Biomutant im Test: Hat fantastische Ideen - und enttäuscht auf ganzer Linie

Die Erwartungen an das Open-World-Rollenspiel Biomutant sind riesig. Im Test zeigt es viele originelle Ideen, die allesamt ins Nichts führen.

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Kaum eine Open World wird seit Jahren so heiß erwartet wie die tierische Postapokalypse von Biomutant. Und was sahen die Gameplay-Trailer vielversprechend aus! Als abgedrehter mutierter Waschbär-Panda-Mix schwingen wir Flammenschwerter, Pistolen und Schrotflinten im Kampf gegen den unvermeidlichen Weltuntergang und ergötzen uns an den letzten Tagen eines sterbenden aber wunderschönen Planeten.

Biomutant verspricht uns eine spannende Open World, ein echtes Rollenspiel mit Actionkämpfen, Entscheidungen und einer tiefen Geschichte. Aber auch die ultimative Loot-Fantasie, mit Millionen von Ausrüstungskombinationen und motivierendem Crafting. In jedem einzelnen Punkt bringt es gute Ideen mit, die es wirklich einzigartig machen könnten, denkt aber keine davon zu Ende.

Biomutant hatte die Chance, eine der besten Open Worlds 2021 zu werden - ist aber stattdessen eine der größten Enttäuschungen.

Ein Rollenspiel-Charaktersystem - oder doch nicht?

Die Charaktererstellung dürfte Rollenspiel-Fans erstmal den Mund wässrig machen. Im Editor basteln wir uns unseren ganz eigenen Tier-Mutanten, der gefährlich, niedlich oder herrlich bescheuert aussehen kann. Dabei geht es nicht nur um den persönlichen Geschmack, denn unser Aussehen ist direkt mit unseren Attributen verknüpft: Starke Helden sind breitschultrig, Charme-Bolzen bekommen ein gewinnendes Lächeln. Eine originelle Idee, die außerdem Hoffnung auf ein komplexes Charaktersystem macht - doch hier wartet schon die erste Enttäuschung.

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Optik und Attribute beeinflussen sich gegenseitig.

Neben der Tierart wählen wir auch eine von fünf Klassen. Die sind leider ziemlich irrelevant, denn sie legen nur eure Startausrüstung und eine Fähigkeit fest. Der Kommando geht mit einem Sturmgewehr ins Rennen, der Psi-Freak kann einen Funkenball auf Gegner schleudern. Sowohl Ausrüstung als auch Fähigkeiten können wir aber auch im Spiel freischalten, wodurch die Klasse nur für die ersten Stunden eine Rolle spielt. Klar, das macht Biomutant zugänglicher und lässt Raum, sich noch umzuentscheiden. Für Rollenspieler ist das aber eine Enttäuschung.

Die Attribute bringen eigentlich ein paar kreative Ideen mit. Unser Intellekt bestimmt zum Beispiel, wie viele Züge wir für ein Schalterrätsel haben. Nur sind die derart simpel, dass es nie mehr als die minimale Anzahl von Zügen braucht. Und selbst, wenn wir wirklich mal daneben tippen sollten, können wir das Rätsel ohne Konsequenzen erneut versuchen. Auch in Dialogen reicht schon ein minimaler Charisma- oder Intellekt-Wert für ein erfolgreiches Gespräch. Also gibt es auch keine wirklich unterschiedlichen Spielweisen, die an unsere Attribute geknüpft wären.

Was kann die Story?

Die meisten von uns dürften durch das unverbrauchte Setting das erste Mal auf Biomutant aufmerksam geworden sein. Wir spielen in der Postapokalypse - die Menschen haben eine Umweltkatastrophe ausgelöst, durch die sie ausstarben und die Erde genetisch mutierten Tieren hinterließen. Eine spannende Prämisse … die im Nichts verläuft. Die Menschen spielen bis auf einige vage Hinweise keine Rolle mehr und dass wir genetisch veränderte Tiere spielen, ist für die Handlung völlig irrelevant.

