Prime Gaming: Weshalb Amazons Abo-Attacke bewusst halbherzig ist

So wird Amazon im Kampf der Gaming-Abos für Heiko keinen Stich gewinnen. Aber wer Prime Gaming deshalb jetzt unterschätzt, könnte das noch bitter bereuen. Denn Zeit und Technik spielen für den Internetriesen.

Dass Shaq Fu: A Legend Reborn nur ein mittelgutes Verkaufsargument für Prime Gaming ist, weiß auch Amazon. Dass Shaq Fu: A Legend Reborn nur ein mittelgutes Verkaufsargument für Prime Gaming ist, weiß auch Amazon.

Ist das wirklich alles? Amazons (nur fast) neues Gaming-Angebot mag vieles sein, aber lässt die aktuelle Konkurrenz sicher nicht vor Angst erzittern. Microsofts Game Pass protzt mit dem Flight Simulator, Halo: Infinite und Age of Empires 4 … irgendwann. Origin Access Premier liefert FIFA, Star Wars und Battlefield. Und bei Uplay+ bekomme ich jedes Assassin's Creed, jedes Anno sowie alles, worauf sich irgendwie der Name Tom Clancy packen lässt.

Und was setzt Amazon beim Neustart von Prime Gaming dagegen? Shaq Fu: A Legend Reborn, na herzlichen Glückwunsch! Okay, im aktuellen Lineup der 23 PC-Titel finden sich auch ein paar durchaus spielenswerte Indie-Geheimtipps, aber eben keine wirklich schlagkräftigen Argumente für den Abschluss eines Prime-Abos.

Nein, mit Prime Gaming wird Amazon erstmal kaum Spielefans als Neukunden gewinnen. Es ist eher ein Zusatz-Service für diejenigen, die ohnehin schon ein Prime-Abo besitzen und nun ein paar Spiele und Ingame-Gegenstände on top bekommen, wofür bislang noch ein separates Twitch-Konto nötig war.

Trotzdem wirkt die Markteinführung von Amazons neuer Gaming-Abo-Marke erstaunlich halbherzig angesichts der prall gefüllten Kriegskasse. Gut möglich, dass Amazon hier zunächst Größeres vorhatte, denn sowohl die ursprünglich geplanten Releases von Crucible als auch New World hätten verdächtig nah am Launch von Prime Gaming gelegen. Aber der beste Plan nützt eben nichts, wenn die Ausführung dermaßen in die Hosen geht:

Trotzdem bin ich sicher: Amazon startet vollkommen bewusst nur mit halber Kraft in den Wettbewerb der Gaming-Abos. Aber wer Prime Gaming deshalb jetzt als »netten Versuch« abschreibt, übersieht Amazons großen Trumpf im Vergleich zu Microsoft, Sony, EA, Ubi und Co.

Der Autor

GameStar-Chefredakteur Heiko war eigentlich jahrelang Verfechter des haptischen Besitzes, bis er beim letzten Umzug vor zwei Regalwänden voller Bücher, CDs und Spielen stand und darüber nachdachte, wie viel davon zu reinen Staubfängern mutiert ist und was er wirklich mit in die neue Wohnung schleppen möchte. Zack, Mutation zum Abo-Junkie abgeschlossen. Inzwischen konsumiert er locker 90 Prozent seiner Medien rein digital, mit Ausnahme von besonders schicken Special Editions und Harcover-Büchern, weshalb er bis heute stolzer Besitzer der amerikanischen Original-Ausgabe von Baldur's Gate 2 ist.

Warum Amazon könnte, wenn es wirklich wollte

Sony hat von der PlayStation 4 bis heute weltweit rund 112 Millionen Exemplare verkauft, die Xbox One liegt bei knapp 50 Millionen. Durchaus beeindruckende Zahlen, aber ein Witz gegen die Marktdominanz von Amazon Prime, zumindest in den westlichen Absatzmärkten. Laut dem seriösen Marktforschungsinstitut CIRP (Consumer Intelligence Research Partners) lag Prime zum Ende des letzten Jahres allein in den USA bei 112 Millionen Abonnenten, das ist nahezu ein Drittel der Gesamtbevölkerung!

Natürlich sind das nicht alles gleich potenzielle Gaming-Interessenten, aber es zeigt, welchen enormen Vorsprung Amazon hier in Sachen Abokunden hat und welche gewaltigen Waffen sie ins Feld führen könnten, sobald die Zeit für den eigentlichen Großangriff gekommen ist.

