Wer ist schuld am Launch von Cyberpunk 2077? Wir ordnen die neuen Vorwürfe ein

Cyberpunk 2077 erschien mit vielen Fehlern, vor allem auf Konsolen. Laut angeblichen Insiderinformationen lag ein Teil des Problems bei externen QA-Agenturen.

Cyberpunk 2077 ist bis heute ein zweischneidiges Schwert. Während die einen ein großartiges Open-World-RPG sehen, das mit dem letzten großen Update sogar noch besser wurde, müssen vor allem Konsolenspieler an einen verkorksten und fehlergeplagten Release denken. Die Gründe für den anfänglichen Misserfolg Cyberpunks wurden wiederholt diskutiert, unter anderem in unserem Experten-Podcast über CD Projekt.

Nun gibt ein YouTuber an, einen weiteren möglichen Grund für den technischen Zustand des Spiels zu kennen. So habe auch die mangelhafte Arbeit einer Qualitätssicherungs-Agentur dazu beigetragen, dass Cyberpunk 2077 mit technischen Problemen veröffentlicht wurde. Wir fassen die wichtigsten Vorwürfe zusammen und ordnen sie ein.

Spiele wie Cyberpunk und Battlefield 2042 erhalten wegen ihres technischen Zustands oft massig negative Steam-Bewertungen. Ob diese tatsächlich einen Einfluss auf dessen Erfolg haben, erklären Experten in unserem Plus-Report:

Ein Video sorgt für Aufsehen

Am 25. Juni 2022 wurde von dem YouTube-Kanal Upper Echelon Gamers ein Video veröffentlicht, in dem der Inhaber des Kanals angibt, mit einem Whistleblower von der Qualitätssicherungs-Agentur Quantic Lab gesprochen zu haben. Dieser habe die unlautere Arbeitspraxis seines Unternehmens bei der Zusammenarbeit mit CD Project beschrieben und glaubhafte Beweise dafür vorlegen können. Das Video könnt ihr euch hier ansehen:

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Quantic Lab arbeitete als externer QA-Tester (QA = Quality Assurance, also Qualitätssicherung) bei der Entwicklung von Cyberpunk 2077 mit. CD Projekt Red beauftragte das Unternehmen also, das Spiel zu testen und Fehler zu finden, die dann vom Entwickler behoben werden sollten. Die Vorwürfe gegen Quantic Lab lesen sich im Kern wie folgt:

  • Den Entwicklern von Cyberpunk versprach man, dass ein Team erfahrener Tester an ihrem Spiel arbeiten würde. Tatsächlich wurden aber vor allem Mitarbeiter beauftragt, die ein Jahr oder weniger Arbeitserfahrung hatten. Bei CD Projekt sei man sich dieser Täuschung nicht bewusst gewesen.
  • Das Unternehmen habe seinen Angestellten eine tägliche Bug-Quote von bis zu zehn Fehlern pro Mitarbeiter vorgeschrieben. Angestellte mussten also teilweise mindestens zehn Bugs an CD Projekt melden. Das führte dazu, dass vor allem kleinere Fehler gemeldet wurden, während gravierende Bugs außen vor blieben.
  • Schließlich habe man das Team von 30 auf 60 QA-Tester erhöht, um produktiver zu sein. Da es aber Quantic Lab ohnehin schon an Mitarbeitern mangelte, wurden zu diesem Zweck meist vollkommen unerfahrene Tester eingestellt. Da diese jedoch zuerst eingearbeitet werden mussten, war das Team am Ende weniger produktiv als zuvor.
  • Während der Entwicklung von Cyberpunk 2077 soll Quantic Lab außerdem falsche Angaben über die Größe ihrer QA-Teams gegenüber anderen Vertragspartnern gemacht haben. Wohl aus Mitarbeitermangel hätten also weniger Tester an Spielen gearbeitet, als vertraglich vereinbart. Cyberpunk selbst war von dieser Täuschung allerdings nicht betroffen.

Die mangelhafte Arbeit der Qualitätssicherung sei eines der größten Probleme bei der Entwicklung von Cyberpunk 2077 gewesen, aber laut Einschätzung des YouTubers zweifellos nicht das Einzige. Quantic Lab hätte daher nur zum mangelhaften Release beigetragen und diesen nicht allein verursacht.

