Was Age of Empires gerade liefert, hat es so noch nie gegeben

Age of Empires 4 ist bloß die imposante Spitze eines AoE-Eisberges, den Microsoft seit Jahren vorbereitet. Unsere Analyse.

Microsoft ist der große Gewinner 2021. Zumindest im Hinblick auf die großen Publisher lässt sich das schon jetzt einwandfrei behaupten. Keine Sexismus- und Belästigungsskandale wie bei Activision, kein Auf-der-Stelle-Treten wie Ubisoft mit Far Cry 6 oder all den lahmen Free2Play-Ankündigungen. Und wo Rockstar, EA, Konami und Co. mit ihren großen neuen Releases härter abrauchen als die neunte Staffel Scrubs, kloppt Microsoft ein hervorragendes Spiel nach dem anderen auf den Markt.

Forza Horizon 5 heimst im GameStar-Test den Platin-Award ein, erreicht innerhalb weniger Tage ein Millionenpublikum, Halo: Infinite stürmt die Steam Charts mit einer fantastischen Multiplayer-Erfahrung. Und ja, The Ascent litt unter Technik-Schluckauf, aber dafür thront über all diesen Microsoft-Errungenschaften die größte von allen: Age of Empires 4. Eines der größten Strategiemeisterwerke aller Zeiten setzt man nicht mal so nebenbei fort - Entwickler Relic stemmt hier quasi zwölf Herkulesaufgaben gleichzeitig, ohne irgendeinen Augiasstall zu hinterlassen.

Aber mir geht's heute gar nicht drum, wieso Age of Empires 4 so viel Spaß macht. Dafür könnt ihr in den GameStar-Test schauen beziehungsweise auf die Augenringe der Kollegen Fabiano und Maurice, die seit Wochen jede Nacht zocken, statt zu schlummern. Nein, wir reden heute mal über das große Ganze. Über Microsofts - und ich sage das nicht leichtfertig - geniale Strategie hinter dem, was sie gerade mit Age of Empires tun.

Rettet Age of Empires 4 das Genre? Die Echtzeitstrategie ist über die Jahrzehnte aus der Mode gekommen, verdrängt von anderen Genres, zusammengeschrumpft auf loyale Nischen, in denen beispielsweise Company of Heroes seit Jahren am Leben gehalten wird. Doch kann Age 4 die Wende bringen? Darüber diskutieren unsere Strategie-Experten Maurice und Micha mit Jörg Langer im großen Podcast zur Rettung der Echtzeitstrategie.

Gut Ding will Weile haben

Microsoft mag keine Rush-Strategie. Statt im dunklen Zeitalter so schnell wie möglich die Schlachtrösser auf die Straße zu bringen und den Feind zu überrumpeln, spielt der Publisher den Indirect Approach. Okay, genug Pseudo-Age-Gefasel - Maurice rollt schon mit den Augen, weil ich keine Ahnung habe. Aber worauf ich hinaus will: Microsoft denkt größer, langfristiger, systematischer als die Konkurrenz. Statt bloß einen Spiele-Release nach dem anderen durch die Pipeline zu pumpen, steckt hinter allen Veröffentlichungen ein größeres Muster.

Der Riesenerfolg von Age of Empires 4 hat sehr gute Gründe Video starten 22:42 Der Riesenerfolg von Age of Empires 4 hat sehr gute Gründe

Der Game Pass ist hier natürlich der wichtigste Faktor. Spiele rentieren sich nicht länger bloß über Verkäufe, sondern auch über Kundenakquise: Motivieren sie Leute zum Abo? Der Game Pass dürfte selbst von Battlefields problematischem Launch profitieren, weil die Leute Battlefield 2042 künftig eher als Teil von Microsofts 15-Euro-Abo ausprobieren werden, statt EAs Shooter-Baustelle direkt die 70 Euro in den Schlund zu werfen.

Dieses System baut Microsoft seit Jahren auf wie aus: Die Abozahlen steigen und steigen, mittlerweile gehören EA und Bethesda fest zum Katalog, Starfield erscheint nicht bei der Sony-Konkurrenz und ich bin mir sicher: Irgendwann lenkt auch Ubisoft ein und wir erleben Assassin's Creed im Game Pass.

Aber statt bloß Abozahlen zu maximieren, steckt hinter Age of Empires ein weiteres long game, ein Spiel der Markenpflege. Als die Definitive Edition von Age of Empires 1 Anfang 2018 auf den Markt kam, zuckten die meisten Leute mit den Achseln. Ja, es sieht hübscher aus, ja, Age 1 spielt sich immer noch wie Age 1, aber wo sind denn nun echte Infos zu Age 4?!

Drei Jahre später ist mir völlig klar, wieso Microsoft damals die ruhige Kugel schob und sich nicht verunsichern ließ. Denn auch dank Age of Empires 1: Definitive Edition ist die Age-Marke 2021 ein Community-Koloss.

Der Koloss von Microsoft

Microsofts Studios arbeiten aktuell an vier Age-of-Empires-Spielen gleichzeitig. So etwas habe ich noch bei keiner anderen Marke erlebt. Nachdem über Jahre jeder Serienteil als Remaster zurückgebracht wurde, verstauben die Neuauflagen nicht im Regal, sondern erhalten neue Inhalte. Nur ein paar Beispiele:

  • Age of Empires 1 hat noch im April 2021 ein neues Update bekommen, die Server werden jede Woche gewartet.
  • Age of Empires 2 bekam just im November 2021 ein riesiges Anniversary-Update mit zwei neuen Koop-Kampagnen, Matchmaking für KI-Partien, neuen Cheats, Balancing-Updates, Bugfixes und so weiter.
  • Für Age of Empires 3 steht bald der große Mexiko-DLC an, der dem Spiel eine komplett neue Fraktion beschert. Neben größeren Updates gibt's außerdem zeitlich befristete Ingame-Events wie zuletzt zu den African Royals.

