaufs-Top-Ten des Jahres taucht der Titel zwar nicht auf, die bestehen allerdings auch hauptsächlich aus Addons für Sims 2 und World of Warcraft. King's Bounty findet immerhin genug Käufer, dass uns die russischen Macher seither beinahe im Jahrestakt mit Erweiterungen und Fortsetzungen beglücken und wohl auch Ubisoft dazu animieren, 2011 das verwandte Heroes of Might & Magic wieder aufleben zu lassen.
2010 kehrt mit Civilization 5 ein weiterer alter Bekannter zurück. Mit über einer Million verkaufter Exemplare kann das Epos zwar die Rekorde der Vorgänger nicht ganz erreichen, trotzdem ist Produzent Dennis Shirk von Firaxis zufrieden: »Die Civilization-Reihe hat eine der treusten Fan-Gemeinden überhaupt. Wir sind froh, dass wir so viele Veteranen für die Fortsetzung begeistern können. Fast noch mehr freut uns allerdings, dass sich so viele jüngere Spieler bei uns melden, für die Civilization 5 das erste der Serie ist.«
Auch bei Firaxis' letztjähriger Neuauflage von XCOM: Enemy Unknown ist der Anteil an Genre-Neulingen überraschend hoch. Genau wie die Absatzzahlen: knapp 800.000 Stück, nach Schätzungen von VGChartz. »Ohne die vielen Einsteiger wäre dieser Durchbruch nicht möglich«, glaubt Shirk. Dabei zweifelt der Publisher Take 2 im Vorfeld noch: »Strategiespiele sind einfach nicht mehr zeitgemäß«, begründet Take-2-Boss Christoph Hartmann seinerzeit die Entscheidung für einen Shooter im XCOM-Universum.
Es bleibt abzuwarten, ob das in diesem Jahr erscheinende Spinoff The Bureau: XCOM Declassified den Erfolg des »unzeitgemäßen« Taktik-Cousins toppen kann. Zwischenzeitlich siedelte Take 2 den im Jahr 1962 im FBI-Milieu spielenden Shooter bewusst außerhalb der XCOM-Welt an. Nach dem anscheinend unerwarteten Erfolg des XCOM-Rundenstrategiespiels soll The Bureau nun doch eine Prolog-Funktion im XCOM-Universum übernehmen - die FBI-Agenten bekämpfen die gleichen Sektoiden und Mutonen wie die XCOM-Soldaten in Enemy Unknown.
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