AAA-Titel sollen die besten Spiele sein, überzeugen aber dennoch nicht immer mit ihrer Qualität. Welche Micha, Heiko und Fabiano an die größten Produktionen haben, diskutieren sie im Podcast:

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Was sagen Quantic Lab und CD Projekt?

Quantic Lab hat gegenüber der Website Forbes inzwischen auf die Berichterstattung über das Video mit einer offiziellen Stellungnahme reagiert. So schreibt CEO Stefan Seicarescu:

Betreffend den Artikel, publiziert bei Forbes am 26. Juni, würde Quantic Lab gerne folgendes klarstellen:

Das in sozialen Medien veröffentlichte Video, das in ihrem Artikel erwähnt wird, beginnt mit falschen Aussagen über die Geschichte von Quantic Lab. Es scheint an Verständnis dafür zu mangeln, wie ein Spiel getestet wird, bevor es für den Markt veröffentlicht wird.

[...] Quantic Lab unterstützt im Jahr über 200 Projekte von diversen international führenden Publishern und verfolgt weiterhin einen Ansatz, bei dem Qualität bei jeder Arbeit an erster Stelle steht.

Alle unsere Kundenverträge sind vertraulich, aber für gewöhnlich arbeiten internationale Publisher mit mehreren externen QA-Unternehmen zusammen und sind nicht von einer einzigen abhängig. Zusätzlich gibt es in den meisten Fällen interne QA-Mitarbeiter. Die Richtung des Projekts wird in Rücksprache mit unseren Kunden vereinbart und und nach Echtzeit-Voraussetzungen angepasst.

Quantic Lab strebt bei der Zusammenarbeit mit Kunden immer nach Transparenz und Integrität.

Quantic Lab kritisiert in seiner Stellungnahme also vor allem angebliche Recherchefehler des Videos sowie eine Überschätzung der Bedeutung ihrer Arbeit für Cyberpunk 2077. Die Kernvorwürfe werden aber nicht direkt bestritten. Ähnliche Kritik war auch von dem Betreiber des YouTube-Kanals LegacyKillerHD zu hören. Auf Twitter gibt er an, mit Mitarbeitern von CD Projekt Red gesprochen zu haben, die an Cyberpunk gearbeitet haben:

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Diese hätten den Behauptungen von Upper Echelon allesamt widersprochen. Quantic Lab's Rolle sei viel geringer gewesen als von ihm angenommen. Zudem wären wichtige Aspekte des Spiels intern getestet worden: Dass kritische Bugs wegen der Vielzahl von kleineren Fehlern untergegangen wären, sei also nicht der Fall gewesen. Bei CD Projekt Red sei man sich über den Zustand des Spiels immer im Klaren gewesen, die überarbeiteten Entwickler waren schlicht überfordert.

Selbstverständlich haben wir zu der Beantwortung dieser Fragen auch CD Projekt Red selbst um eine Stellungnahme gebeten. Bisher haben wir aber eine solche nicht erhalten. Wenn wir eine offizielle Aussage der Entwickler von Cyberpunk vorliegen haben, werden wir sie in diesem Artikel ergänzen.

Arbeitsbedingungen in der Qualitätssicherung

Für Upper Echelon Games war die Auseinandersetzung mit der Reaktion von Quantic Lab allerdings noch nicht vorbei. In einem weiteren Video prangert er die angeblich unerträglichen Arbeitsbedingungen bei Quantic Lab und anderen QA-Agenturen an, die den Vorwürfen aus unserem Crunch-Report über die Arbeitszustände bei Outsourcing-Studios ähneln.

