Blizzards Overwatch ist ein klassisches Community-Wespennest. Manchmal kommt es uns vor wie das Mendelsche Gesetz des Internets: Wenn ein Spiel von vielen Menschen mit Begeisterung gespielt wird, sammeln sich äquivalent dazu negative Stimmen mit extrem abweisenden Haltungen.
Auf der einen Seite staubt das Spiel momentan einen Metascore von über 90 ab, die Spieler scheinen begeistert, und in den Amazon-Rezensionen feiern die Fans, dass endlich wieder ein Team-Shooter rauskommt, der sich auf gutes Gameplay konzentriert, statt den Spielern die Freischalt-Karotte vor die Nase zu halten. Ja, selbst die Porno-Industrie boomt dank Tracer und Widowmaker.
Auf der anderen Seite zerreißen viele User-Kritiken das Spiel in der Luft. 167 Leser-Kommentare haben sich allein unter unserem Ersteindruck gesammelt, in dem ich dem Spiel einen möglichen Platin-Award in Aussicht gestellt habe, die meisten davon negativ. Allerdings - und das ist wichtig - üben viele dieser Leser gut argumentierte Kritik am Spiel. Aber es gibt natürlich auch lautstarke, weniger konstruktive Beschwerden, wie man »so einen Mist überhaupt spielen kann«. Overwatch sei (so schreibt ein Leser) »ein langweiliges Spiel ohne Content, dem man niemals eine 90 geben darf. Da muss Activision GameStar wohl wieder die Kohle in die Tasche gesteckt haben.«
Bei den optionalen Lootboxen, die wir hier in der Redaktion für die Community geöffnet haben, »freut sich Activision Blizzard, dass jemand blöd genug ist, das wirklich zu bezahlen. Wie kann man sich über überteuerte Mikrotransaktionen in Spielen aufregen und denen dann das Geld freiwillig in den Rachen schieben. Ist die Redaktion wirklich so dämlich?« Und unser persönlicher »Favorit«: Ein Online-User, der mir mit der Abo-Kündigung droht, falls wir Overwatch eine zu hohe Wertung verpassen.
Meinungsdifferenzen sind normal bei Spielen - aber dass die Wertungsvorstellungen da draußen so weit auseinanderklaffen, ist selten. Es läuft auf die Shakespeare-Frage hinaus: 90, oder nicht 90? Also dann: Stürzen wir uns ins Wespennest und finden raus, welche Kritik berechtigt ist. Und welche nicht.
Keine Abwertung für Pay2Win: Overwatch bietet Spielern die Möglichkeit, für echtes Geld Lootboxen zu kaufen. Gemäß unserer Wertungsrichtlinien prüfen wir, ob es sich dabei um Pay2Win handelt. Dazu müssten die Lootboxen im Spiel zahlenden Spielern einen klaren spielmechanischen Vorteil gegenüber nicht-zahlenden Spielern verschaffen und damit die Spielbalance beeinflussen. Da es sich bei Overwatch allerdings um rein kosmetische Upgrades handelt (also Skins, Sprays und Sprüche), ist kein Kriterium für eine Abwertung gegeben. Die Wertung bleibt folglich unverändert.
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Zuerst: Die Kritik
In der Vermarktung von Overwatch hat Blizzard von Anfang an mit offenen Karten gespielt: Hier geht ein reiner Multiplayer-Team-Shooter an den Start, der sich auf klassische Tugenden verlässt. Das Herz des Spiels sind die eigentlichen Matches, der Fokus liegt auf einer funktionierenden Team-Balance und einem überzeugenden Treffer-Feedback.
Es gibt zwar ein match-übergreifendes Progressionssystem in Form von Levelaufstiegen, die helfen uns allerdings nur beim Freischalten von Lootboxen, in denen wiederum zufällige Ingame-Goodies stecken. Hier ein neues Spray-Tag, dort ein zusätzlicher Skin für die eigene Spielfigur - eine nette Dreingabe, damit man unabhängig von Sieg oder Niederliege ein Fortschrittsgefühl erhält. Wer sich Overwatch zulegt, sollte sich trotzdem darüber im Klaren sein: Dieses Spiel kauft man sich, weil man ein Bombenteam auf die Beine stellen und Gegnern mit Geschick und Strategie in den Hintern treten will.
Im Englischen gibt es den bildlichen Begriff »Bare Bones« für etwas, das aufs minimal Wesentliche reduziert wurde. Und genau das trifft bei den Spielmodi von Overwatch zu: Auch wenn es mit seinen 21 bunten Helden wie ein interaktiver Pixar-Film für die ganze Familie wirkt, richtet es sich im Kern an Perfektionisten, die ihre Fertigkeiten ans Limit treiben wollen. Diese Spieler sollten nicht nur den Enthusiasmus mitbringen, die Fähigkeiten, Vor- und Nachteile der ganzen Charaktere zu verinnerlichen, sondern auch immer und immer wieder die gleichen drei Match-Typen durchzuspielen.
Auf Weltreise mit Overwatch
Overwatch geht sozusagen eher in die Tiefe, statt in die Breite. Mal müssen wir einen Kontrollpunkt erobern, dann ein Fahrzeug sicher eskortieren und an anderer Stelle einen »Choke Point« verteidigen. Die Szenerie mag dabei wechseln - wir kämpfen in Griechenland, Hollywood, Gibraltar, England und acht anderen Schauplätzenrund um die Welt - aber im Kern erledigen wir immer die gleichen Aufgaben. Blizzard lockert das auf, indem einige Karten zwei Spielmodi vereinen und innerhalb eines Matchs wechseln. Beispielsweise müssen wir in King's Row erst einen Punkt erobern und dann eine Fracht durch die engen Gassen eskortieren.
Trotzdem - und da haben die Kritiker in den Kommentaren recht - wird die mangelnde Vielfalt in den Spielmodi und Rahmenbedingungen zu einem der größten Schwachpunkte von Overwatch. Zumal die drei Varianten im Vergleich zu anderen Team Shootern recht innovationslos bleiben und im Prinzip nichts bieten, was man nicht vorher schon mal irgendwo gespielt hat. Eine Solo-Kampagne gibt's auch nicht.
Klar, das wird bei einem Multiplayer-Spiel nicht zwangsläufig zum Kritikpunkt, aber angesichts der vielen Animationsfilme und Comics, die Blizzard vor Release veröffentlicht hat, wäre durchaus das Potenzial dagewesen, die fehlende Vielfalt durch Solo-Inhalte aufzupeppen. Und da bei Release sogar die Ranked Matches, also die Ranglistenspiele, als Feature fehlen (die sollen allerdings innerhalb eines Monats nachgereicht werden), mangelt es Overwatch gegenwärtig an der Langzeitmotivation.Zumindest, wenn man es mit Fremden spielt, statt sich ein eigenes Team zusammenzustellen.
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