Age of Empires 3 Definitive Edition: Neuer Mexico-DLC vorgestellt Video starten 4:26 Age of Empires 3 Definitive Edition: Neuer Mexico-DLC vorgestellt

  • Age of Empires 4 ist frisch erschienen, die größeren DLCs und Patches stehen noch an, aber natürlich wird das Spiel neue Völker und andere Erweiterungen bekommen.

Age of Empires lebt über vier unterschiedliche Spiele hinweg. Klar, Teil 1 hat erwartungsgemäß die mit Abstand kleinste Community (aktuell etwa 800 Leute gleichzeitig), dafür rocken Age 2 und 4 mit jeweils 16.000 beziehungsweise 25.000 gleichzeitig aktiven Feldherren und -herrinnen. Age of Empires 3 erreicht immerhin 3.000 gleichzeitig aktive Nutzer - allerdings beziehen sich alle Zahlen ausschließlich auf Steam. Die tatsächlichen Werte dürften merklich darüber liegen, weil viele Leute via Game Pass zocken.

Microsoft hat also nicht bloß die Mammutaufgabe bewältigt, ein Echtzeitstrategiespiel im Jahr 2021 wieder salonfähig zu machen, sondern diese Unternehmung gleich auf mehrere Spiele ausgeweitet. Und wie schafft man das?

Erfolgsgeheimnis 1: Verstehe die Fans

Hinter diesem Erfolgsrezept stecken einige wichtige Zutaten, die der Rest der Branche sich gerne abschauen kann. Die simpelste zuerst: Microsofts Age-Studios bauen keinen Mist. Sie entwickeln gute bis hervorragende Spiele - und gerade für Age of Empires 4 war das alles andere als selbstverständlich. Noch mit Dawn of War 3 scheiterte Relic daran, zu wenig auf die Fans gehört und zu viele trendige Neuerungen bemüht zu haben. Moba-Anleihen statt mehrerer Kampagnen, ein drastisch veränderter Multiplayer - die Kern-Spielerschaft nahm diesen Mix trotz vieler Gameplay-Stärken einfach nicht an.

Age of Empires 4 ist das genaue Gegenteil, ein Liebesbrief an die Stärken von früher, eine Wiedergeburt, die nicht bloß aufwärmt, sondern weiterentwickelt. Wo andere Publisher ihre Marken in moderne Trends pressen wie Teig durch die Spritztüte (siehe Ghost Recon Frontline), bedient Relic stattdessen ganz gezielt alte Age-Fans. Vielleicht bekommt Age of Empires 4 Seasons, vielleicht sogar zeitlich befristete Events mit exklusiven Belohnungen wie Age 3, aber erst muss das Fundament stimmen. Und dank der hervorragend vielseitigen Völker stimmt es sowas von.

Age of Empires 4 ist fantastisch - aber noch nicht die Rettung des RTS Video starten 32:07 Age of Empires 4 ist fantastisch - aber noch nicht die Rettung des RTS

Lustigerweise illustriert Microsoft gerade selbst ziemlich schön, wie es nicht geht. Halo Infinite ist ein herausragend guter Multiplayer-Shooter mit dem schlechtesten Battle Pass, den ich je erlebt habe. Aber gut, anderes Thema - reden wir lieber über die letzte Zutat von Microsofts Erfolgsrezept: die Technik.

Erfolgsgeheimnis 2: Die Technik

Wenn ich ein altes Spiel zurückbringe, dann ist das doch die Chance, den Klassiker nicht bloß zu restaurieren, sondern zu erweitern. Immer mehr Entwickler realisieren diese Idee - hervorragend! Nier Replicant spendierte Fans statt aufgehübschter Texturen ein komplett neues Ende, drastisch überarbeitetes Gameplay. Und auch die Age-Teams nehmen nicht einfach das Original und klatschen neue Farbe an die Außenwand, sondern erweitern den Code, die Kernerfahrung um neue Völker, Einheiten, Balancing-Entscheidungen und, und, und.

Die meisten Remaster sind bloß eine Wunderkerze. Ich spiele nochmal ein Ründchen Assassin's Creed 2 und denke mir "Ach, wie schön". Aber wie cool wäre bitte eine Neuauflage von Ezios erstem Ausflug, wenn es plötzlich Mailand als dritte große Stadt zu entdecken gäbe? Inklusive neuer Story? Genau dieses Potenzial schöpfen die Definitive Editions von Age of Empires aus. Und deshalb leben sie viel länger als jede Wunderkerze der Konkurrenz.

Wie Microsoft Age of Empires am Leben hält - das hat zuvor in dieser Breite noch nicht gegeben. Am ehesten noch in der Halo Master Chief Collection, ebenfalls von Microsoft, aber hier erhalten die Klassiker bloß sehr sparsam und im Multiplayer neue Inhalte. Wo Halos MCC erst über Jahre peu à peu Ecken und Kanten abfeilen musste, klicken die einzelnen Age-of-Empires-Teile butterweich ineinander. Microsoft zeigt meisterhaft, wie man eine Marke in ihrer Gesamtheit am Leben hält - und das darf sich gerne die gesamte Branche abschauen. Vor allem Rockstar.

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