Laut eigenen Aussagen hat Upper Echelon Games mit mehreren Angestellten und ehemaligen Mitarbeitern von Quantic Lab und anderen QA-Agenturen gesprochen. Zudem zitiert er Berichte rumänischer News-Websiten (Quantic Lab stammt aus Rumänien), die ebenfalls über das Thema schreiben. Das Video seht ihr hier:

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Upper Echelon Gamers erneuert und erweitert hier seine Vorwürfe gegen Quantic Lab. Die wichtigsten Aussagen des Videos fassen wir euch auch hier nocheinmal zusammen:

  • Quantic Lab habe ein internes Kommunikations-System integriert, in dem alle Unterhaltungen vollständig überwacht wurden. Ein Angestellter, der dagegen protestierte, wurde zur Kündigung gezwungen.
  • Angestellte zur Kündigung zu zwingen, soll eine gängige Praxis sein, die offenbar gegen rumänische Arbeitnehmerrechte verstößt. So versuche man, gutbezahlte, erfahrene Mitarbeiter durch billigere Berufseinsteiger zu ersetzen.
  • Quantic Lab soll außerdem Geld von Angestellten zurückverlangt haben, das diese als Bonus für Überstunden erhalten hatten.
  • Eine andere Quelle berichte, dass sie im Auftrag der Unternehmensführung Kunden über die Größe ihres QA-Teams belügen sollte. Oft sei nur ein Drittel der angegebenen Tester verfügbar gewesen.
  • Außerdem sollen Vertragspartner bei Lokalisierungen (Übersetzungen und Anpassungen eines Spiels für eine bestimmte Region) über die Fähigkeiten des Teams getäuscht worden sein. So wurde angegeben, dass man über jeweilige Muttersprachler verfüge, was aber nicht der Fall war. Stattdessen wurde die Arbeit - und so auch vertrauliche Spiel-Inhalte - wiederum an ein anderes Unternehmen weitergegeben.
  • Angeblich ging man bei Quantic Lab nach dem Prinzip Quantität vor Qualität vor. Die Entdeckung gravierender Bugs wurde angeblich als Zeitverschwendung angesehen. Angestellte sollten dem Bericht zufolge stattdessen eher viele kleine Bugs entdecken.
  • Allgemein soll es das Arbeitsumfeld toxisch und sexistisch sein.
  • Der CEO von Quantic Lab habe einen Account bei uTest eröffnet, bei dem man durch das Testen von Anwendungen Geld verdienen kann. Er habe dann eine ganze Abteilung angewiesen, mit diesem Account zu arbeiten, und so selbst Geld damit verdient.

Auch in anderen QA-Agenturen seien ähnliche Probleme vorhanden, auch wenn Quantic Lab ein gravierenderes Beispiel sei. Upper Echelon Gamers gibt an, mit Angestellten verschiedener Unternehmen gesprochen zu haben, die von ähnlichen Arbeitsbedingungen berichten.

Auch an den Arbeitsbedingungen innerhalb von Entwicklerstudios gibt es immer wieder Kritik. Warum es überhaupt zu Crunch kommt, diskutieren deutsche Spieleentwicklern im Video:

Wieso kommt es immer wieder zu Crunch? - Deutsche Entwickler über den Stress in der Endphase Video starten PLUS 22:28 Wieso kommt es immer wieder zu Crunch? - Deutsche Entwickler über den Stress in der Endphase

Wie glaubhaft sind die Vorwürfe?

Upper Echelon Gamers berichtet immer wieder über Themen der Gaming-Industrie und allgemeine gesellschaftliche Konflikte. Titel und Aufmachung seiner Videos sind dabei oft reißerisch und darauf ausgelegt, Empörung und Aufsehen zu verursachen. Es ist möglich, dass in seinen Videos dargestellte Fakten verzerrt oder übertrieben werden, wie auch die Kritiker seines ersten Cyberpunk-Videos anmerken.

Die Aussage des unbekannten Whistleblowers lässt sich von unserer Seite aus nicht auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Die aus der Veröffentlichung resultierenden Reaktionen sprechen jedoch für einen wahren Kern der Vorwürfe gegen Quantic Lab. So widerspricht selbst die offizielle Antwort des Unternehmens nicht ausdrücklich seinen Behauptungen.

Auch wenn es wahrscheinlich ist, dass die Arbeit von Quantic Lab einen viel geringeren Einfluss auf den Release Cyberpunks hatte als von Upper Echelon Gamers angenommen, so sind die Vorwürfe gegen die Arbeitskultur bei Quantic Lab durchaus ernstzunehmen. Inzwischen berichten auch von dem YouTuber zitierte rumänische Websiten und Vice über Probleme bei Quantic Lab. Welche Vorwürfe im Einzelnen zutreffen, lässt sich aktuell jedoch nicht verifizieren.

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