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Wie schnell das geht, haben wir bereits bei Ebooks sowie Video- und Musik-Streaming gesehen. Der Kindle dominiert trotz seines geschlossenen Systems mit weitem Abstand den E-Reader-Markt, Prime Video ist mit 150 Millionen Abonnenten inzwischen fast auf Augenhöhe mit Marktführer Netflix (167 Millionen, Stand Januar 2020).

Und Prime Music Unlimited kommt mittlerweile auf ähnlich viele zahlende Kunden wie Apple Music (55 vs. 60 Millionen, Stand Januar 2020) und immerhin knapp die Hälfte von Marktführer Spotify (113 Millionen). Will sagen: Wenn Amazon einen Entertainment-Markt erobern möchte, dann haben sie sowohl die Kundenbasis als auch die finanziellen Mittel, um innerhalb kürzester Zeit zu einem relevanten - haha - Player zu werden.

Was Amazon noch aufhält

Aber was hält Amazon dann noch zurück? Meine Theorie: die Technik. Während sich Streaming sowohl im Video- als auch Musik-Bereich längst etabliert hat und als App selbst auf Konsolen am Start ist, bleibt die Lage im Gaming-Segment nach wie vor komplizierter, wie Google mit Stadia gerade erst schmerzhaft erfahren durfte.

Und anders als beim Kindle fehlt es Amazon im Gaming-Segment an einem konkurrenzfähigen Endgerät, mit dem sie dieses Problem umgehen könnten. Es hat schon seine Gründe, weshalb es vor ein paar Jahren unter Investoren Gerüchte gab, dass Amazon die Xbox-Sparte von Microsoft kaufen möchte.

All dies sind allerdings Probleme, die sich über kurz oder lang von allein lösen. Die steigenden Netz-Bandbreiten werden Spiele-Streaming für immer mehr Menschen zu einer relevanten Alternative machen, die Plattformen immer mehr zusammenwachsen und Abo-Services auf immer mehr Endgeräten verfügbar werden. Project xCloud liefert schon jetzt einen Vorgeschmack darauf, wohin die Reise hingeht.

Klar könnten Sony, Mircosoft und Nintendo eine etwaige Prime Gaming App theoretisch von ihren Plattformen ausschließen. Bleibt nur abzuwarten, was die Kunden und Wettbewerbshüter dazu sagen. Siehe den Streit zwischen Apple und Spotify samt Beschwerde bei der EU-Kommission, weshalb es seit Oktober endlich auch Siri-Unterstützung sowie wie eine Apple TV App für Spotify gibt.

Was Prime Gaming zur Kampfansage macht

So sehr mich das Start-Lineup von Prime Gaming also unterwältigt, so wenig sollten wir Amazons Gaming-Ambitionen unterschätzen. Denn das Rebranding von Logo und Name sowie das Entkoppeln von Twitch sind ein viel stärkeres Signal, als es jeder Launch-Blockbuster hätte sein können - von New World oder Crucible ganz zu schweigen, ähem.

Die kostenlosen Spiele und Ingame-Items sind kein Twitch-Anhängsel, sondern Bestandteil des Prime-Abos. Auch Logo und Name signalisieren eindeutig, dass Amazon Gaming künftig auf Augenhöhe mit Prime Music und Prime Video sieht. Kein Wunder also, dass Xbox-Chef Phil Spencer inzwischen nicht mehr Sony und Nintendo als Hauptwettbewerber sieht, sondern Google und Amazon.

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Prime Gaming ist auf diesen Wettbewerb nur ein kleiner Vorgeschmack, eine bewusst halbherziger Attacke, aber trotzdem ein eindeutiges Warnsignal an die Konkurrenz. Bis die Voraussetzungen passen, bleibt Prime Gaming ein netter Extra-Service für die Bestandskunden, über kostenlose Spiele dürften sich die wenigsten beschweren. Sobald Amazon jedoch mit Prime Gaming zum echten Angriff auf die Gaming-Abo-Services bläst oder ähnlich wie bei Prime Music Unlimited für einen umfassenderen Katalog nochmal extra zur Kasse bittet, müssen sie schon größere Kaliber auffahren als ein Shaq Fu. Viel größere.

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