Biomutant: Neuer Trailer zeigt die Open World im Detail Video starten 1:45 Biomutant: Neuer Trailer zeigt die Open World im Detail

Im Klartext: Würde man die mutierten Tiere in Biomutant durch Menschen ersetzen, wäre die Story nicht mehr als 08/15-Weltrettungskitsch. Die Welt steht vor dem Untergang, wir sind der Auserwählte, ein übermächtiger Gegner hat unsere Familie getötet und wir begeben auf die Suche nach unserer Vergangenheit. Nicht dass solche Prämissen nicht funktionieren können - schließlich treffen sie auch auf einige der besten Rollenspiele aller Zeiten zu. Aber Biomutant bietet uns keine überraschenden Wendungen. Alles passiert genau wie vorhergesehen.

Die Dialoge bestehen fast nur aus verwirrenden Fantasie-Begriffen und Kalendersprüchen. Wung-Fu, Sifu, Myriad, Nono, Ki, »Besonnenheit wird dir ewigen Frieden bringen.« Die ohnehin schon viel zu langatmigen Textpassagen gewinnen auch nicht gerade an Schwung durch ihren Erzähler - denn der trägt die gesamte Sprachausgabe.

Die Dialoge triefen nicht gerade vor Spannung - zumal direkt zu Beginn mit Begriffen um sich geworfen wird, die wir nicht kennen. Die Dialoge triefen nicht gerade vor Spannung - zumal direkt zu Beginn mit Begriffen um sich geworfen wird, die wir nicht kennen.

Die Tiere quatschen uns in einer undeutlichen Fantasiesprache voll, die wie eine etwas nervigere Variante des Animal-Crossing-Kauderwelschs klingt und die vom Erzähler auf deutsch oder englisch übersetzt wird. Das könnte eigentlich ein cooler Kniff sein. Immerhin ist es glaubwürdig, dass die Tiere nicht unsere Sprache sprechen und das abgedrehte Setting hätte Potenzial für spannende Ideen geboten.

Würde der Erzähler uns zum Beispiel Dinge bewusst falsch übersetzen und wir könnten seinen Angaben nicht immer trauen, würde er tatsächlich eine Rolle spielen - ein eigener Charakter in der Geschichte sein. Eine kleine Metaebene im Stile von Stanley Parable und Co. hätte dem Ganzen die nötige Würze verliehen. Aber er leiert nur die Texte der Charaktere mit der emotionalen Vielfalt eines Backsteins herunter. So wird klar, dass es hier einfach nur an Sprecher-Budget gefehlt hat.

Auch außerhalb der Dialoge quatscht der Erzähler permanent in stimmungsvolle Momente, um uns so geistreiche Dinge wie »Nutze den Tag« oder »In dieser Geschichte geht es um eine Heldenfigur« mit auf den Weg zu geben. Man hat sogar die Möglichkeit, die Häufigkeit seiner Sprüche im Menü runterzudrehen, aber selbst auf niedriger Stufe hält er kaum länger als eine Minute still.

In Momenten wie diesen könnte tatsächlich mal Stimmung aufkommen, wenn der Erzähler sie nicht wieder zerstören würde. In Momenten wie diesen könnte tatsächlich mal Stimmung aufkommen, wenn der Erzähler sie nicht wieder zerstören würde.

An den Spielspaß geht das aber vor allem, wenn er einem ungefragt Umgebungsrätsel erklärt. »Oh, eine Idee! Hau den Deckel von diesem Schlammlaster runter. So wird sich alles hier füllen und du kannst den Eingang erreichen!« Das geschieht nicht etwa als Hilfestellung, wenn man länger ratlos auf den Bildschirm starrt - sondern sofort! Und wirft die Frage auf, wozu das Rätsel überhaupt designt wurde, wenn wir es nicht selber lösen sollen.

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